Rostocks Trainer wusste es schon vorher, der Liveticker weiß es jetzt: Saarbrücken ist anders! Die Nachlese.
Willkommen zurück, 1. FC Saarbrücken! Der Sieger des Internationalen Saarlandpokals von 1950 mischt wieder kräftig mit in der Dritten Liga und empfängt zum Heimspielauftakt den FC Hansa aus Rostock. Der Ticker ist ab 14 Uhr für euch dabei, in der einen Hand ein Fischbrötchen, in der anderen frisch importierten Weißwein aus Frankreich. Juri Schlünz und Tony Yeboah gefällt das!
Howdie, Freunde!
Bisschen Schlaufuchswissen für einen sanften Start in diesen Drittliga-Spieltag: Saarbrücken freute sich gegen den VfB Lübeck zum Auftakt über ein 1:1, Hansa koggte den MSV Duisburg aus dem eigenen Stadion und feierte dabei vor allem Doppelpacker Pascal Breier. Selige Erinnerungen an die Rostocker Torgaranten von einst wurden bei seinen entscheidenden Buden zum 3:1 wach, so mancher Küstenbewohner träumte des nachts von Martin Max, Jonathan Akpoborie und Joachim Streich. Den Kaffee reichte anschließend übrigens Oliver Neuville.
Trainer von Hansa ist übrigens ein alter Bekannter des Ostfußballs. Jens Härtel machte einst als beinharter Abwehrspieler seinem Namen alle Ehre, in seiner Vita finden sich solch klanghafte Klubnamen wie Chemie Böhlen, Lokomotive Leipzig oder Germania Schöneiche. Größter Erfolg seiner Trainerkarriere: die Auszeichnung zum Drittliga-Coach des Jahres 2018, damals noch in Diensten des 1. FC Magdeburg. Wir gratulieren nachträglich recht härtzlich!
Eben jener Härtel hat vor der Partie gegen den Aufsteiger aus Saarbrücken das getan, was man von einem Trainer vor einem Spiel gegen einen Aufsteiger erwartet: er warnte. Saarbrücken, so Härtel, sei „kein normaler Aufsteiger“. Schon hoffte der stets nach Spektakel gierende Liveticker auf exzentrische Vereinspräsidenten, die auf weißen Elefanten das Ludwigsparkstadion umrundeten oder einen sagenhaft überbezahlten Spielmacher, der zu jedem Heimspiel in einem schneeleopardenweißen Stretch-Hummer durch den Mittelkreis driftet, da löste Härtel auch schon recht humorfrei auf. „Es ist eine gestandene Mannschaft, die sich in der Dritten Liga nicht verstecken muss. Zudem ist der Verein wirtschaftlich stark.“ Ach so. Ich werde trotzdem bis zum Schlusspfiff nach den Elefanten Ausschau halten.
Junge, Junge, was ein Auftakt. Ich fasel hier von Härtel und Saarbrücken gibt längst Vollgas. Flanke auf den langen Pfosten, Direktabnahme – Handspiel! Elfmeter für den Aufsteiger. Was macht Sebastian Jacob? Bleibt arschcool und nagelt den Ball in die Mitte. 1:0 für Saarbrücken! 900 glückliche Saarländer tanzen auf dem Regenbogen.
Mit steifen Meeresbriesen dürften sich die Gäste auskennen, aber das hier war nicht weniger als ein saarländischer Taifun, der über den Spitzenreiter hereingebrochen ist. Die Kogge leckt. Alle Rechte an möglichen Softporno-Titel behält sich der Liveticker vor.
Rostock, wie es noch nicht sinkt und wieder lacht. Pascal Breier eben fast mit dem Ausgleich, was ihm prompt den Fußball-Reporter-Ritterschlag einbrachte: „Der weiß, wo die Bude steht!“ Breier, ganz abgezockt, kauft sich einen kandierten Apfel und parkt rückwärts Autoscooter ein.
Wenn man feststellt, wie lange man schon keine Fangesänge mehr gehört hat: Habe jetzt immerhin mehr als zwölf Minuten benötigt, um das in meinem Gehörgang als „Aufrücken!“ abgespeicherte Gebrüll als „Saarbrücken“ zu verstehen. Brülle mich spontan selber an: „Alex Raack, abrücken!“
Die begabten Rechenschieber vom „kicker“ haben übrigens ausgerechnet, dass wir heute das erste Saarbrücker Heimspiel gegen Hansa seit exakt 1757 Tagen erleben. Für all jene unter euch, die bereits seit 10 Uhr am Frühschoppen sind: das sind knapp fünf Jahre. Hätte uns damals einer erzählt, dass Fußballspiele in naher Zukunft in leeren Stadien stattfinden und sich keine Sau mehr für Spiele der Nationalelf interessiert, wir hätten höhnisch gelacht und in der knallvollen Bar das nächste Corona bestellt.
Heute sind immerhin 900 Zuschauer zugelassen. Da fragt man sich, was gruseliger ist: wenn das Stadion komplett leer ist, oder ein paar versprengte Menschenhaufen gegen ihr eigenes Echo anbrüllen müssen. Gebe die Frage gerne an Jens Härtel weiter. Antwort: „Das ist keine normale Frage…“ Und die Fans: „Aufrücken!“
Brandneu isser ja, dieser altehrwürdige Ludwigspark. Leider eine ganz merkwürdige Modeerscheinung bei Stadionarchitekten dieser Welt: die Sitzschalen in den Vereinsfarben anzupinseln, um so 1) rein optisch noch mehr Klubzugehörigkeit zu versprühen und 2) dem Zuschauer zu suggerieren, dass die Hütte doch eigentlich brechend voll ist. Hier in Saarbrücken – die Farben blau, schwarz und weiß – erinnert das allerdings beständig an eine Schwimmhalle aus längst vergessenen Olympiatagen. An der Außenbahn verteilt die erst 14-jährige Franziska van Almsick Mund-Nasen-Schutz aus Neopren. Michael Groß nimmt zehn.
Ecke für Rostock. Ein Fall für Bentley-Baxter Bahn. Wir hätten da noch ein ernstes Wörtchen mit Bahns Erzeugern zu besprechen. Hat jemand die Nummer von Papa Corvette-Scooter?
Hansas Sturm- und Drängler Breier eben beinahe mit dem Ausgleich, diesmal streift sein Schuss die Latte. Die Vorstellung, gegen diesen Mann ein Laufduell bestreiten zu müssen, treibt mir spontan einen Krampf in die linke Wade. Jens Härtel reicht Magnesium.
„Krake“ nennen sie an der Küste ihren Rostocker Torwart Markus Kolke und jetzt wissen sie auch im Saarland, warum. Toller Sturmlauf über Jacob, doch das krakenhafte Wesen mit der Glatze kann das 0:2 verhindern. Taucht dann genüsslich ab und malt seinen Namen auf den hübschen neuen Rasen. Nur echt mit Lamy! Der Platzwart sucht traurig nach dem Tintenkiller.
Oh, du wunderschöne Dritte Liga! So habe ich mir das vorgestellt. Vor wenigen Minuten dieses: Konter Saarbrücken, Trikotzieher Hansa, ausbleibender Pfiff, Revanchetritt in die Hacken Saarbrücken, Freistoß Hansa, entsetzt krakelende Fans. Und mein Fernseher riecht plötzlich so gut nach Bratwurst. Kann man mit dem Firestick eigentlich Pils zapfen?
Ganz nett anzusehen war sie, diese erste Halbzeit. Was mich trotzdem traurig macht: Dass ich noch immer keinen weißen Elefanten gesehen habe, Daniel Batz noch immer keinen Elfmeter halten durfte und mich meine Eltern Alex genannt haben. Bentley-Baxter schüttelt mitleidig mit dem Kopf.
Pause im Ludwigspark. Danke an jeden einzelnen der 900, die hier zumindest so was ähnliches wie Stadionatmo verbreiten konnten. Der Ticker macht sich frisch, beantragt eine sofortige Namensänderung (Favorit bislang: McLaren-Heino) und ist zum Anstoß der 2. Halbzeit wieder am Start. Bis gleich!
Und bitteschön: 2. Halbzeit im Ludwigspark, der, wie wir gerade vom äußerst selbstbewussten Oberbürgermeister vernommen haben, ganz bald fertig sein soll. Jetzt schon fast durch: der Ticker.
1.FC Saarbrücken. Was hat dieser ruhmreiche Verein nicht schon alles für ruhmreiche Spieler in seinen Reihen gehabt. Stephan Beckenbauer. Andy Brehme. Michael Preetz. Wolfram Wuttke. Tony Yeboah. Mustapha Hadji. Mustapha Hadji? Kein Scheiß. Marokkos WM-Held von 1998 tauchte 2005 plötzlich im Saarland auf, Trainer Horst Ehrmanntraut wollte Hadji gemeinsam mit Landsmann Faysal El Idrissi im Mittelfeld zaubern lassen, das klappte nicht wirklich wie gewünscht. 2007 machte Hadji rüber, zum CS Fola Esch nach Luxemburg. Gegenwärtig darf Hadji seinen Namen nur in der Ellenbeuge benutzen.
Lukas Kwasniok, Übungsleiter des 1.FCS, hat vor der Partie so einen richtig schönen Trainersatz losgelassen: „Wir haben genügend Optionen und werden eine schlagkräftige Formation auf den Platz schicken.“ Klang wie ein boxender Systemanalytiker. Taktik also klar: Hinten dicht machen und vorne auf die Fresse. Funktioniert bislang recht gut. Axel Schulz versteckt seinen Freudentränen verschämt hinter der Fackelmann-Mütze.
Einer von Kwasnioks Vorgängern ist der legendäre Uwe Klimaschafski, den der Autor dieser Zeilen einst in der fast noch legendäreren Berliner Fußball-Kneipe „Hanne am Zoo“ zum Interview treffen durfte. Klima erzählte beim Pils davon, wie er einst seinen angetrunkenen Platzwart an den Pfosten binden ließ, um ihn dann von seinen Jungs mit Vollspannstößen bearbeiten zu lassen. Kann man machen, muss man nicht. Der Platzwart hat es überlebt, „Hanne am Zoo“ übrigens leider nicht. Der Ticker lädt an dieser Stelle spontan zu einer Gedenkminute ein.
Muss ja sagen, dass mir die Jerseys von Hansa Rostock ganz gut gefallen. Erinnert mich irgendwie an Sampdoria Genua und Sampdoria Genua erinnert mich immer irgendwie an selige Fifa 98-Zeiten auf dem Windows 95 im väterlichen Arbeitszimmer. Schräg daneben stand der alte Röhrenfernseher, den ich fast vor Freude aus dem Fenster schmiss, als ich darauf Werders legendäre Aufholjagd gegen den AC Parma anno 1999 erleben durfte. Nebenan im Wohnzimmer schauten die am Uefa-Cup gänzlich desinteressierten Geschwister „Asterix erobert Rom“, während Marco Bode Parma in die Knie zwang… Ach ja, wo war ich? Beim aktuellen Rostocker Trikot. Schon bald finden sie diesen Ticker in meinem neuen Buch: „Ur-Opa Raack erzählt vom Kriech“. Mit einem Vorwort von Ailton und Fabio Cannavaro.
Back to life, back to reality. Saarbrücken führt noch immer gegen Hansa Rostock mit 1:0 und unverdient ist das hier nicht. Jens Härtel schickt Soul II Soul zum warmmachen.
Jetzt bei Rostock im Spiel: Gian Luca Schulz, der kleine Bruder von Nationalspieler Nico. Und wer sich jetzt darüber lustig machen möchte, warum Mama und Papa Schulz ihren Zweitgeborenen Gian Luca genannt haben und nicht etwa Stefan, Fabian oder Sven, dem sei verraten: Papa Schulz ist Italiener. Wieder was gelernt.
Saarbrückens Torwart Batz, von uns großzügig aufs Cover dieses Tickers gehoben, hatte in der ersten Halbzeit so gut wie gar nüscht zu tun, jetzt aber fliegt der 1,91-Meter-Mann durch seinen Strafraum, dass Elton John sich bereits dazu entschlossen haben soll, Klub und Keeper eine eigene Hymne zu widmen. Hinter seinem Kasten hängen sie bereits ein Banner auf: It’s lonely out in space.
Auch Saarbrücken tauscht nun munter durch, neu im Spiel ist seit der 71. Minute ein Mann namens Kianz Froese. Geboren auf Kuba, kanadischer Staatsbürger, Drittliga-Mittelfeldmann in Saarbrücken. Die Frisur kommt übrigens aus Ecuador.
TOOOOOOR!!!! 2:0 für den 1. FC Saarbrücken! Rostock ackert, Rostock will, aber Rostock fängt sich einen Gegenangriff und der endet mit dem sehr wahrscheinlich vorentscheidenden Treffer von Nicklas Shipnoski. Aus kurzer Distanz in den Winkel. Schon wieder muss Axel Schulz heulen. Und mit ihm kreischen 900 Saarbrücker im Ludwigspark vor Freude.
Drittligaaufsteiger Saarbrücken ist hier doch tatsächlich auf der Siegerstraße. Für alle saarländischen Erfolgsfans, die es trotzdem noch immer nicht verknusen können, dass ihr Klub nicht mehr in der ersten Liga kickt, haben wir ein kleines visuelles Trostpflaster. Ausdrucken und übers Ehebett hängen. Den Partner wird es freuen, versprochen.
Fußball in Zeiten von Corona. Die TV-Kameras zeigen ein Spiel vor leeren Tribünen und aus dem Hintergrund hört man es singen: „Steht auf, wenn ihr Saarbrücker seid!“ Tony Yeboah drückt den Rücken durch.
Gleich geht das hier zu Ende, Zeit, schon mal eine Lanze für die Dritte Liga zu brechen. Guter, schneller Fußball, viel Emotionen und das muss man erstmal rüberbringen, wenn fast kein Mensch ins Stadion darf. Dazu zwei Klubs mit großer Tradition und immer noch großen Namen, draußen Trainer mit Maschinenschnittfrisuren und wahlweise Trainingsjacken oder Blue Jeans. Herrlich. PS: Wie hat Bayern nochmal gegen Schalke gespielt? Schon wieder vergessen.
Schluss, aus und vorbei: Saarbrücken kann diese Partie tatsächlich für sich entscheiden und hat als Aufsteiger nach zwei Spieltagen schon vier Punkte auf dem Konto. Geheimfavorit in dieser Dritten Liga? Vielleicht. Der Liveticker hatte seine Freude an dieser 90-minütigen Grasfresserei, freut sich schon auf den nächsten Samstag und bindet sich jetzt zur Entspannung selbst an den Torpfosten. Schönes Wochenende euch allen!