In der vergangenen Saison ist Lille fast zu Grunde gegangen. Nun entwickelt sich der Verein im mächtigen Schatten von Paris Saint-Germain zur Spitzenmannschaft der Ligue 1. Auch, weil man auf Exotik setzt.
Lopez, 47, Sechstagebart, kurzrasierte Halbglatze, ist ein spanisch-luxemburgischer Investor und unter anderem ehemaliger Besitzer des Formel-1-Rennstalls Lotus. Selbstbewusst gab er seinem neusten Projekt einen Namen, „LOSC Unlimited“, und lud es mit ehrgeizigen Zielen auf: „In der nächsten Saison wollen wir in die Top fünf, im Jahr darauf in die Top drei und warum sollte nicht auch ein Titel dabei sein?“ So formulierte es der von Lopez neu eingestellte Geschäftsführer Marc Ingla bei seinem ersten Auftritt.
Das „Fußball-Startup“ Lille OSC
Im Gegensatz zu seinem Chef Lopez ist dieser Ingla allerdings ein ausgewiesener Fachmann. Als ehemaliger Vizepräsident des FC Barcelona hatte er großen Anteil am Aufstieg der Katalanen in den 00er-Jahren. Neben ihm installierte Lopez einen weiteren wichtigen Neuling im Klub, Sportdirektor Luís Campos, zuvor technischer Direktor bei der AS Monaco. Ingla und Campos sprachen bei ihrer Vorstellung vom LOSC wie von einer kommenden Weltmarke im Zentrum Europas. Der Plan: versteckte Talente finden, sie groß raus bringen und anschließend teuer weiterverkaufen. Ein „Fußball-Startup“, wie Geschäftsführer Ingla es nannte.
Doch im März 2018 führte der Business-Plan des Startups fast zum Untergang. „El Loco“ hatte gewütet. Der Verrückte, das war Marcelo Bielsa. Im Sommer durfte er sich noch ein blutjunges Team zusammenbauen, das Transferminus belief sich auf 30 Millionen Euro. Schon im November musste Bielsa wieder gehen, Lille stand auf dem vorletzten Tabellenplatz. Sportdirektor Campos schimpfte öffentlich darüber, die Kaderplanung seinem Trainer überlassen zu haben. „Du kannst nicht einfach eine Mannschaft aufbauen ohne einen Grundstock an erfahrenen Spielern, die die jüngeren unterstützen“, sagte er.
Ein Blick wie Eric Cantona
Gleichzeitig forderte Bielsa seine ehemaligen Vorgesetzten in einem Rechtsstreit heraus und verlangte ausstehende Gehälter in Höhe von 12,9 Millionen Euro sowie einer Zahlung von weiteren fünf Millionen Euro wegen Rufschädigung. Lille gewann vor Gericht. Aber auch ohne die Entschädigung Bielsas stand der Klub vor die Insolvenz.
Der nationalen Finanzaufsichtsbehörde des französischen Fußballs, die Direction Nationale du Contrôle de Gestion (DNCG), missfielen die großen Ausgaben von Lopez und dessen Geschäftspartnern in Lille, sie drohte: erwirtschaftet der LOSC nicht mindestens 25 Millionen Euro durch Werbeverträge und Spielerverkäufe, erfolgt der Zwangsabstieg in die zweite Liga. Zudem verhängte sie eine Einkaufssperre für die Winterpause der Saison 2018/19.
Am Saisonende hatte sich Lille gerade so aus der Abstiegszone herausgerettet – Christophe Galtier sei dank. Der neue Cheftrainer lächelt selten, zumeist verzieht er seine Augenbrauen so, als wolle er einen jeden Moment anknurren. Ein Blick wie Eric Cantona. Doch charakterlich gilt Galtier als offen, kommunikativ und vermittelnd. Siebeneinhalb Jahre war er Cheftrainer in St. Etienne, führte den Klub aus dem Abstiegskampf in die Europa League. Nun trichterte er der verunsicherten Mannschaft in Lille ein, sie solle den spektakulären Offensivstil von Bielsa vergessen. Es ging nur darum, Punkte zu holen. Der Fußball in Lille war nun nicht mehr schön, doch er gab dem unerfahrenen Team Selbstbewusstsein. Es reichte für Platz 17 in der Tabelle, ein Punkt trennte den Klub am Ende vom Relegationsplatz.