Aufatmen in Dortmund. Nach der Ciro d’Italia-Schmach unter der Woche zeigt die Mannschaft gegen Schalke Biss, schlägt ein wehrloses Opfer. Geht in den Zeugenschutz: der Liveticker.
Hallo und herzlichen Willkommen, beziehungsweise an alle Schalker Verteidiger: Guten Morgen. Hier wird jeden Augenblick das Revierderby getickert. Halten wir es mit Königsblau – und versuchen erhobenes Hauptes aus der Sache zu geraten.
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Gute Nachrichten für alle Schalker Spieler: Die Blamage des Wochenendes ist bereits entschieden.
Gänsehaut: Nobbi Dickel spielt „You’ll never walk alone – außer der Inzidenzwert liegt über 50“ ab.
Die Aufstellungen.
Dortmund: Bürki – Meunier, Hummels, Akanji, Guerreiro – Dahoud, Delaney, Sancho, Brandt, Reyna – Haaland.
Schalke: Naja – Wer?, Sane?! Achso., Argh – Oha, Der spielt da immer noch?, Uff, Keine gute Idee, – Der macht doch auch kein Tor, Mhm, Hoffen wir mal.
Die 300 Zuschauer mit einer Stimmung wie damals, als meine Abi-Note vor dem versammelten Jahrgang verlesen wurde: Irgendwas zwischen Anfeuerung und Entsetzen.
Schalke feiert hier kollektiv jeden Einwurf. Den dann immer Oczipka ausführt. Und wie. Chefiger Blick, bisschen den Kopf zur Seite. Wie so einer, der genau weiß, was zu tun ist, wenn im Snack-Automaten mal wieder der Riegel klemmt. „Junge, ich hab hier schon Zucker aus dem Schacht geholt, da war Twix noch das Geräusch einer enttäuschten Liebe.“ Und dann neigt sich der Kopf zur Seite und der Ball fliegt seiner Bestimmung hinterher. Oczipka regelt. Beifall und Abgang.
Dortmund um Spielkontrolle bemüht. Dabei aber noch so einfallsreich wie ein Schachspieler, der immer wieder „Pasch“ ruft. Schalke hingegen wie eine Gruppe Spitzensportler, die mal zeigen will, dass sie auch im Fußball eine Chance hätte. Rennen hier alles und jedem hinterher, als würden nur die Hoffnungen der anderen müde werden können. Und man will ihn „Bravo“ zurufen. Und: „Viel Glück“.
Harakiri im königsblauen 16er. Klingt wie eine Motto-Party im Swingerclub gleich neben der Trinkhalle, ist Haaland aber zu unsexy. Der Norweger wemst den Ball nach furchtbarem Schalker Ballverlust lustlos ins Ballungsgebiet Rönnow. Hauptstadt von Ächz.
Hui. Dortmund hier jetzt drückend überlegen. Und irgendwo in Rheda-Wiedenbrück schlachtet man bei Tönnies ein paar Hummeln.
Zwayer erinnert: „Wir spielen hier Fußball”. Drei Schalker verlassen schlagartig den Platz.
Dortmund, sagt Fuss, suche nach Lösungen. Aber bei allem Respekt: Noch sehe ich CureVac in der Favoritenrolle.
Malick Thiaw säbelt Reyna an der Mittellinie um. Ein unnötiges Foul, überhart, derbyreif. Und auf der Schalker Meile erzählen Väter ihren Kindern gerade gerührt von Marcelo Bordon.
Delaney revanchiert sich direkt, haut mit Knie voraus Harit um. Ein schönes Zeichen – an den Amateursport.
Pacencia und Matondo stehen etwa 30 Meter vom Dortmunder Tor entfernt. Bekommen keine Bälle, machen Lücken zu, hoffen, laufen zwischendurch couragiert an. Kurzum: Nie hat Franco di Santo mehr gefehlt.
Ich schaue nach draußen: Es ist dunkel geworden in den letzten Minuten, die Sonne untergegangen. Gegenüber sind die Fenster erleuchtet. Eine Frau macht seit einer Stunde akribisch sauber, es sieht sehr professionell aus. Sie weiß, was sie tut. Darüber haben sich offenbar Studenten getroffen. Sie tanzen zu fünft oder sechst in einer Einzimmerwohnung. Was angesichts der Lage vielleicht nicht die beste Entscheidung ist, aber klar: Wer will es ihnen am Ende verdenken? Und ich blicke auf einen Bildschirm, auf die Uhr. Noch eine Stunde. Durchhalten, Manuel Baum.
Aha! Ein Schalker Torschuss. Durch Ozcipka. Der was einbringt? Richtig: Einen Einwurf durch Oczipka. Der was einbringt? Richtig: Einen Eckball durch Ozcipka. Der was einbringt? Richtig: Einen langen Ball von Rönnow auf Oczipka. Und ja, liebe Leser*innen, da müsst ihr jetzt alleine durchsteigen.
Jetzt wieder das typische Bild dieser ersten Halbzeit. Dortmund in Ballbesitz, Schalke verdichtet. Hier in der Analyse:
Frederik Rönnow hätte auch gut und gern Stuntmen für die Frisur von Stefan Wessels bei dessen Jack-Wolfskin-Werbedrehs sein können. Hat sich stattdessen entschieden, Torhüter auf Schalke zu werden. Aber manche wollen es einfach auf die harte Tour.
Angesichts dieser ersten Halbzeit muss sich Lucien Favre hinterher schon ein paar unangenehme Fragen stellen lassen. Zum Beispiel: Herr Favre, warum haben Sie gegen Schalke zwei Innenverteidiger aufgestellt? Oder einen Torhüter?
Halbzeit. Dortmund spielt es ganz gut, rund um den Strafraum vielleicht ein bisschen planlos. Statt immer wieder konsequent die 1:1‑Duelle zu suchen, sieht man den schwarz-gelben das „Soll ich?“ geradezu an. Und Schalke? Stellt acht Mann auf eine Linie, hofft auf das Beste und schmückt sich das bisherige Ergebnis aus. Ungefähr so:
Einwurf Oczipka. Bentaleb kämpft den Ball ins Aus. Wieder: Einwurf Oczipka. Hätte nicht gedacht, dass sie so früh mit dem Zeitspiel beginnen.
Und Dortmund? Probiert es im letzten Drittel weiter Klein-Klein. Erinnert dabei an Menschen vor der Supermarktkasse, die 3,57 unbedingt mit den Cent-Resten im Portemonnaie zahlen wollen. Und nach einer halben Ewigkeit: „Ah. Mit Karte, bitte”.
Pacencia verkauft sich im Zweikampf so billig, würde mich nicht wundern, wenn gleich einer ein Mydealz-Angebot einstellt.
Manuel Baum gibt immer wieder Kommandos, klingt dabei ein wenig wie ein übermotivierter Minikicker-Trainer: „Nicht alle gleichzeitig auf den Ball!” „Ja, du darfst gleich auch mitspielen.” „Na kommt, weiter geh… Wer pflückt denn da jetzt Blumen?!”
TOOR für Dortmund! Nach einem Eckball spielt Julian Brandt den Ball elegant mit der Hacke weiter, Reyna hält mal drauf. Eine Chance, wie schon so viele: Sieht gut aus, bringt nichts ein. Doch diesmal steht da Manuel Akanji und schaltet beim Abpraller von Rönnow am schnellsten. 1:0. Ausgerechnet. Akanji, der zweite Innenverteidiger, das Mathematikgenie – damit haben nur die wenigsten gerechnet.
Fuss mahnt, dass Favre nun auch auf die Belastungssteuerung der Spieler achten soll. Es könne sein, dass einer der Dortmunder sonst ins Sauerstoffzelt müsse. Ich halte dagegen: Oczipka.
Oh, habt ihr das gehört? Das war der Knoten, der geplatzt ist. Haaland läuft 30 Meter vor dem Schalker Tor einfach los, bekommt den Ball von Sancho im richtigen Moment in den Lauf gespielt, überlupft Rönnow. 2:0 – und ab jetzt gilt für Schalke: Haaland unter.
Gute Nachrichten aus der deutschen Milch- und Molkereiwirtschaft: Ein immens großer Block Butter wurde in Dortmund gefunden. Haaland ist gerade hindurch geschnitten.
Schalke. Kann mehr, als es zeigt. Und will es ja auch. Dreht mit Hackmessern an Stellschrauben und läuft sich weinend die Beine aus dem Leib. Weil sie wollen, unbedingt wollen. Aber es geht einfach: nix. Schalke. Endlich könnte ich mich mit Dir identifizieren. Endlich verstehe ich Dein „Wir leben Dich“. Aber wer will das? So leben? Und jetzt alle: Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.
Manuel Baum schreit im Minutentakt die grundsätzlichsten Anweisungen auf das Spielfeld. Seine Spieler tun das Nötigste, verschieben, laufen an und überhaupt. Dortmund hingegen lässt den Ball laufen, von links nach rechts und vor und zurück. Und auf den Synapsen von Lucien Favre bilden sich wohlige Schauer. So muss ein Fondue aus Gedanken schmecken. Und doch ist das hier natürlich längst Totentanz, die ultimative Langeweile. Ein Ärzte-Song im Ärzte-Remix. Alles da und alles gähn. Und eigentlich will man schon einpacken, es ist dunkel und kalt da draußen und unter einer halben Stunde kommen wir nicht nach Hause. Aber wäre ja unhöflich, hört man die eigene Mutter in sich rufen. Und: Noch ein Stück Kuchen? Ja gut, was gibt’s? Streusel. Natürlich. Und weiter 2:0.
Immerhin. Es gibt immer noch Dinge, die schwerer zu erklären sind als die aktuelle Schalker Formkurve. Beweisstück a)
TOR für Dortmund. Nach einem Eckball spielt Nastasic, der heute fast jeden Zweikampf gewonnen hat, Stäbchenziehen – zieht den Kürzeren. Beziehungsweise: Hummels springt einen guten Kopf höher. Macht, was auch uns drohte: Nickt ein.
Weil auf einem der Werbebanden für Sportwetten geworben wird, halten wir kurz inne und denke an jene Taler, die heute aus Lust und Laune, aus Verzweiflung, aus Sucht allen ernstes auf Schalke 04 gesetzt wurden.
Baum: „Naldo, mach dich bereit.“
Naldo: „Was? Ich bin hier der Co-Trainer!“
Baum: „Sie sind hier verantwortlich? Sehr erfreut!“
Sky gratuliert Matondo, weil er den schnellsten Sprint heute hingelegt hat. Ich finde, man sollte erst gratulieren, wenn die Schalker wieder aus dem Bus gestiegen sind.