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Joa­chim Streich, Sie sind der erfolg­reichste Tor­jäger der DDR. Beim legen­dären Spiel zwi­schen BRD und DDR bei der WM 1974 saßen Sie aber nur auf der Bank. Sind Sie nei­disch auf Ihren Kol­legen Jürgen Spar­wasser, dem das Spiel zu ewigem Ruhm ver­holfen hat?

Wissen Sie, ich habe über 100 Län­der­spiele gemacht. Ich bin froh, dass ich dieses Tor nicht gemacht habe. Dann wäre meine gesamte Kar­riere bis heute auf ein Tor redu­ziert.

Würden Sie uns trotzdem sagen, wel­ches Ihr schönstes Tor war?

Vor der WM 1974 haben wir in Leipzig gegen Eng­land gespielt. Ich habe das Tor zum 1:1‑Endstand geschossen. Von links kam ein langer Pass auf die halb­rechte Seite, ich nahm ihn an und schlenzte den Ball an Peter Shillton vorbei ins lange Eck. Eine Zei­tung schrieb anschlie­ßend: Die DDR hat zehn Arbeiter und einen Streich.“

Mitt­ler­weile arbeiten Sie als Ver­käufer in einem großen Sport­ge­schäft in Mag­de­burg. Werden Sie dort oft von ehe­ma­ligen Fans heim­ge­sucht?

Hin und wieder schon. Ich schreibe ja noch manchmal eine Kolumne für den kicker“, wes­wegen sich viele Leute an mich erin­nern. Meine Gene­ra­tion, die älteren Herren, kommen dann oft mit ihren Enkeln im Geschäft vorbei und sagen: Guck mal, das war einer unserer größten Fuß­baller.“

Liegen die Auto­gramm­karten dann schon bereit?

Viele wollen ein Foto machen, oder eine Unter­schrift auf den Sport­schuhen, die ich ihnen ver­kauft habe. Auto­gramm­karten habe ich auch bei der Arbeit liegen. Ich hatte das Glück, dass ich nach 1990 in der Uwe Seeler Tra­di­ti­ons­mann­schaft gespielt habe. Die haben damals so viele Auto­gramm­karten gedruckt – das reicht wohl für die Ewig­keit.

Schon seit 1997 sind Sie nicht mehr im Fuß­ball­ge­schäft aktiv. Warum sind Sie aus­ge­stiegen?

Ich war damals Trainer beim FSV Zwi­ckau in der zweiten Liga. Mein Ziel war es, den Klas­sen­er­halt zu schaffen, was nach einem tollen End­spurt auch geklappt hat. Aber am Ende der Saison habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr moti­viert war. Ich war die meiste Zeit in Zwi­ckau, meine Frau in Möckern, meine Kinder in Mag­de­burg. Da habe ich zu mir gesagt: Irgend­wann musst du auch mal ein nor­males Leben führen.

Damit endete Ihre Trai­ner­kar­riere, die Sie 1985 nicht ganz frei­willig begonnen haben.

Stimmt. Eigent­lich wollte ich 1985, nach dem Ende meiner aktiven Kar­riere, beim 1. FC Mag­de­burg in den Nach­wuchs­be­reich ein­steigen. Aber dann kam auf einmal die Ver­bands­füh­rung auf mich zu und sagte: Du wirst Ober­liga-Trainer beim FC Mag­de­burg.“

Wie haben Sie reagiert?

Ich habe natür­lich abge­lehnt. Aber wie das damals so war, musste ich zum Gene­ral­se­kretär des DFV (Deut­scher Fuß­ball-Ver­band, der Fuß­ball­ver­band der DDR, d. Red.), Klaus Zim­merman, und der hat mir gesagt: Du wirst es.“ Ich habe trotzdem abge­lehnt. Da meinte er nur: Weißt du, Klaus Sammer hat sich auch gesträubt, Trainer in Dresden zu werden. Den habe ich zig Mal nach Berlin geholt, bis er nicht mehr ´Nein´ sagen konnte.“ Da war mir klar: Das wird nichts mehr mit der Nach­wuchs­ar­beit. Also trat ich am Tag nach meinem Kar­rie­re­ende den Job als Chef­trainer beim 1. FC Mag­de­burg an.

Schon als Spieler hatte der Ver­band Sie 1975 gegen Ihren Willen nach Mag­de­burg gelotst.

Wir waren mit Ros­tock in die zweite Liga abge­stiegen und Hans Meyer, damals Trainer bei Carl-Zeiss Jena, wollte mich ver­pflichten. Und da in Jena sei­ner­zeit sehr pro­fes­sio­nell gear­beitet wurde, habe ich mich dort ange­meldet. Dann kam aller­dings die Anwei­sung aus Berlin: Ent­weder du gehst zu Mag­de­burg, oder du bleibst in Ros­tock.“ Und da ich nicht zweite Liga spielen wollte, bin ich natür­lich nach Mag­de­burg gegangen.

War das Leben eines Fuß­bal­lers in der DDR trotz der Fremd­be­stim­mung ange­nehmer, als für andere Sportler?

Wir konnten unter Profi-Bedin­gungen spielen, außerdem konnte ich ein Sport­stu­dium absol­vieren. Uns ging es gut. Besser als dem Durch­schnitt. Andere Sportler hatten es trotz guter Leis­tungen wahr­schein­lich nicht so leicht wie wir.

Woran lag das?

Fuß­ball war auch in der DDR der wich­tigste und belieb­teste Sport. Das konnte selbst die Staats­füh­rung nicht ver­hin­dern, denn sonst hätten die den Fuß­ball sicher­lich in den Hin­ter­grund gedrängt. In anderen Sport­arten war die DDR schließ­lich deut­lich erfolg­rei­cher.

Ihnen ließ man sogar die langen Haare durch­gehen.

(lacht) Die Fuß­baller sind schon ein wenig aus der Art geschlagen und ent­spra­chen sicher­lich nicht dem Ide­al­bild des Sport­lers in der DDR. Wir hatten schon mal län­gere Haare oder Locken und wurden, wenn wir im Trai­nings­lager mit anderen Sport­lern zusammen trai­niert haben, komisch ange­guckt. Die anderen Sportler waren wohl hin und wieder nei­disch auf uns Fuß­baller. Sie haben her­aus­ra­gende Leis­tungen gebracht, waren aber trotzdem nicht so populär wie wir.

Andere bekannte Fuß­baller der DDR fühlten sich trotz dieses Ruhms von der Bun­des­liga ange­zogen und flohen in den Westen. War das für Sie nie eine Option?

Es gab nur eine Situa­tion, in der ich daran dachte, in den Westen zu gehen. 1969, ich war gerade 18 Jahre alt, spielten wir mit Hansa Ros­tock im Euro­pa­pokal bei Pano­nios Athen. Nach einem Ein­kaufs­bummel in der Stadt traf ich zwei Mit­spieler, die über­legten, die Bot­schaft der BRD auf­zu­su­chen. Letzt­lich fehlte uns allen aber ein­fach der Mut. Wir wussten ja nicht, was pas­sieren würde, wenn wir abhauen. Was wäre dann mit meinen Eltern pas­siert? Oder mit meinem Bruder? Zwei Jahre später habe ich gehei­ratet, 1972 wurde ich Vater. Da hatte sich das Thema Flucht für mich end­gültig erle­digt.

Wie dachten die Daheim­ge­blie­benen über jene nach, die trotz aller Pro­bleme in den Westen geflohen sind?

Wir haben sie nicht ver­dammt, falls Sie das meinen. Die Meisten kannte ich ja per­sön­lich. Es brauchte viel Mut, diesen Schritt zu gehen. Wir hatten Respekt vor diesen Leuten.

Obwohl Sie nicht geflohen sind, haben Sie 1989 den Fall der Ber­liner Mauer im Aus­land erlebt.

Ich habe damals beim PSV Eind­hoven hos­pi­tiert und dort unter anderem mit Huub Ste­vens gear­beitet, der zu der Zeit Nach­wuchs­trainer beim PSV war. Eine tolle Chance. Die Bilder vom Mau­er­fall habe ich dann im Fern­sehen gesehen und mich natür­lich gefreut. Aber auch wenn ich zu Hause in Mag­de­burg gewesen wäre, hätte ich mich nicht auf den Weg nach Berlin gemacht. Es hört sich viel­leicht blöd an, aber für mich war das nichts Neues. Als Fuß­baller und als Trainer war ich schon vorher oft im kapi­ta­lis­ti­schen Aus­land. Das gehörte für mich fast zur Nor­ma­lität.

Zur Saison 1990/91 wurden Sie bei Ein­tracht Braun­schweig als erster Ost­deut­scher Trainer eines west­deut­schen Pro­fi­klubs. Wie groß war der Rummel um Ihre Pio­niertat?

Ach, das lief alles ganz ruhig ab. Bei den vielen Spie­ler­wech­seln wie Sammer, Thom oder Kirsten ging meine Ver­pflich­tung fast schon unter. Ich war ja auch nur Zweit­liga-Trainer.

Sie waren nicht mal eine Saison lang Chef­trainer in Braun­schweig. Warum?

In der Bun­des­liga wurde viel schneller abge­rechnet. Immer von Spiel zu Spiel. Ein gutes Spiel zählte am nächsten Wochen­ende nichts mehr. Außerdem waren die Riva­li­täten zwi­schen den ein­zelnen Spie­lern viel größer, als ich es aus Mag­de­burg gewohnt war. Und die Medi­en­land­schaft war natür­lich auch eine ganz andere, als in der DDR. Das alles war Neu­land für mich.

Mit 229 Toren in 378 Spielen sind Sie Rekord­tor­schütze der DDR-Ober­liga und mit 55 Toren in 102 Län­der­spielen zudem der erfolg­reichste Tor­jäger der DDR-Geschichte. Wie fühlt es sich an, Rekorde für die Ewig­keit zu halten?

(lacht) Tja, das ist das Schöne an der Wende! Meine Rekorde sind unan­tastbar. Viel wich­tiger ist für mich aber, dass die Leute meine Leis­tung immer noch aner­kennen. Wenn jemand sagt: Mensch, Achim, Ihr wart damals ja auch nicht so schlecht!“, dann ist das für mich schöner, als diese Rekorde zu halten.

Sie haben wegen Ihrer vielen Tore den nahe­lie­genden Spitz­namen Gerd Müller des Ostens“ ver­passt bekommen. Warum wurde Gerd Müller eigent­lich nicht der Streich des Wes­tens“ genannt?

Ganz ein­fach Erklä­rung: Gerd hat in der Bun­des­liga gespielt und ich in der DDR-Ober­liga. Außerdem, ist der Gerd ein­malig, die wahre Nummer Eins. Ich freue mich, dass ich mit ihm ver­gli­chen werde. Ich habe seine Kar­riere auf­merksam ver­folgt.

Eines haben Sie Gerd Müller aber voraus. Ein Come­back im Ame­rican Foot­ball. Erzählen Sie uns davon.

Das ist jetzt schon fast sechs Jahre her. Ein jün­gerer Kol­lege hat mich bei der Arbeit gefragt, ob ich mir nicht vor­stellen könnte, mal bei den Mag­de­burg Virgin Guards als Kicker aus­zu­helfen. Die spielten damals in der dritten Liga und wollten ein­fach etwas Auf­merk­sam­keit in der Öffent­lich­keit. Also habe ich ein paar Mal trai­niert, dieses Ei zu kicken und dann beschlossen, mit­zu­spielen.

Haben Sie getroffen?

Aber natür­lich!