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Marcel Witeczek, bewegt Sie die aktu­elle Flücht­lings­de­batte?
Natür­lich. Ich war ja selbst ein Flücht­ling.

1982 kehrte Ihre Familie von einem Urlaub nicht zurück nach Polen und blieb statt­dessen in Deutsch­land. Welche Erin­ne­rungen haben Sie an diese Zeit?
Bereits ein Jahr vorher hatten meine Eltern die Flucht geplant. Sie bean­tragten ganz offi­ziell eine Geneh­mi­gung für einen Urlaub im Westen. Doch damals durfte mein kleiner Bruder nicht mit, ihn wollten sie ver­ständ­li­cher­weise nicht alleine in Polen lassen. Mit einem Wohn­wagen fuhren wir an die Cote d‚Azure, Ita­lien, Schweiz, Öster­reich – und schließ­lich zurück nach Tychy (eine Stadt im Süden Polens, d. Red.). Ein Jahr später wie­der­holten wir die Route – aller­dings mit meinem Bruder. Diesmal blieben wir in Deutsch­land. Erste Sta­tion unseres neuen Zuhauses war das Auf­nah­me­lager Fried­land.

Sie waren zum dama­ligen Zeit­punkt 13 Jahre alt. Waren Sie ein­ge­weiht in die Flucht­pläne?
Nein, dar­über wurde nicht gespro­chen. Aber ich habe etwas geahnt, ganz blöd ist man ja mit 13 auch nicht mehr.

Welche Gründe hatten Ihre Eltern, Ihr Hei­mat­land zu ver­lassen?
Mein Groß­el­tern sind als Deut­sche nach dem Ende des zweiten Welt­kriegs in Polen geblieben und hatten es in dem deutsch­feind­li­chen Klima nicht leicht. Zumal deutsch spre­chen streng ver­boten war. Wir wohnten später mit­samt meinen Groß­el­tern auf etwa 60 Qua­drat­me­tern, nicht viel für sechs Men­schen. Das Essen war ratio­niert, die Wirt­schaft lag am Boden, dazu kam die all­ge­meine Unter­drü­ckung durch die kom­mu­nis­ti­sche Dik­tatur. Meinen Eltern ging es wie wie den Mil­lionen von Flücht­lingen der Gegen­wart auch: Sie wollten ein bes­seres Leben für sich und ihre Kinder.

Wie haben Sie die Jahre in Polen erlebt?
Ich war noch ein Kind. Da spürt man nicht so viel von den eben beschrie­benen Pro­blemen. Zumal sich mein Leben eh meist auf der Straße abspielte. Wir wohnten direkt gegen­über vom Sta­dion, kamen da aller­dings nur manchmal rein. Häufig zim­merten wir uns eigene Tore und bolzten, bis es dunkel wurde. In Polen war es üblich, dass man erst mit 14 einem Verein bei­treten durfte. Also machte ich Kar­riere als Stra­ßen­fuß­baller.

Wie reagierten Sie, als Ihnen Ihre Eltern mit­teilten: Kinder, wir kommen nicht mehr zurück!
Natür­lich war ich zunächst geschockt, zumal das ja damals bedeu­tete, dass ich meine Groß­el­tern und Freunde nie wie­der­sehen würde. Gleich­zeitig war ich von den Ein­drü­cken im Westen so beein­druckt, dass diese Trauer nicht lange anhielt. Alles war anders und irgendwie bunter, heller, leben­diger. Die Läden waren voll mit Pro­dukten aus aller Welt, die Autos waren fas­zi­nie­rend, die Men­schen trugen andere Klei­dung. Ich war fas­zi­niert.

Wie ging es mit Ihrer Familie weiter?
Wir blieben zwei Wochen lang im Auf­nah­me­lager, ehe der Papier­kram erle­digt war, zogen dann für vier Wochen nach Unna-Massen und wurden schließ­lich in Mühl­heim an der Ruhr unter­bracht. Dort wohnten wir zu viert in einem alten Klas­sen­zimmer. Unser Start in ein neues Leben.