Huch, schon wieder ein Titel für den FC Bayern. Der Liveticker war Zeuge beim nächsten Schritt auf dem Weg zur bajuwarischen Weltherrschaft.
Noch eine Stunde bis zum Anstoß des Endspiels um den DFB-Pokal und gerne bemüht sich der Autor dieser Zeilen, so etwas wie Vorfreude und Euphorie zu erzeugen, doch, ach, Corona wirft auch auf dieses Spiel seinen langen Schatten – keine Fans im Endspiel, niemand da in Berlin, das muss man erstmal sacken lassen. Sagen wir es so: Es wird bestimmt kein Finale wie jedes andere. In froher Hoffnung auf so etwas wie Atmosphäre – bis gleich!
Leverkusen gewann das Ding zuletzt 1993. Da hatte ich noch keine Haare am Sack und die Fußballer trugen Namen wie Rüdiger Vollborn, Oliver Holzbecher oder Franco Foda (im Bild). Ach ja, und zum Vogel des Jahres wurde der Flussregenpfeifer gekürt. Wusstet ihr natürlich.
Apropos Franco Foda. Dass der Mann noch nicht im Aufsichtsrat von Tinder sitzt. Könnt ja mal nachschlagen, was seine Name auf portugiesisch bedeutet.
NEEEEINNN!!! Welcher wahnsinnige PR-Entscheider bei Alpecin hat Dr. Klenk aus dem Programm genommen? Was soll er denn jetzt machen? Außer mit Dr. Best und dem Melitta-Mann Boule im Park zu spielen.
„Dr. Klenk, sie sind dran!“
Dr. Klenk: „In der Tat.“
Die Bayern natürlich in Bestbesetzung. Heute hat deren Zwote die Dritte Liga gewonnen. Ich würde ja recht herzlich gratulieren, wenn das nur nicht so verdammt unheimlich wäre.
Jeweils 125 Delegationsmitglieder von beiden Vereinen auf den Rängen. Willkommen in der DDR, Willkommen zum DFB-Pokalfinale 2020. Inklusive Nationalhymne in einem leeren Olympiastadion. So beschissen hatte ich mir die Zukunft früher nicht vorgestellt. Kai Havartz, angeblich Zukunft des deutschen Fußballs, singt tapfer gegen den Frust der Gegenwart an. Und Hoeneß klatscht mit Mundschutz. Klingt alles irgendwie wie ein Kiffertraum.
Schweigeminute für die Corona-Opfer. Der Fußball bedankt sich bei den Opfern. Pardon, gedenkt.
Sorry, muss Ticker abbrechen und zum Augenarzt. Eben Laufduell zwischen Davies und Diaby beobachten wollen. Diagnose: Ausgerenkte Pupille. Und wir dachten früher, dass niemand schneller laufen würde, als Andy Buck.
Der Jubel der anwesenden 700 ist ohrenbetäubend. Am Zaun, Oberkörper entblößt, Ulrich Hoeneß, 17-jähriger Fleischerlehrling aus Starnberg, einer dieser sogenannten Fußballfans. Rummenigge zündet ein Pyro, Rudi Völler, der Fuchs, hat Rauchpulver im Schuh reingeschmuggelt. Aus seinem Ego bastelt Oliver Kahn spontan eine 150 Quadratmeter große Choreo.
Na immerhin. Wenn schon kein Schwein rumgrölt, knallt es wenigstens in den Zweikämpfen. Wenn die Corona-Sperre ihr Gutes hat, dann, dass man jetzt jeden Pressschlag glasklar genießen kann. Millionen Abwehrspielern wird dabei immer ganz warm ums Herz.
Thomas Müller. Wann gewinnt der Junge endlich mal Silberware? Würde ich ihm wirklich gönnen. Immer Zweiter sein macht doch traurig.
„Kimmich hat sich wehgetan“, spricht Tom Bartels und überall im Land möchten jetzt junge Mütter aufspringen, um dem kleinen Joshua auf die Wunde zu pusten. Da steht Kimmich wieder auf. Trotzig: „Tut gar nicht weh.“ Ach so. Spiel geht weiter, Bartels räuspert sich.
DFB-Präsident Fritz Keller im Gespräch mit Kalle Rummenigge. Worüber unterhalten sich diese Männer? Problemfans? Dietmar Hopp? Uhren? In der Ferne streichelt Marcel Reif gedankenverloren seine Daytona. Herrliche Spiele unter Männern waren das.
TOR. 1:0 für Bayern München, wunderschöner Freistoß von David Alaba. Toll, ehrlich. Nur könnten wir jetzt eigentlich auch umschalten. Hände hoch, wer ist dafür, dass ich lieber „Die größten Fernsehmomente der Welt“ tickere? Auf dem letzten Platz: Das Geisterfinale, in dem der FC Bayern zum 20. Mal Pokalsieger wurde, was damals wirklich niemanden, aber auch niemanden wirklich aus dem Sessel riss.
Auf der Tribüne: Stefan Kießling und Rudi Völler. Ihre Blicke sagen: „Lieber Alex Raack, schalt auf jeden Fall um, das Ding hier ist durch.“ Tante Käthe schnäuzt sich traurig in den Küchenkittel.
Es ist so verdammt leise im Stadion, dass man, wenn man genau hinhört, die Stimme in Tom Bartels Ohr hören kann. Ein Ort, den ich nie betreten wollte. Covid19 ist ein Bastard.
Klatsch, 2:0 FC Bayern. Fehler im Aufbau bei Leverkusen, Konter, Gnabry läuft durch und haut ihn dermaßen trocken ins lange Eck, dass Peter Bosz kurzfristig auf Staublunge untersucht werden muss.
Einer hat immer noch Hoffnung. Bartels fabuliert gedankenverloren darüber, ob sich die Leverkusener jetzt nicht mit diesem Ergebnis in die Pause retten sollten, um dann, ganz vielleicht, noch was zu reißen. Ich winke so müde ab, dass ich ungebremst in den Powernap falle und dort von Uli Hoeneß Träume. Ich brauche unbedingt mehr Alkohol.
Wenn die Bayern gewinnen, haben die 30 Meisterschaften und 20 Mal den DFB-Pokal gewonnen. Früher sahen wir solche Statistiken aus Norwegen oder Paraguay und dachten: Bananenligen. Kalle Rummenigge versucht eine Chiquita durch den Zoll zu schmuggeln.
Armer Bartels. Er muss da in diesem leeren Stadion sitzen, beim Stand von 2:0 für die Bayern nach gut einer halben Stunde, und darf nicht einfach sagen, wie furchtbar öde das alles eigentlich ist. Kein Mensch im Stadion, ein paar klatschende Funktionäre und schreiende Athletiktrainer, Spiel durch. Die Parole lautet durchhalten.
Was machen wir denn jetzt mit dem angebrochenen Abend? Nur rumnölen kann ja auch nicht sein. Respekt vor den Bayern, ganz klar. Krasse Kicker, klarer Stil, superduper. Aber wie soll das weitergehen? Wollen wir uns einfach damit arrangieren, dass dieser Verein in den kommenden zehn Jahren vermutlich zehnmal die beste Mannschaft stellen wird? Wird dann nicht auch einem Mann wie Uli Hoeneß langweilig? Und wie sollen wir das Rad der Zeit zurückdrehen? Deutscher Fußball, wie geht´s nur weiter mit Dir?
45 Minuten lang war Bayern die bessere Mannschaft. Und werden es, machen wir uns nichts vor, auch nach der Halbzeit sein. Ich gehe jetzt traurig in alten Kicker-Almanachen blättern und betrinke mich mit dem Libero-Schnaps vom Edeka. Jetzt ist alles egal. Bis gleich.
Als ich schon in eine neuerliche Fußball-Depression fallen wollte, trat Jogi Löw mit Schweini vor die Kamera und kurz war es ein bisschen so wie früher. Immer wieder herrlich, diesen Mann zu sehen, der aussieht wie ein Erdkundelehrer, der in seiner Freizeit gerne Salsa tanzt und das Wort „frivol“ ganz spannend findet – aber eigentlich seit 100 Jahren die Nationalmannschaft trainiert.
Eine ähnliche Dominanz sah ich zuletzt 1996 auf dem Schulhof, als der Schulhofschläger mit der Schweinenase auf mich eintrat. Ich wurde damals von einem gebürtigen Tadschiken gerettet, der den Kerl mit der Schweinenase einfach aus dem Klassenzimmer schmiss. Fazit: Ein Tadschike würde dem Spiel gut tun!
Bartels, der Arme, jauchzt vor lauter Trübsinn eine Minute lang über einen Spruch von Thomas Müller, der über die Außenmikrofone zu uns drang. Irgendwas mit „Den spiele ich seit zehn Jahren zu, bla“. Es ist und bleibt irgendwie alles wie ein ganz merkwürdiger Drogentrip. Wird noch verstärkt, wenn die Kameras dieses leere Riesenstadion zeigen. War zuletzt so, als Tasmania noch erste Liga spielte.
Eine Art Chance für Leverkusen. In etwa so ein Wirkungstreffer wie damals, als ich auf einer der ersten Partys in Berlin eine Lady fragte, ob ich ihr ein Bierchen spendieren könne, sie mich freundlich anstrahlte und dann zuckersüß antwortete:
„Nein.“
Wenn dieses Spiel ein Anmachversuch wäre.
In eine Mini-Sturmunddrangpase hinein passiert das: Langer, hoher Ball auf Lewandowski, der zieht volley ab und Hradecky fäustelt sich das Ding irgendwie selber rein. Nachdem übrigens kurz vorher Volland komplett frei vor Neuer unbedrängt lieber ein Luftloch schoss, statt den Anschlusstreffer. Würde mich nicht wundern, wenn sich diese Truppe nachher beim Spalier stehen noch die Hüften ausrenkt.
Laurel&Hardy haben eben angerufen. Sie würden gerne die Finalleistung von Bayer 04 verfilmen. Wenn diese Truppe eine Simpsons-Figur wäre, dann wäre sie Frank Grimes. Oder Grimey, wie er gerne genannt wurde.
Und dann beinahe noch das 2:3. Eine Chance, die sich Ulf Kirsten früher in den Kaffee gerührt hat. Bitter.
Und in einer kleinen gemütlichen Mietswohnung in Köln-Nippes sitzt ein Marktschreier und freut sich, dass das Schneid, dass er heute Mittag an Peter Bosz verkauft hat, endlich seine Wirkung zeigt. Anruf bei Hans-Peter Lehnhoff: „Geht da noch was?“ „Äh.“ „Danke!“
Jetzt will Leverkusen Bayern einschnüren, aber Leverkusen ist nicht Bayern und deshalb dürfen wir lediglich dabei zuschauen, wie 04 eine hübsche große Schleife bindet, aus der sich Lewandowski mühelos befreit und fast das 4:2 erzielt.
Da fällt mir doch glatt der Zynismus aus der Tasche. Plötzlich ein aufregendes Fußballspiel und Bayer am Drücker. Ich zwinge mich jetzt einfach, hier noch an ein Wunder zu glauben. Dann schießt sich Demirbay bei einer Ecke selbst an. Kein Scheiß. Als würde sich Axel Schulz selbst in die Fresse hauen, Schumi die Karre abwürgen oder Steffi Graf vergessen, wie ne Rückhand geht. So viel zum Wunder, seufz.
Routiniert wie alter Fahrlehrer nimmt Bayern das Tempo aus dem Spiel, Hansi Flick kurbelt lässig das Fenster runter und ascht in den Wind. Und Manuel Neuer heißt plötzlich Archie.
Leverkusen versucht es ja. Müht sich. Läuft viel. Ackert jetzt. Aber das wirkt so wie die ewigen Versuche kleingewachsener Komparsen, immer und immer wieder Bud Spencer K.o. schlagen zu wollen. Uli Hoeneß freut sich schon aufs Bockwurstwettessen, Kahn auf die Neuverfilmung von Banana Joe.
Flick mit dem Bossmove. Bringt kurz vor Ende Coutinho und Thiago. Nächstes Jahr wird Leroy Sané bei denen Zeugwart.
Müller trotzdem angepisst, weil er ausgewechselt wird. Irgendwie drollig. Aber auch befremdlich. Einigen wir uns auf berollig. Jetzt aber wieder gut drauf, denn: Tor. 4:1 für die Bayern, Lewandowski mit einem feinen Chip, klasse, Gückwunsch, ächz.
Und Felix Zwayer denkt sich: Ach, was solls. Und gibt nochmal Elfmeter für Leverkusen. Havartz darf. Haut ihn in den Winkel, 2:4. Hurra.
Und so endet dieses Finale vor leeren Rängen und ein paar klatschenden Edelfans mit 4:1 für den FC Bayern. Drei Tore Differenz im Finale, Stanni. Lewandowski macht sein 50. Saisontor, Bayern hat jetzt 30 Meisterschaften und 20 Pokale, macht 50fache Dominanz für uns alle die Erkenntnis: Nie war der deutsche Fußball weniger spannend. Kann man doll finden als Bayern-Fan, muss man aber nicht. Ich wünsche euch allen einen schönen Samstagabend. Vielleicht sehen wir uns alle bald beim Rasenhockey.