Marcel Schmelzer, bis zur A‑Jugend spielten Sie Linksaußen, ehe Sie BVB-Jugendtrainer Heiko Herrlich zum Verteidiger umschulte. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn Sie Stürmer geblieben wären?
Das habe ich tatsächlich. Dann würden wir wohl nicht hier sitzen und ein Interview führen.
Warum denn nicht?
(Lacht.) Weil meine Qualitäten als Angreifer nicht für das ausgereicht hätten, was ich in der Defensive erreicht habe. Es hat ja einen Grund, dass ich bis heute nur wenige Tore für den BVB geschossen habe.
Als Sie mit 17 aus Magdeburg nach Dortmund kamen, war keineswegs sicher, dass Sie je Profi werden würden.
Ich werde nie vergessen, wie nervös ich war, als Heiko Herrlich bei uns in Magdeburg anrief. Borussia war mein Lieblingsklub – der mir einen Vertrag geben wollte, einem Jungen aus den neuen Bundesländern. An eine Profilaufbahn habe ich da nie gedacht.
Sondern?
Ich dachte, die drei Jahre im Nachwuchs und bei den Amateuren machst du und schaust, was dabei raus kommt. Wahrscheinlich war es mein Glück, dass ich mir nie großartig Druck gemacht habe.
Und jetzt sind Sie einer der dienstältesten Borussen, führen das Team als Kapitän an und sind einer der wenigen aktuellen Bundesligaprofis mit Länderspielerfahrung, die nie in eine Juniorennationalelf berufen wurden.
In der Hinsicht war Miroslav Klose immer mein Vorbild. Er ist ja erst mit weit über 20 Jahren Profi geworden.
Merken Sie, dass Ihnen die Ausbildung in den U‑Nationalteams fehlt?
In gewisser Weise schon. Ich habe zwar eine vernünftige Ausbildung in Magdeburg durchlaufen, aber bei großen Klubs wird deutlich mehr Wert auf Technik gelegt. Schauen Sie die jungen Spieler an, die gerade in unseren Kader vorstoßen. Die müssen sich an vieles gewöhnen, aber ihre Technik ist perfekt. Wenn ich sehe, was die für Sachen machen, frage ich mich: „Haben die überhaupt eine Hüfte?“ Da kriege ich schon beim Zuschauen Schmerzen.
Und dennoch sind Sie seit Jahren eine zentrale Stütze Ihres Klubs.
Ich musste mich eben auf anderem Weg an dieses Niveau herantasten.
Das bedeutet?
Dass ich jede Pause zwischen Einheiten nutze, um an mir zu arbeiten, mich weiterzuentwickeln. Mir ist klar, dass ich nicht der Typ bin, der mal eben drei Leute ausspielt und dann ein Tor erzielt. Also muss ich versuchen, meine Stärken auf den Platz zu bringen, statt dem Gegner die Möglichkeit zu geben, meine Schwächen auszunutzen.
Mit dieser Strategie behaupten Sie trotz eingeschränkter technischer Möglichkeiten Ihren Platz als Stammspieler beim BVB. Haben Sie eine Erklärung für Ihren konstanten Erfolg?
Ich glaube, das Plus unserer großen Zeit unter Jürgen Klopp war, dass wir als Mannschaft agiert haben. Stichwort: Mentalität. Damals waren einige Spieler im Team, die individuell vielleicht nicht am oberen Limit waren. Aber als Gemeinschaft waren wir unglaublich durchschlagskräftig. Ich mag es eigentlich nicht, wenn Fußballer von ihrer Mannschaft als Familie sprechen, aber viele Mitspieler aus diesen Jahren würde ich tatsächlich als Freunde bezeichnen.
Können Sie diese Freundschaft näher beschreiben?
Alle wissen, es geht immer um die Sache. Jeder kann sich auf den anderen verlassen. Natürlich braucht eine erfolgreiche Profimannschaft Qualität, aber die Mentalität eines Teams darf man nie unterschätzen.
Mit anderen Worten: Sie sind der Prototyp des Kloppschen „Mentalitätsmonsters“.
Der Trainer hat uns das damals sicher noch zusätzlich eingeimpft, aber viele Spieler brachten diese Mentalität schon mit. Nicht nur Typen wie Sven (Bender, d. Red), Roman (Weidenfeller), Neven (Subotic), Lukasz (Piszczek) oder ich, auch technisch hochausgebildete Typen wie Nuri (Sahin). Alle haben ihre Stärken bis ans Optimum ausgereizt.
Das Meisterteam von 2011 und ’12 kommt dem Mythos vom „Elf Freunde müsst ihr sein“ also sehr nahe?
Die Jungs, die ich gerade genannt habe: Wir spielen seit 2009 hier zusammen. Wir haben zusammen großen Erfolg gehabt, sind aber 2015 gemeinsam auch durch sehr schwere Zeiten gegangen. So etwas prägt, und dieses Gemeinschaftsgefühl wird über den Fußball hinaus andauern.