Heute wird Olaf Seier 65 Jahre alt. Er machte über 200 Spiele für Union Berlin und träumte von der Bundesliga. Als die Mauer fiel, war er aber schon zu alt. Also ging er nach Venezuela.
Dieses Interview entstand im Sommer 2019 im Rahmen unseres Bundesliga-Sonderhefts. Darin erzählen Olaf Seier und neun andere Unioner ihre persönlichen Geschichten von und mit den Eisernen. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Olaf Seier, wie haben Sie Unions Relegationsspiele gegen den VfB Stuttgart verfolgt?
Am liebsten schaue ich Fußballspiele alleine zu Hause. Da bin ich nicht abgelenkt und kann mich konzentrieren. Diesmal war ich allerdings ziemlich nervös, also habe ich erstmal nur das Radio angemacht, doch die Aufregung ging nicht weg. Am Ende saß ich dann wieder vor den Fernseher – allerdings vor dem Videotext.
Und da wurden Sie ruhiger?
Na ja. In der Schlussphase des Rückspiels gingen mir viele Gedanken durch den Kopf. Wir hatten ja einige Big Points liegengelassen. Die blöde Niederlage gegen Darmstadt am 32. Spieltag zum Beispiel. Das Spiel gegen Bochum am letzten Spieltag, das wir beinahe noch gedreht hätten. Trotz der guten Ausgangssituation, die wir uns im Hinspiel in Stuttgart erarbeitet hatten, wirkte der VfB immer noch wie ein Gigant auf mich. Er war der große Bundesligist, Union der Köpenicker Underdog.
Nun ist Union zum ersten Mal ein Bundesligist. Wie lange?
Wir halten auf jeden Fall die Klasse. Wichtig wird sein, dass Union weiterhin seinen Charakter bewahrt.
Was ist denn das Besondere an Union?
Dass dort Leute arbeiten, die schon seit Ewigkeiten dabei sind. Präsident Dirk Zingler ist etwa schon mit seinem Großvater an die Alten Försterei gekommen, in den Siebzigern und Achtzigern, als hier wirklich noch ein Förster gelebt und gearbeitet hat. Auch viele Fans gehen seit Jahrzehnten zu Union. Schon zu DDR-Zeiten hatte der Verein eine große Anhängerschaft. Eines meiner größten Spiele war im Mai 1988 in Karl-Marx-Stadt. Über 4000 Unioner sind mitgereist, wir mussten gewinnen, um die Klasse zu halten. Ich machte das 1:1, und Mario Maek traf in der 90. Minute zum 3:2. Die Fans sind auf den Rasen gestürmt, es war eine großartige Fete.
Sie haben in acht Jahren für Union Berlin über 200 Spiele gemacht. Angefangen hat Ihre Karriere aber beim großen Rivalen BFC Dynamo.
Fußballspielen gelernt habe ich in meiner Heimat, bei der SG Dynamo Rostock-Mitte. Eines Tages lockte mich der BFC nach Berlin. Das war eine große Sache für mich. Wir haben natürlich oft gegen Union gespielt, und ich muss sagen: Die Alte Försterei fand ich schon damals toll, auch wenn ich das nicht laut sagen durfte. 1983 bin ich dann zu Union gewechselt. Anfangs war ich skeptisch, wie die Fans mich aufnehmen würden, aber sie schlossen mich in ihr Herz. Natürlich wurden da auch mal Sprüche gedrückt, wenn wir verloren haben. „Tank ma bisschen Kondi im Wald!“ Aber immer mit einem Augenzwinkern, das war nie bösartig, selbst wenn wir verloren hatten.
Wie war es bei den Derbys?
Da hat es auch mal geknallt. Was ich schade fand: Die Derbys wurden viele Jahre immer im Stadion der Weltjugend ausgetragen. Erst 1988 hatten wir ein echtes Heimspiel an der Försterei. Blöd nur: Ich saß wegen einer Gelbsperre auf der Tribüne.
Stimmt es, dass in den Achtzigern sogar Herthaner aus West-Berlin zu Union gegangen sind?
Absolut. Manchmal, wenn es Ecke gab oder wir zur Halbzeit vom Platz gingen, ließ ich meinen Blick über die Ränge schweifen – und da sah man immer wieder blau-weiße Schals. Die haben sich mit getauschten Ostmark einen schönen Abend gemacht. Es gab keine Abgrenzung, Feindschaft oder Rivalität. Berlin war vereint – zumindest im Fußball.