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Dieses Inter­view erschien erst­mals im März 2013.

Andreas Holy, Sie schrieben ihre Examens­ar­beit über den Repu­blik-Flücht­ling und DDR-Fuß­baller Lutz Eigen­dorf. Was pas­sierte am Abend des 5. März 1983?
Laut Polizei erlitt Lutz Eigen­dorf einen Auto­un­fall, dessen Ursache Alko­hol­ein­fluss war. Bei ihm wurden 2,2 Pro­mille fest­ge­stellt. Für die Polizei war der Fall klar. Zwei Tage später ver­starb Eigen­dorf an den Folgen seiner Ver­let­zungen.

Wie ist ihre Sicht der Dinge?
Am 5. März hatte Eigen­dorf mit Ein­tracht Braun­schweig ein Spiel gegen den VfL Bochum. Nach dem Spiel trank er zwei kleine 0,2l-Bier. Danach fuhr er für einige Stunden nach Hause zu seiner Familie. Abends traf Hob­by­pilot Eigen­dorf sich noch mit seinem Flug­lehrer in der Kneipe Zum Cockpit“, um einen für den nächsten Tag geplanten Flug zu bespre­chen. Nach Augen­zeu­gen­be­richten soll er dort wie­derum ein bis zwei 0,2l-Bier getrunken haben. Eigen­dorf war also kei­nes­falls betrunken, als er gegen zehn Uhr abends die Flie­ger­kneipe ver­ließ. Trotzdem wurde bei seiner Ein­lie­fe­rung ins Kran­ken­haus der Alko­hol­wert von 2,2 Pro­mille fest­ge­stellt.

Wie passt das zusammen?
Über­haupt nicht. Als ich den Flug­lehrer für meine Arbeit inter­viewte, ver­si­cherte auch er mir, dass sie aller­höchs­tens zwei Bier“ getrunken hätten. Hinzu kommt, dass Eigen­dorf auf­grund seines hohen Blut­ver­lustes noch auf dem Weg ins Kran­ken­haus eine Infu­sion gelegt wurde, die den Blut­wert wahr­schein­lich zusätz­lich ver­fälschte. Sein Pro­mil­le­wert zum Unfall­zeit­punkt muss also noch deut­lich höher gelegen haben.

Was ist in der Stunde zwi­schen dem Ver­lassen der Kneipe und dem Unfall pas­siert?
Um so einen hohen Alko­hol­wert zu errei­chen, hätte er inner­halb kür­zester Zeit vier­ein­halb Liter Bier oder zwei Liter Wein trinken müssen. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vor­stellen.

Wie erklären Sie sich den hohen Alko­hol­wert?
Ich schätze, dass er von MfS-Agenten (MfS: Minis­te­rium für Staats­si­cher­heit, d. Red.) zunächst ent­führt und dann even­tuell ver­giftet wurde. Es ist wahr­schein­lich, dass ihm irgendwie Alkohol ein­ge­flößt wurde. Mög­li­cher­weise intra­venös per Spritze oder oral. Dar­aufhin wurde er ver­mut­lich laufen gelassen, sodass er unter Todes­angst davon gefahren ist.

Weiß man, wohin er wollte?
Nein, die Strecke, die er gefahren ist, lag nicht auf seinem regu­lären Heimweg. Wahr­schein­lich wurde er ver­folgt. Sie jagten ihn die Forst­straße in Braun­schweig ent­lang, in einer schwie­rigen Kurve, die damals sowieso ein Unfall­schwer­punkt war, wurde er dann ver­blitzt“, wie es im Stasi-Jargon hieß.

Was bedeutet das?
Man hat ihn plötz­lich geblendet, sodass er zusammen mit der Wir­kung des Alko­hols die Ori­en­tie­rung ver­loren hat und letzt­lich gegen den Baum gerast ist.

Gibt es Belege für diese Theorie?
Zu 100 Pro­zent kann man das nicht nach­weisen. Belege und Hin­weise für diese Ver­sion gibt es jedoch eine Menge. Ich habe mich ins­ge­samt durch circa 3600 Akten gelesen: 1000 Ermitt­lungs­akten der Polizei Braun­schweig und Staats­an­walt­schaft Berlin und 2600 MfS-Doku­mente. Das deut­lichste Indiz ist ein hand­schrift­li­ches Blatt in Eigen­dorfs Stasi-Akte, auf dem in Stich­worten steht: Unfall­sta­tis­tiken? Von außen ohn­mächtig? Ver­blitzen, Eigen­dorf, Nar­ko­se­mittel“. Die Staats­si­cher­heit hat sich detail­lierte Gedanken gemacht, wie man Eigen­dorf etwas anhaben kann.

War es über­haupt üblich, dass die Stasi Leute bewusst ermor­dete?
Liqui­da­tionen“, wie das MfS es nannte, bezeichnet die phy­si­sche Ver­nich­tung von Ein­zel­per­sonen oder Per­so­nen­gruppen“. Diese Defi­ni­tion ist in Stasi-Akten der Arbeits­gruppe des Minis­ters für Son­der­auf­gaben“ (AGM/S) doku­men­tiert. Die Akten lesen sich wie Hand­bü­cher oder Trai­nings­pläne. Es gab ganze Ordner voller Tötungs­me­thoden. 1988 kam bei­spiels­weise die Toxdat-Studie“ heraus, die an der Hum­boldt-Uni in Ost­berlin erar­beitet wurde. Sie liest sich wie die per­fekte Anlei­tung für einen Gift­mord, der immer wie Selbst­mord oder ein Unfall aus­sehen musste. Beson­ders wichtig war es für die Stasi, alle Spuren zu ver­wi­schen.