Gladbach führt bis kurz vor Schluss mit 2:0 gegen Real Madrid – und spielt am Ende doch nur Unentschieden. Hatte das Jubelstück schon fertig: der Ticker.
Real Madrid gegen Borussia Mönchengladbach klingt für mich so schön wie eine Kinder-Hörspielserie aus den Achtzigern, die ich unter der Bettdecke gehört habe. Sprecher ist Rolf Töpperwien, die Taschenlampe ist das Flutlicht und Uli Sude löst mit drei Freunden (Borowka, Rahn, Bruns) Kriminalfälle in der Nachbarschaft. „Wir sind die vier Freunde SBRB!“
Aber lasst uns schnell in die Gegenwart fliegen. Nach Donald Trump, Jair Bolsonaro und Boris Johnson hat der nächste Mega-Sympath Corona: Gianni Infantino. Wann ziehen Kim Jon-un und Gargamel nach?
Zum Spiel: Gladbach und Real trennen Welten, sagen manche. Was natürlich Quatsch ist, denn in Wahrheit liegen ganze Universen zwischen den Vereinen. Für die Jüngeren: Das ist ungefähr so, als würde das Schalke von 2020 gegen das Schalke von 1997 spielen.
Immerhin: Gladbach hat unseren Lieblingstrainer Marco Rose, der aussieht wie eine Mischung aus Tatort-Kommissar (Münster), Folk-Sänger (Kentucky) und Lehrer (Erdkunde). Ich würde immer und überall einschalten, wenn er dabei ist. Selbst wenn er das ARD-Testbild oder Teilnehmer bei der Fliesenleger-Weltmeisterschaft wäre.
Okay, ja, stimmt natürlich, Zinedine Zidane würden wir bei der Fliesenleger-Weltmeisterschaft selbst dann zugucken, wenn sie verschlüsselt auf Premiere liefe.
Außerdem bei Gladbach: Florian Neuhaus. Der Mann, der am Wochenende einen Pass zeigte, dass selbst ein erfahrener Grenzbeamter genauer hingucken mussten: Ist der echt? Und wenn ja: Wie geht das?
Anstoß. Wobei es bei einem Spiel, für das Mannschaften in Zeiten einer weltweiten Pandemie quer durch Europa fliegen, ja eher Anstuss heißen müsste. Meine Meinung.
Wirklich sinnvoll, so ein spanisch-deutsches Treffen mitten in der zweiten Welle. Also sinnvoll im Sinne von sinnlos.
Nicht wundern übrigens, falls Kollege Bock und ich heute beim Tickern etwas abgelenkt wirken, aber wir müssen nebenher das ganze Klopapier im Lager verstauen.
„Hinter Vazquez ist viel Wiese“, behauptet Kult-Kommentator Fuss. Dabei sehe ich hinter Reals Rechtsverteidiger nicht mal ein bisschen semi-professionellen Wrestler.
Varane verstolpert erst einen Ball und grätscht dann halb-verzweifelt, um eine Ecke zu verhindern. Habe mich noch nie so sehr mit Real Madrid identifizieren können.
Bislang bekommt Gladbach das ganz gut wegverteidigt, um mal einen Angeberbegriff einzustreuen. Oder gibt es das Verb „wegverteidigen“ gar nicht? Und ich habe nur geträumt, dass New-School-Analysten es benutzen? Und was würde ein Traumdeuter mit dieser Art Albtraum dann wohl anfangen?
Prompt ballert Benzema aufs Tor. Sein Abschluss aber wie nahezu alle Leute, die von sich selbst behaupten, weder rechts noch links zu sein: zu weit rechts.
Was mich total irritiert: Links oben im Sky-Bild steht MGB – RMA. Für was steht MGB? Mönchengladbach? Mönchengladbach Borussia? Mönchengladbacher Bier? Maschinengewehr Bundeswehr? Und warum heißt es nicht mehr BMG? Wir tippen auf eine Beschwerde des Bundesministeriums für Gesundheit. Und finden: Das hätten die sich spahn können.
Eben erste Halbchance für Real Madrid. Lucas Vasquez vorne schussgrätscht durch den Gladbacher Strafraum. Aber letztendlich so aufregend wie eine Runde Seven Eleven ohne Würfel.
Wir erfahren von Wolff Fuss, dass der kleine Marcus Thuram mal Feuerwehrmann werden wollte. Zu einer Zeit, als der kleine Wolff Fuss Ernst Huberty werden wollte. Und jetzt hat’s nicht mal für einen Klappscheitel gereicht. Ärgerlich.
Was ich mich bei Sergio Ramos immer frage: Hat der Mann, der seit circa 1983 bei Real Madrid spielt, eigentlich schon mal ein Spiel verpasst? Und was macht er, wenn kein Fußball ist? Grätscht er zuhause seine Blumenvasen ab und ellenbogt sein Bilder von der Wand? Antwort: Vermutlich ja.
Nicht in der Startaufstellung bei Real: Marcelo, Eden Hazard und Luka Modric. Als würde man beim Heavy-Metal-Band-Contest mit einer originalen Gibson SG von Angus Young auftauchen, aber vor dem ersten Song fünf Saiten runternehmen und Jingle Bell’s statt Hells Bells intonieren.
„Asensio macht Gladbach die größten Probleme“, expertet Fuss, während Asensio zu einem Schuss ansetzt, der 500 Kilometer hinter dem Tor in einem Gebüsch kurz vor München einschlägt. Adolfo „Der Entlauber“ Valencia erstarrt in Ehrfurcht.
Ja glaub ich’s denn? Gladbach führt, beziehungsweise: GLADBACH FÜHRT! Weil Real leichtfertig wird, weil Plea schnell schaltet und einen traumhaften Querpass spielt und weil Marcus Thuram eiskalt bleibt und den Ball in den rechten Winkel donnert. Noch ein Tor, und Zidane wird in der Halbzeit entlassen.
Eine Kombination, so schön, ich möchte bei Domian anrufen und ihm beichten, dass ich mich in sie verliebt habe.
Mal angenommen, durch dieses Tor rutscht Real Madrid endgültig in die Krise, dann wäre der Sohn von Lilian Thuram dafür verantwortlich, dass dessen alter Buddy Zinedine Zidane richtig Probleme bekommt. Irgendwie ulkig. Vor allem, wenn ich das mit meinem Leben vergleiche. Denn das einzige Problem, das ich Kumpels meines Vaters bereiten könnte, wäre ihnen in der Kneipe auf den Zeiger zu gehen.
Gladbach jetzt wie Partygänger nach einem Gang auf die Clubtoilette: deutlich selbstbewusster.
Casemiro mit Handschuhen. Könnte mir bei einem wie ihm gut vorstellen, dass er selbst auf die Eisenstollen geschraubt hat.
Hazard gibt es auch noch, sagt Fuss. Aber mal ganz im Ernst: Statt 100 Millionen an Chelsea zu überweisen, hätte Real auch mich holen können. Also wenn es nur darum geht, mit fünf Kilo zu viel auf der Bank zu sitzen und Englisch mit starkem Akzent zu sprechen.
Mal angenommen, Menschen könnten dieses Spiel heute dicht an dicht und angesoffen in Kneipen gucken, jede Wette, dass bei der Rose-Einblendung gerade in ausnahmslos JEDER Kneipe dieses Landes ein dummer Spruch gefallen wäre.
Dann pfeift der Schiedsrichter die erste Hälfte ab. Gladbach führt tatsächlich mit 1:0 gegen Real Madrid. Wow. Zuletzt so positiv verwundert war ich, als Matthäus vorhin den Namen Zinedine Zidane ausgesprochen hat.
Real in der zweiten Hälfte laut Junior-Experte Benedikt Höwedes wie die armen Teufel mit den schlechten Fahrrädern und den viel zu großen Viereck-Rucksäcken: müssen liefern.
Es soll ja Zeiten gegeben haben, in denen sich Real Madrid und Borussia Mönchengladbach auf Augenhöhe begegnet sind. Zeiten, in denen Günter Netzer der letzte Schrei war und das Fernsehbild noch nicht in Farbe im Wohnzimmer ankam. Für mich, Jahrgang 89, irgendwie unvorstellbar. Ich muss unbedingt mal Kollege Bock fragen, wie sich das damals angefühlt hat – vor allem für ihn als Sportreporter.
Anstoß. Und jetzt gilt es: Die Gladbacher müssen hinten den Laden so dichtmachen, dass Karl Lauterbach ihnen die Goldene Lockdown-Medaille verleiht.
Gladbach jetzt vermehrt hinten rum, immer wieder Rückpass auf Sommer, der bisher hält, als sei es nie Herbst geworden.
Chance für Real. Neuhaus lenkt einen Schuss an den Pfosten. Erstaunlicherweise nicht mit einem Traumpass, sondern mit einem Kopfball. Pardon, mit einem Traumkopfball.
Ramos sieht mittlerweile aus wie ein Druide, der sich in einem Fler-Video verlaufen hat. Kurzum: so ähnlich wie der Kollege Max Dinkelaker, wenn er donnerstags im Casual-Friday-Look zur Arbeit kommt.
Gladbach kloppt jetzt Bälle raus. Radikal, kompromisslos und hart. Diese Verteidiger trauen sich alles, da bin ich mir sicher. Sie würden sogar um 19:55 Uhr ein After Eight essen und um 8.30 Uhr ein Knoppers. Toll.
Wie ist das eigentlich, wenn an der Seitenlinie einer wie Zinedine Zidane steht? A. Man zieht extra glänzende Schuhe an. B. Man lernt extra coole Sprüche für den Trash-Talk. C. Man träumt die ganze Zeit davon, wie man eine Flanke von Zidane per Scherenschlag in den Winkel setzt. Plea, dieser Wunderknabe, würde zu D tendieren: Ihm in der Halbzeitpause einen Zettel in die Hand drücken, auf dem steht: „Ich habe als Kind schon davon geträumt, einmal in FC-Barcelona-Bettwäsche zu schlafen. Und nun hör auf, von meinen Pässe zu tagträumen!“
Toooooooor! 2:0. „Der zweite Torabschluss von Gladbach“, weiß Fuss. Oder wie Rudi Völler einst sagte: „Das ist eine 110-prozentige Chancenauswertung, aber die halbe Miete ist das noch nicht.“
Von außen Ansagen. Was ja hier in der Champions League exakt so ist wie beim Kreisligakick im Detmold oder Südthüringen: Ansagen (vom Trainer oder von den Spielern) werden immer, ja wirklich immer, doppelt gemacht. Als hätten sie sonst keine Gültigkeit: „Passenpassen!“, „Hintermannhintermann!“, „Ballball!“, „Drückendrücken!“, „Rausraus“, „Spielenspielen“. Kenne das sonst nur von Twitter, wo einer immer Hallohallo schreibt. Vermutlich ein ehemaliger Champions-League-Trainer aus Detmold.
Alter. Gladbach spielt Real jetzt regelrecht schwindelig, Lupferpass hier, Tunnel da, Dribbling dort, dann fast das 3:0 von Stindl. Spätestens jetzt würde ich als Gladbacher Spieler allerdings eine Lebensversicherung abschließen. Für die Duelle mit Ramos.
11FREUNDE-Kolumnist Kramer sieht nach einem überharten Einsteigen Gelb. Kollege Bock nickt stolz.
Real Madrid wechselt Modric und Hazard ein, während Gladbach Doppeltorschützen Thuram auswechselt. Wäre das Spiel ein Schiff, es hätte plötzlich ordentlich Schlagseite.
0:2 hinten. Gegen Gladbach. Wenn es einen Mensch auf der Welt gibt mit weniger Geduld als Friedrich Merz, dann ist das definitiv Sergio Ramos.
Vielleicht ein bisschen Off-Topic, aber es interessiert mich nun mal: Wie geht es euch eigentlich damit, dass ihr dank der Merkeldiktatur nach 23 Uhr kein Adrenochrom mehr am Späti bekommt?
Apropos Off-Topic und nerviger Blödsinn: Haben Sie eigentlich schon mal über SKY Q nachgedacht???
Und genau jetzt hätte Cristiano Ronaldo das erste von drei späten Toren gemacht. Per Elfmeter. Der eigentlich keiner war.
Hannes Wolf nun bei Gladbach im Spiel. Immer wieder erstaunlich, dass der HSV und Stuttgart offenbar ein gutes Sprungbrett für die Champions League sind.
Modric ist 35, erfahre ich gerade. Das macht mir Angst. Neulich schon wurde der ewige Teenie-Schwarm Mehmet Scholl greisenhafte 50. Wie alt bin ich eigentlich? 102? Wenn ja: Hallo BVG, muss ich immer noch für die Kurzstrecke zahlen oder fahr ich mittlerweile für lau?
Letztendlich muss man sagen: Das hier mit Fans, mit tausenden singenden und tanzenden Gladbachern. Alles in Schwarz-Weiß-Grün. Gesänge, die durch die ganze Stadt wehen. Wen das nicht anrührt, der ist Kölner oder frisst morgens Nägel im Müsli. Was vermutlich dassselbe ist.
Ohnooooo. Real verkürzt. Benzema trifft. Jetzt wird das hier eine ganz ganz hotte Kiste. So hot vielleicht, dass der ultimative Hotspot Neukölln dagegen wirkt wie eine Kältekammer.
Bensebaini schießt einen Freistoß auf die Tribüne, der Ball verkeilt sich zwischen den Sitzreihen. Bensebaini ballt die Faust. Bis Yann Sommer ihm verrät, dass mehrere Bälle im Umlauf sind und der Schiedsrichter vier Minuten Nachspielzeit verkündet. Wofür? Naja, diesdasjenes. Wir trinken vor Wut einen Ahlenfelder.
Achkommschondasistdochscheiße! Casemiro gleicht tatsächlich aus. In der dritten Minute der Nachspielzeit. Marco Rose bereitet jetzt schon Post-its für das nächste CL-Spiel vor: „Ein Spiel dauert 90 Minuten. Und manchmal 90 +3. Und vielleicht sogar +4. Ein Spiel dauert verdammt noch mal so lange, bis der verdammte Mann in Rot/Grün/Schwarz/Gelb/Pink abpfeift!“