Bernd Nickel drehte Eckbälle aus vier verschiedenen Himmelsrichtungen rein und sorgte mit einem Tor dafür, dass der Bundesliga-Skandal publik wurde. Heute wäre die Eintracht-Legende 75 Jahre alt geworden.
Dieses Interview erschien erstmals im Jahr 2011 in 11FREUNDE #115. Bernd Nickel ist am 27. Oktober 2021 in Frankfurt am Main im Alter von 72 Jahren verstorben.
Bernd Nickel, Sie mussten nie irgendwo abschreiben, um einen Doktortitel zu erlangen, Ihre Schusskraft reichte völlig. Wann aber wurden Sie zu „Dr. Hammer“?
Schon relativ früh. Als ich 1967/68 zu den Profis von Eintracht stieß, stand Hans Tilkowski im Tor. Ihm fiel auf, dass ich mit einem strammen Linksschuß ausgestattet war und er gab mir diesen Spitznamen. Das bekamen bald auch die Reporter mit. Und als ich mit einem ordentlichen Wumms in der Bundesliga einen Treffer erzielte, machten die Zeitungen den Namen in ganz Deutschland bekannt.
Haben Sie den Schuss speziell trainiert?
Nein, den hatte ich schon immer. Vielleicht sorgt meine Statur für eine besondere Hebelwirkung, die einen harten Schuss erleichtert.
Aber die Schusspräzision muss Ihnen jemand beigebracht haben?
In meiner Jugend haben wir uns sowas selbst erarbeitet. Ich komme vom Dorf, aus Eisemroth in Hessen. Zuhause hatten wir ein riesiges Scheunentor. Da habe ich den ganzen Tag draufgeballert und mir dabei bestimmte Aufgaben gestellt. Die Scheune ist heute längst abgerissen. Wahrscheinlich, weil das Holztor morsch war..
Was denn für Aufgaben?
Ich suchte Punkte oder Kästen an der Wand, die ich treffen wollte. Und dann wurde so lange geübt, bis ich es im Schlaf beherrschte. Hinzu kam, dass es sich mein Vater nicht leisten, mir ständig neue Fußballschuhe zu kaufen. Also schoss ich mit Straßenschuhen – bis die komplett hinüber waren.
Förderte Ihr Vater Ihre Fußballleidenschaft?
Eher mein Onkel. Er hatte in Eisemroth die Vereinskneipe, wo während der Weltmeisterschaft 1954 der einzige Fernseher im Dorf stand.
Die WM war für Sie die Initialzündung.
Ein unvergessliches Erlebnis. Ich war ein kleiner Junge, die Kneipe gerammelt voll und wenn ein Spiel übertragen wurde, durfte ich auf dem Boden sitzen und zuschauen. Sie können sich vorstellen, wie die Stimmung war, als Deutschland den Titel gewann. Sie sind gewissermaßen unter Fußballer aufgewachsen. Der SV Eisemroth hatte damals noch kein Klubhaus. Die Fußballer der ersten Mannschaft konnten sich nach den Spielen nicht duschen. Vor der Tür wuschen sie sich kurz unterm Wasserhahn den gröbsten Dreck ab und kamen in kurzen Hosen in die Wirtschaft.
Mit Ihren fussballerischen Qualitäten waren Sie in Eisemroth bestimmt schon früh ein Star.
Ich war ziemlich schüchtern. Da wir nicht so viele Nachwuchsspieler hatten, spielte ich bereits mit 13 in der A‑Jugend. Als ich später meine Lehre zum Fernmeldetechniker in Giessen machte, habe ich dort beim VfB mal mittrainert. Die Mannschaft bereitete sich gerade auf ein wichtiges Spiel vor und der Trainer sagte, ich solle hinterm Tor den Ball hochhalten. Aber nach einiger Zeit merkte ich, dass er mich gar nicht beachtete. Also hörte ich auf, packte meine Sachen und ging nie wieder hin.
Zum Glück, denn statt zum VfB Giessen wechselten Sie 1966 zu Eintracht Frankfurt?
Mein Onkel hatte angerufen und gefragt, ob ich mal zum Probetraining kommen dürfe. Sowas wäre heute unvorstellbar: Die haben mich gleich bei der ersten Mannschaft mittrainieren lassen.
Und Ihnen rutschte das Herz in die Hose?
Mein Vater fuhr mich hin. Schon kurz hinter Wetzlar bekam ich Herzklopfen. Als ich dann den Eintracht-Bogen am Eingang zum Riederwald sah, blieb mir das Herz fast stehen. Und dann sah ich den Willi Huberts und die Größen, die ich bis dato nur aus dem Fernsehen kannte, und durfte mit ihnen trainieren.
Aber es lief ganz gut.
Trainer Elek Schwartz sagte, ich könne was. Also wurde ich zu einem Turnier mit den Junioren in Rotterdam eingeladen. Bernd Hölzenbein und ich fuhren als einzige Gastspieler mit. Der Holz stammt aus Dehrn, was etwa 50 Kilometer von Eisemroth entfernt ist. An diesem Tag begann unsere Freundschaft. Dabei hätten wir es beinahe gar nicht nach Rotterdam geschaft.
Warum denn nicht?
Ein Eintracht-Betreuer hatte uns gesagt, dass wir in Limburg an der Raststätte auf den Bus warten sollten. Und da standen wir, Bernd und Bernd, mit unseren Vätern, die zufällig auch beide Alfred hießen, und warteten. Die Eintracht hatte Sie vergessen. Nein, der Bus hatte lediglich eine Stunde Verspätung. Ich war froh, dass der Holz da war und wir uns unterhalten konnten, denn ich grübelte, wie ich mich verhalten solle, wenn ich in den Bus steige: Sollte ich jeden per Handschlag begrüßen oder nur lässig vorbei gehen. So schüchtern war ich damals.