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Herr Stride, Sie beschäf­tigen sich in Ihrer For­schung mit Sta­tuen von Fuß­bal­lern und anderen Sport­lern. Vor kurzem haben sie eine umfas­sende Daten­bank zu dem Thema vor­ge­stellt. Was haben Sie her­aus­ge­funden?
Fuß­ball­sta­tuen sind ein welt­weites Phä­nomen, es gibt sie fast überall. Meist stellen Ver­eine die Skulp­turen auf, um nost­al­gi­sche Gefühle bei ihren Fans her­vor­zu­rufen. Sie sollen iden­ti­täts­stif­tend wirken. Fast alle Sta­tuen sind in den ver­gan­genen 20 Jahren ent­standen – die Klubs haben gemerkt, dass sie auf diese Weise für sich werben können.

Wie sieht die typi­sche west­eu­ro­päi­sche Fuß­ball­statue aus?
Sti­lis­tisch domi­nieren Ein­zel­fi­guren in Aktion, Jubel­gesten sind sel­tener. Am häu­figsten werden Stürmer ver­ewigt. Das hat aber damit zu tun, dass meist Spieler aus den 1950er und 1960er Jahren aus­ge­wählt werden, damals wurden tak­tisch mehr Stürmer auf­ge­stellt.

Sta­tuen von Feld­herren, Dich­tern und Poli­ti­kern gibt es schon lange – wieso werden nun auch immer mehr Fuß­baller ver­ewigt?
Es geht darum, Authen­ti­zität für sich zu bean­spru­chen. Fuß­ball ist heute global, viele Ver­eine bauen neue Sta­dien, das Spiel wird immer kom­mer­zi­eller. Das fes­tigt das Band zwi­schen dem Klub und seinen Anhän­gern nicht gerade. Fans denken nun mal gerne, ihr Klub sei etwas Beson­deres. Eine Statue soll die Geschichte des Ver­eins ver­deut­li­chen und seine lokale Ver­an­ke­rung betonen.

Wer kommt für eine Statue infrage?
In Groß­bri­tan­nien werden oft beson­ders loyale Spieler, Helden der Ver­gan­gen­heit, für Sta­tuen aus­ge­wählt. Die Leute sollen denken: Ach ja, als ich klein war, habe ich diesen Spieler hier gesehen.“ Es geht um schöne Kind­heits­er­in­ne­rungen. In Deutsch­land hat der 1. FC Nürn­berg zum Bei­spiel Max Mor­lock als Statue ver­ewigt. Die Nürn­berger können sagen: Wir hatten Mor­lock, einen Helden des deut­schen Fuß­balls – das macht uns zu etwas Beson­derem.

Welche Rolle spielen die Sta­tuen im Leben der Fans?
Wenn man Fuß­ball als Reli­gion betrachtet, ist das Sta­dion die Kathe­drale – und eine Statue ist wie ein Schrein. Als Fans von Leeds United im Jahr 2000 bei einem Aus­wärts­spiel in Istanbul ersto­chen wurden, wurden viele Blumen am Denkmal für den Leeds-Spieler Billy Bremner nie­der­legt. Es gibt aber auch weniger fried­liche Rituale: Zum Bei­spiel ver­su­chen manchmal Fans, eine geg­ne­ri­sche“ Statue mit den eigenen Schals, Tri­kots und Farben zu deko­rieren. In Nor­wegen gingen 2013 Fans von Valer­enga Oslo sogar so weit, eine Statue von Lil­le­ströms Spieler Tom Lund zu köpfen.

Wenn man in Ihrer Daten­bank stö­bert, fällt auf, dass die meisten Sta­tuen sehr ähn­lich gestaltet sind: eher natur­ge­treu, aus Bronze, figür­lich, alt­mo­disch. Wieso?
Die Öffent­lich­keit mag diesen Stil. Sie dürfen nicht ver­gessen: Es geht darum, den Fans Helden zu prä­sen­tieren. In den meisten Fällen sind die Sta­tuen Auf­trags­ar­beiten, mit klaren Anwei­sungen. Die Ange­hö­rigen des Spie­lers sollen nicht vor den Kopf gestoßen werden – und die Masse von 20 000 oder 30 000 Fans erst recht nicht. Die Klubs gehen auf Nummer sicher. Es geht eher um Mar­ke­ting als um visu­elle Geschichts­schrei­bung.


Gibt es Aus­nahmen von dieser Regel?

In Stock­holm steht eine abs­trakte Statue, die den schwe­di­schen Natio­nal­spieler Lennart Skog­lund als Teil einer Mauer zeigt. Sehr kreativ, über­haupt nicht figür­lich. Diese Skulptur ist aber nicht von einem Verein bezahlt worden, son­dern von der Kom­mune. Da sind die Chancen für einen inter­es­santen Ent­wurf weitaus größer. In Deutsch­land gibt es weniger Sta­tuen, dafür sind die Skulp­turen span­nender. Uwe See­lers gigan­ti­scher Fuß in Ham­burg ist natür­lich unge­wöhn­lich. In Mön­chen­glad­bach sind Günter Netzer, Her­bert Wimmer und Berti Vogts als Mario­netten dar­ge­stellt – sehr seltsam!

Wird diese Art von Krea­ti­vität hono­riert?
Eher selten. In den USA gab es Pro­teste gegen eine Statue eines Base­bal­lers, den der Künstler mit fünf Armen dar­ge­stellt hatte. Kam gar nicht gut an.

Der eng­li­sche Erst­li­gist FC Arsenal hat inzwi­schen fünf Sta­tuen vor seinem Sta­dion stehen. Auf der Brust des lang­jäh­rigen Kapi­täns Tony Adams ist sogar der Schriftzug des Spon­sors nach­ge­bildet. Das wider­spricht dem Kon­zept einer ein­zig­ar­tigen, zeit­losen Statue doch völlig.
Natür­lich. Das zeigt, wie paradox das Ganze ist: Einer­seits will sich der Verein als geer­deter, his­to­risch gewach­sener und mit den Fans eng ver­bun­dener Klub dar­stellen. Ande­rer­seits kostet so eine Statue um die 80 000 Euro, die oft von Spon­soren bezahlt werden. Bill Shankly, der ehe­ma­lige Trainer vom FC Liver­pool, war beken­nender Sozia­list, auf dem Sockel seiner Statue in Anfield prangt aber ein nicht zu über­se­hendes Carlsberg“-Logo. Es ist wirk­lich riesig. Shankly hätte es gehasst.

Sie haben für Ihre Studie mehr als 1000 Sta­tuen in 56 Län­dern kata­lo­gi­siert. Haben Sie ein Lieb­lings­expem­plar?
Die wit­zigsten Sta­tuen stehen in China: Nachdem sich die chi­ne­si­sche Natio­nal­mann­schaft für die WM 2002 qua­li­fi­ziert hatte, wurden in nur drei Monaten Sta­tuen von 44 Per­sonen errichtet – von allen Spie­lern, Trai­nern, Betreuern, Über­set­zern, Funk­tio­nären. Die Mann­schaft verlor anschlie­ßend alle drei Vor­run­den­spiele, schoss dabei kein ein­ziges Tors und schied sofort aus. Ich finde das köst­lich. Sta­tuen sagen oft mehr über ihre Auf­trag­geber und den Zeit­punkt ihres Ent­ste­hens aus als über die Person, die sie dar­stellen.

Sie lehren an der Uni­ver­sität von Shef­field eigent­lich Sta­tistik. Woher kommt Ihre Lei­den­schaft für Sport-Sta­tuen?
Eines Tages kam ein Kol­lege in mein Büro und zeigte mir Bilder von Sport­sta­tuen. Er fragte mich, ob ich wüsste, wie viele es von diesen Din­gern in Groß­bri­tan­nien gebe. Und wenn man als Sta­tis­tiker gefragt wird, wie viele Exem­plare es von irgend­einer Sache gibt, muss man es ein­fach raus­kriegen.

Was halten Sie von der berühmten Skulptur des alge­ri­schen Künst­lers Adel Abde­s­semed, die den Kopf­stoß von Zine­dine Zidane gegen Marco Mate­razzi im WM-Finale 2006 zeigt?
Ich finde sie sehr gelungen. Weil sie einen Moment der Schwäche und des Schei­terns zeigt – und keinen Tri­umph. Viele Leute denken, Sta­tuen würden Geschichte dar­stellen, dabei bilden sie meist nur posi­tive Gefühle ab. Aber der Fuß­ball besteht aus unend­lich vielen Ver­lie­rern, nur die wenigsten Spieler und Mann­schaften gewinnen Titel. Natür­lich werden Sta­tuen in erster Linie errichtet, um an diese Momente zu erin­nern. Gleich­zeitig sind die Erfah­rungen der Fans doch sehr stark vom Schei­tern geprägt, vom Leiden.

In Katar wurde die Kopf­stoß-Statue nach Pro­testen schnell wieder abge­baut.
Ich fand die Idee der Katarer wahn­sinnig komisch, mit der Skulptur für die WM 2022 werben zu wollen. Sie zeigt schließ­lich die dunkle Seite des Fuß­balls – die aller­dings sehr unter­haltsam sein kann. Der Zidane-Moment hat viele Men­schen fas­zi­niert. Es gibt eben nicht nur her­aus­ra­gende Augen­blicke auf dem Fuß­ball­feld, vieles ist eher stumpf­sinnig und lang­weilig. Des­wegen brau­chen wir auch lus­tige und tra­gi­sche Momente, um Fuß­ball zu genießen. Es wäre schön, wenn Sta­tuen das noch mehr reflek­tieren würden.