Karl-Heinz Flossbach aus Gelsenkirchen wird im Dezember 90 Jahre alt. Das hält ihn aber nicht davon ab, weiter mit dem FC Schalke 04 durch Europa zu reisen. Warum er ausgerechnet auf ein Auswärtsspiel bei Schachtar Donezk hofft.
Herr Flossbach, Sie sind Allesfahrer, wenn der FC Schalke 04 auswärts in Europa spielt. Während andere Menschen in Ihrem Alter bestenfalls im Seniorenheim auf die Ziehung der Bingozahlen warten, fiebern Sie der Champions League Auslosung in Monaco entgegen. Kribbelt es schon?
Na klar. Es kribbelt schon seit dem Augenblick, als klar war, dass Schalke wieder Champions League spielt. Für mich war es eine Katastrophe, als die Jungs in der Saison 2016/17 die Quali verpassten und ich nicht durch Europa reisen konnte. Ich bin ja in einem Alter, in dem man keine Bausparverträge mehr abschließt. Mit Schalke in andere Länder zu reisen sind die letzten Abenteuer meines Lebens. Es klingt paradox, aber zu den Heimspielen gehe ich nicht mehr, obwohl ich in Gelsenkirchen lebe. Durch die jahrelange Arbeit unter Tage bekomme ich schlecht Luft und dazu sind meine Knochen am Arsch. Die vielen Treppen im Stadion packe ich nicht mehr, und nur für Reisen durch Europa nehme ich diese Anstrengung noch auf mich. Als wir unter Trainer Markus Weinzierl nur Zehnter wurden, dachte ich mir: Du musst dieses eine Jahr jetzt überleben, sonst siehst du Schalke vielleicht nie mehr live in Europa spielen. Und jetzt geht es endlich wieder los.
Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Wohin soll die Reise für Sie und Schalke in der Gruppenphase gehen?
In die Ukraine zu Schachtar Donezk, nach Russland zu Lokomotive Moskau, und nach Italien, wo jedem Schalker die Freudentränen kommen, wenn er an Inter Mailand, den UEFA-Cup-Sieg 1997 und das sagenhafte 5:2 denkt, als wir den damaligen Champions League Sieger Inter Mailand 2011 im San Siro Stadion weggefegt haben. Auf Moskau hoffe ich, weil ich Jefferson Farfan und Benedikt Höwedes gerne noch einmal zusammenspielen sehen möchte. Und Donezk ist immer mein Wunschlos.
Warum wünschen Sie sich ausgerechnet eine Fahrt in die Ukraine, wo in Teilen des Landes Kriegszustand herrscht und in Donezk deshalb gar kein Spiel ausgetragen wird?
Krieg und lebensgefährliche Reisen sind leider kein Neuland für mich. Meine erste Auswärtsfahrt nach Donezk begann 1945 und war nicht wirklich geplant. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs bin ich völlig sinnlos eingezogen worden und fand mich nach einer kurzen Grundausbildung mit einem Gewehr in der Hand in der Tschechoslowakei wieder. Bevor ich überhaupt einen Schuss abgeben konnte, wurde ich schon vom Russen einkassiert. Da war ich 16 Jahre jung. Dass ich nie auf einen Menschen schießen musste, empfinde ich heute als mein größtes Glück. Über Lviv und Kiew bin ich damals in Donezk gelandet, wo ich in Kriegsgefangenschaft bei Minusgraden von bis zu 30 Grad fünf Jahre im Bergbau arbeitete. Viele Kollegen haben das nicht gepackt, und ihre Leichen haben wir vor dem Lager gestapelt, weil wir mit der Spitzhacke nicht in die gefrorene Erde kamen um sie zu beerdigen. Als das Lager später aufgelöst wurde, habe ich für die Rückreise nach Gelsenkirchen zu Fuß, mit dem Pferdewagen und Bummelzügen rund vier Monate gebraucht. Wenn ich die Verantwortlichen deutscher Profivereine heute von einer beschwerlichen Anreise mit einem Flugzeug und Übernachtung im Hotel erzählen höre, dann frage ich mich: Wovon reden die überhaupt?