Ein Fußballspiel wie Elendstourismus durch einen City-of-God-Slum. In der Hauptrolle: „Lücke“ Füllkrug, der Boss, ein eiskalter Killer. Bekommt den Oscar für die lauesten Gags: der Ticker.
Seit 17 Spielen ist Schalke 04 in der Bundesliga ohne Sieg. Zudem setzte es am vergangenen Freitag mit dem 0:8 die höchste Auftaktniederlage der Ligageschichte. Klar, dass die Welt in heller Aufregung ist ob der Frage aller Fragen: Welchen Kack-Rekord knacken David Wagner und sein Team heute? Und damit: Herzlich willkommen im Elendstal zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Herzlich willkommen zu Schalke – Bremen.
Man muss aber auch mal sagen: Alles eine Frage der Relation, des richtigen Vergleichs. Soooo beschissen ist Schalke 2020 jetzt nämlich auch nicht. Also verglichen hiermit:
Jochen Schneider jetzt im Sky-Interview. Schalke-Schneider, würde Sven Regener ihn vielleicht nennen. Sieht immer so aus wie einer, der gerade einen Vertrag unterschrieben hat, bei dem er nicht so ganz sicher ist, was eigentlich drin steht. Auf der anderen Seite: Genauso kommt man wahrscheinlich zu Schalke 04.
Kommen wir zu den Aufstellungen. Hier die des FC Schalke 04: Fährmann – Rudy , Kabak , Stambouli , Oczipka – Mascarell , Bentaleb , Boujellab , Raman , Uth – Paciencia.
Oder wie königsblaue Kritikaster sagen könnten: Die Null steht – elf Mal.
Und die Aufstellung der Gäste aus Bremen: Pavlenka – Gebre Selassie , Veljkovic , Friedl , Augustinsson – Mbom , M. Eggestein , Klaassen , Bittencourt – Füllkrug , Sargent.
Und es liegt in der Luft, das Knirschen in den Synapsen. Von jenen, die es mit Werder halten. Und die sich denken, bei jedem einzelnen dieser Namen: „Zeig der Welt dass Du besser bist, als Florian Kohfeldt Dich gemacht hat!“
Sky jetzt mit Werbung. Freunde. Muss das nochmal aus der Verärgerung pöhlen. Werbung. Bei Sky. Beim Bezahlsender Sky. Freu mich schon, wenn die irgendwann mal Autos verkaufen. So richtig schön teuer. Im Abo. Und dann steigt man da ein, wahrscheinlich mit der Sky-Go-App, und wenn man Glück hat, geht das Auto dann auch auf, und dann will man losfahren, aber: nix da. Erstmal Werbung. Sky, ey. Das Schalke Bremen des Fernsehens.
Die Bremer bereits auf dem Rasen. Die Schalker noch nicht. Genial! Da sage noch einer, David Wagner erreiche die Mannschaft nicht mehr.
Anstoß. Für die einen ist es nur ein Fußballspiel. Für die anderen* sind es die schlimmsten 90 Minuten der Woche.
*David Wagner
Find ich unfair, dass Sky kurz vor Anstoß noch Werbung für den Hanuta-Riegel macht. Wie soll man sich als 11freunde-Dicki denn da aufs Spiel konzentrieren?
Wegen steigender Infektionszahlen übrigens wieder ein Geisterspiel. Haben auch die Spieler verstanden, Schalke erstmal mit einem extrem gruseligen Konter. Buh!
Sehe gerade zum ersten Mal den Auswärtsdress Werders. Nix mehr übrig vom kräftigen Werder-Grün, dafür die Hosen in einem blassen, seichten Mint-Ton, der kraftlos, traurig und hässlich ist. Und verdammt, das ist bestimmt eine Metapher für irgendwas.
Jesses, jetzt schon eine Zumutung von einem Fußballspiel. Erst ein Schalker mit einem wirklich desolaten Fehlpass, dann Josh Sargent, der frei vor dem Tor über den Ball tritt. Pleiten, Pech und Pannen hier. Gleich wechselt David Wagner Max Schautzer ein, der das Spiel dann hoffentlich abmoderiert.
Wäre ich in die Werbung gegangen, hätte ich Sky die Idee gepitcht, das Spiel hier als den „Ach-komm-lass!-ico“ zu bewerben. Aber mich fragt ja niemand.
Klar, beide Mannschaften bemüht. Es wird viel gebrüllt und gegrätscht. Und so. Und trotzdem: Ich habe Handballspiele gesehen, bei denen einen besserer Fußball gespielt wurde.
Frage mich weiter, was die 22 Jungs da unten wohl beruflich so machen. Immerhin hat die Partie ihr eigenes Spirit Animal:
Achtung, gute Pointe: Tor für Werder Bremen. Ecke von links, Kopfball Sargent und dann steht Füllkrug da so frei im Strafraum wie Superman am Waschtag und rödelt den Ball über die Linie. In diesem Sinne: Glück Auf.
Achtung, noch ein Brüller: Bremen spielbestimmend. Teilweise bis zu zwei Pässe in Folge jetzt, die nach Absicht aussehen UND ankommen. Wenn sich nicht aufpassen, muss man sie bald noch Ernst nehmen.
Schalke dermaßen schlecht – würde mich nicht wundern, wenn sich demnächst die Schalensitze aus ihren Verankerungen lösen, um das Weite zu suchen.
Iiiiiiiihhhhhh, ganz eklige Szene von Schalkes Kabak. Mäht erst den Eggestein um, dann rotzt er ihn an, während der sich noch abrollt. Liebe DFL, bitte nachträglich sperren. Und liebe Mama Kabak, dem Sohnemann mal ordentlich den Arsch versohlen. Danke.
Und Toooooooooooooooor für den SV Werder Bremen. Freistoß Augustinsson und Niklas Füllkrug macht das, was er auch immer macht, wenn er grinsend vor dem Spiegel steht: Er sieht die Lücke. Und köpft ein. 2:0.
Bin nicht mehr sicher, ob das hier ein Heimspiel von Schalke ist oder doch die neue Staffel The Walking Dead?
Und Pause, ein völlig verdientes 2:0 für Werder. Liebe Schalke-Fans, kleiner Tipp: Nutzt doch die 15 Minuten, um mal nach Autogenes-Training-Kursen in der örtlichen VHS zu googeln.
Sky-Kommentator Frank Buschmann jetzt wieder mit der Litanei, dass das ja alles eigentlich gute Kicker wären bei Schalke. Und stimmt ja: Uth war mal völlig zurecht Nationalspieler. Ebenso wie Sebastian Rudy. Kabak wird von Liverpool umworben. Bei Pacienca waren sie jetzt in Frankfurt auch nicht umsonst traurig, als er den Klub verlassen hat. Aber wahrscheinlich stimmt es, wahrscheinlich sind es wirklich nur Kleinigkeiten. Man kennt das:
Oha! Ein Schalker Angriff! Schöne Flanke und dann steht der eingewechselte Ibisevic in der Luft, als wolle er einen Satelliten reinschrauben. Und dann macht er es ganz bewusst und mit Köpfchen und dann doch so wie Christian Lindner: einfach daneben.
Bums mich! Die nächste Schalker Chance! Und das muss es eigentlich sein, da Boujellab ungestört in den Strafraum eindringt und freie (Schuss-)Bahn hat. Aber wieder wie so ein glücklicher, englischer Tourist nach dem Pubcrawl: neben den Pfosten.
3:0 Werder, Hattrick durch Füllkrug. Und auf Schalke sammeln sie für das Abschiedsgeschenk von David Wagner:
Tja, ey. Man muss ja wirklich Mitleid mit den Schalkern haben. Fühle mich wie ein Elendstourist. Als würde ich durch einen Slum laufen, in dem nur designierte Absteiger leben. Irgendwo am Mittelkreis stehen Mascarell, Boujellab und Rudy um eine brennende Tonne und gucken mich feindselig an. Im Dunkeln an der Seitenlinie kritzelt Wagner manisch wirres Zeug auf eine Taktiktafel. An der Eckfahne zeigt Bastian Ozcipka Ozan Kabak seine neue Knarre. Lieber schnell weg hier, ab aufs Hotelzimmer.
Was die Kameras nicht zeigen: Auf der Tribüne hocken Frank Baumann und Jochen Schneider an einer Mauer und Spielen Murmeln um Zehncentstücke.
Geil auch, dass Bremen jetzt wahrscheinlich denkt, sie wären plötzlich wieder gut, nur weil sie hier fußballerisches Leichenfleddern betreiben. Die werden sich umgucken nächste Woche beim 0:6 zuhause gegen Bielefeld.
Nächste Chance Bremen, kurz steht auch ein Elfer im Raum. Aber im Ernst, wenn Bremen jetzt noch ein Tor macht, ruf ich höchstpersönlich bei der FSK an und beschwere mich, dass da am helllichten Tag jemand im Free TV gefickt wird.
Fast das 0:4. Sargent nach Freistoß mit dem Kopf, aber Fährmann pariert glänzend. Und ich sag mal: gut so. Die ganzen 0:4‑Schlagzeilen und ‑Wortspiele hätte selbst dieses Schalke nicht verdient gehabt. Stattdessen und auch, weil wir ein Service-Format sind:
Nix geht bei Königsblau. Gar nix. Und dennoch: Die Schalker Spieler rennen und machen und tun hier weiter. Und das kann man toll finden. Oder man macht sich Gedanken um ihre geistige Gesundheit.
Gelb-rote Karte für Kabak nach Foul. Oder um es aus der Sicht von David Wagner zu sagen: Du mich auch.
Das Spiel, es plätschert so vor sich hin. Wie eine umgestürzte Bierflasche am Tresenrand einer Trinkhalle. Ein schöner Abend sollte es werden, mal wieder Quality-Time mit den Jungs. Und jetzt ist alles nur noch ein tropfendes Rinnsal. Und dann auch noch das: zwei Minuten Nachspielzeit.
Tor für Schalke. Mark Uth vom Strafraumrand. Trockener Schuss mit links. Nur noch 1:3 könnte man jetzt sagen. Wäre man ein zynisches Arschloch.
Schluss. Schalke 04 verliert mit 1:3 gegen Werder Bremen. Und was bleibt zu sagen, außer ein an alle überlebenden Augenzeugen dieser Schalker Leistung gerichtetes: Chapeau! Und: Wir sehen uns in der Selbsthilfegruppe. In diesem Sinne: Prost und bis zum nächsten Mal, wenn es wieder heißt: Schalke oder lebst Du noch?