Am Mittwoch zogen die Glasgow Rangers ins Achtelfinale der Europa League ein. Für Klub und Fans ein riesiger Erfolg. Immerhin hatte der Traditionsverein vor ein paar Jahren noch in der vierten Liga neu anfangen müssen. Über einen einzigartigen Verein – und seine einzigartigen Fans.
„Follow follow, we will follow Rangers. Everywhere, anywhere, we will follow on! There´s not a team like the Glasgow Rangers.“
Als Schiedsrichter Andreas Ekberg die Partie am Mittwochabend beendete, verfiel der Auswärtsblock des beeindruckenden Estádio Municipal de Braga in völlige Ekstase. Von der Felswand echoten die Fangesänge auf das Spielfeld, auf dem die „Billy Boys“ standen und sich für die bedingungslose Unterstützung der zahlreich mitgereisten Anhänger bedankten. Und zu wahrscheinlich keinem anderen Zeitpunkt passte ein Lied der Fans so gut wie an diesem Mittwochabend.
Die Rangers qualifizierten sich mit dem 1:0‑Erfolg über SC Braga erstmals seit 2011 für das Achtelfinale der Europa League und schrieben sich damit gleichzeitig in die Geschichtsbücher des Wettbewerbs ein. Als erstes Team überhaupt gelang den Schotten der Durchmarsch von der ersten Qualifikationsrunde der Europa League in die Runde der letzten 16. Und all das, nachdem die Vorzeichen für diesen Erfolg nach zwei Auswärts-Gegentreffern im Hinspiel lange Zeit alles andere als gut aussahen, Ausnahmestürmer Alfredo Morelos Gelb-gesperrt fehlte und der Verein vor sieben Jahren noch in der vierten Liga auflief.
Da die Rangers die vergangene Spielzeit mit dem zweiten Rang beendet hatten und Schottland in der UEFA-Fünfjahreswertung nur auf dem zwanzigsten Platz steht, mussten die Billy Boys die zehrenden Qualifikationsrunden durchlaufen, um auf der internationalen Bühne mitkicken zu dürfen. Davon gibt es nämlich insgesamt drei mit einer zusätzlichen Play-Off-Runde und jeweiligen Hin- und Rückspielen. Nur zum Vergleich: Eintracht Frankfurt, die die letzte Saison auf dem siebten Platz beendet haben, stiegen direkt in die zweite Quali-Runde ein. Doch für die Rangers begann das Abenteuer bereits früher, in der ersten Runde. Mitten in der Vorbereitung, während die meisten anderen Vereine noch im Trainingslager Sonne tankten.
Das besondere an diesen Qualifikationsrunden: Beim Blick auf die Teilnehmer (insgesamt 94) wird schnell klar, dass einige, sagen wir hoch interessante Namen wiederzufinden sind. So standen sich beispielsweise Fantasievereine wie Ordabassy Schymkent aus Kasachstan und Torpedo Kutaissi aus Georgien gegenüber. Doch für die Schotten ging es im Juli nach Gibraltar, genauer gesagt zum Amateurklub St. Josephs FC. Die Fans der Rangers bekamen immerhin ein Kontingent von 900 Tickets zugesprochen. Doch bei dieser Anzahl blieb es (selbstverständlich) nicht. Die abenteuerlustigen „Bluenoses“ verschafften sich zusätzlich Tickets auf den Heimrängen und sorgten sogar dafür, dass sich die gibraltarische Polizei im Vorhinein der Partie einschaltete. Aus Sicherheitsgründen wurden die Personalausweise an den Eingängen kontrolliert. Das Team von Trainer Steven Gerrard setzte sich am Ende zusammengerechnet knapp mit 10:0 durch.
Doch die Souveränität verließ die Schotten schon in der darauffolgenden Runde. Die Rangers mussten gegen den luxemburgischen Verein FC Progrès Niederkorn ran. Ein Duell mit Vorgeschichte. Denn bereits in der Saison 17/18 trafen die beiden Vereine aufeinander, allerdings in der ersten Quali-Runde. Damals scheiterte der schottische Rekordmeister hoch blamabel und flog gegen die Luxemburger raus. Im Hinspiel dieser Saison gelang den Rangers im Ibrox-Stadium allerdings ein 2:0‑Sieg. Die Anhänger beider Klubs feierten anschließend zusammen in der Glasgower Kult-Kneipe Louden Tavern. Im Rückspiel kamen die Gers dann zwar nicht über ein torloses Unentschieden heraus, die abenteuerliche Reise ging nach dem Sieg im Hinspiel aber trotzdem weiter.
Und zwar nach Dänemark, in der dritten Runde gegen den FC Midtjylland. Die Dänen zeichneten sich hier bei ihrem Heimspiel als ausgezeichnete Gastgeber aus. So zogen die Mitarbeiter kurzerhand das Trikot der Schotten über, damit sich die Gäste „wie zu Hause“ fühlen. Am Ende setzte sich das Team von Steven Gerrard mit insgesamt 7:3 durch. Übrigens: Auch die Champions League hat ein Qualifikations-System. Vereine, die in diesen Runden ausscheiden, bekommen in der Europa-League-Quali dann noch ein Mal eine zweite Chance, auf internationaler Bühne zu performen. Sprich: Selbst in der dritten Runde der UEFA-Cup-Quali kämpfen noch 72 Mannschaften um die Teilnahme.
Und so standen die Rangers also tatsächlich kurz vor Erreichen der Hauptrunde. Einzige Hürde: Die Play-Offs, also die vierte und damit letzte Runde, in der auf die Schotten dann auch endlich ein namhafterer Gegner wartete: Legia Warschau. Und die Polen stellten sich tatsächlich als große Hürde dar. Nach einem torlosen Unentschieden im Hinspiel stand für die Billy Boys ein Finale furioso im eigenen Stadion bereit, das an Spannung nahezu nicht übertroffen werden konnte. Erst in der 91. Spielminute entschied sich die Partie aus Sicht der Schotten. Held der Partie: Alfredo Morelos, der seiner Mannschaft mit dem Treffer eines der größten Geschenke der leidvollen vergangenen Jahre machte. Die Hauptrunde der Europa League. Die Rangers waren zurück auf der internationalen Bühne.
„Ich glaube, er könnte sich aktuell keinen besseren Klub vorstellen“
Ein Erfolg, der vor nicht allzu langer Zeit für die Anhänger nahezu unvorstellbar war. Denn um zu verstehen, wie bedeutsam dieses Ergebnis für die Fans und den Verein selbst ist, müssen wir etwas zurückblättern in den Geschichtsbüchern. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten und Instabilitäten beantragte der schottische Rekordmeister am 13. Februar 2012 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Einer der traditionsreichsten Vereine Europas stand damit kurz vor dem existenziellen Aus. Neu gestartet in der vierten Liga kämpften sich die Gers jedoch Stück für Stück zurück ins nationale Oberhaus und ringen dort seit der Saison 16/17 wieder mit Erzrivale Celtic um die Meisterschaft.
Ein extrem wichtiger und entscheidender Faktor dieser sportlichen Entwicklung ist Steven Gerrard. Das Spiel der Rangers unter ihm zeichnet sich vor allem mit hohem Pressing aus. Parallelen lassen sich hierbei zum FC Liverpool ziehen, bei dem Gerrard diese Taktik zusammen mit seinem Co-Trainer Gary McAllister bereits in der U18 erprobte. Gerrard stellt sein Team meist im 4−3−3 auf. Herzstück der Formation ist das Mittelfeld. Ryan Jack, Scott Arfield und Steven Davis bringen hier riesige Erfahrung ins Spiel und schaffen es stets, die jungen Offensiv-Männer in Szene zu setzen. Davis brillierte im umkämpften Hinspiel gegen Braga beispielsweise mit einer Passquote von knapp 87 Prozent. Unter den Pässen war unter anderem auch die Torvorlage zum 1:2‑Anschlusstreffer dabei.
Mit Ianis Hagi konnte man in der Winterpause außerdem eine herausragende Verstärkung für die Rückrunde verpflichten, ohne die die Rangers nach seinen zwei Toren im Hinspiel gegen Braga vielleicht nicht weitergekommen wären. Sein Vater, Gheorghe Hagi, lobte Trainer Gerrard kürzlich für seine Arbeit und macht ihn ausdrücklich für die explosive Entwicklung seines Sohns verantwortlich: „Steven wusste sofort, wie er alles aus Ianis herausholen kann. Er ist gerade ein Mal 21, aber er kriegt vom Trainer unglaublich viel Vertrauen, das stärkt ihn. Seine sportlichen Leistungen sind alleiniger Verdienst Gerrards. Junge Spieler brauchen Praxis. Ich glaube, aktuell könnte sich Ianis kein besseres Team vorstellen.“
Doch die Geschichte war mit dem Einzug in die Hauptrunde der Europa League noch lange nicht zu Ende erzählt. Auch die darauffolgende Gruppenphase überstand der schottische Rekordmeister. Zusammen mit der Unterstützung der Fans standen die Billy Boys im Dezember am Ende der Gruppenphase auf dem zweiten Platz, stellten mit Alfredo Morelos den Toptorjäger des Wettbewerbs und kassierten während der abenteuerlichen Reise in vierzehn Spielen lediglich eine einzige Niederlage. Trainer Steven Gerrard sagte nach dem Erfolg: „Das ist ein überwältigendes Gefühl. Was wir erreicht haben ist unglaublich für uns. Die Jungs sind einfach fantastisch.“
Nun, im Sechzehntelfinale, traten die Rangers dann gegen den portugiesischen SC Braga an. Und das Hinspiel vergangene Woche im Ibrox-Stadium verlief während der ersten knapp 70 Minuten alles andere als nach Plan aus Sicht von Gerrard. Sein Team lag bereits mit zwei Toren zurück und das im eigenen Stadion. Doch die „Gers“ bewiesen Moral und holten in der Schlussphase noch ein Mal alles aus sich raus. Held des Abends: Ianis Hagi, Sohn des größten rumänischen Fußballers aller Zeiten, Gheorghe Hagi. Der 21-Jährige Ianis entfachte die Aufholjagd der Rangers mit seinem Tor zum 1:2‑Anschluss in der 68. Minute, die mit einem herausragenden Solo von Joe Aribo fortgesetzt und letztendlich mit einem verwandelten Freistoß von Hagi gekrönt wurde. Die Glasgower erkämpften sich einen 3:2‑Sieg. Das Comeback war damit perfekt.
Steven Gerrard sagte nach dem Spiel: „Das ist das, was die Fans und der Verein verdienen. Große europäische und unvergessene Nächte. Jeder ackert und kämpft und keiner ist sich für irgendwas zu schade. Es ist wunderschön, dass ich Trainer dieses Teams sein darf.“
Im Rückspiel konnten die Schotten in Braga dann also mit leichtem Rückenwind auflaufen. Und auch am Mittwochabend galt wie immer: Bedingungslose Unterstützung der zahlreich mitgereisten Anhänger. (5.000 sollen es gewesen sein) Bereits am Dienstag kursierten Videos und Fotos im Netz von feiernden Schotten in der nordportugiesischen Stadt. Einen möglichen Vorentscheid vergab Ianis Hagi am Mittwoch dann kurz vor der Halbzeit mit einem verschossenen Elfmeter. Doch die Erlösung in Person von Ryan Kent ließ nicht lange auf sich warten. Der Engländer, der 2017 zum SC Freiburg verliehen war, startete nach Vorlage von Ianis Hagi einen 50-Meter-Sprint und versenkte den Ball in der 61. Spielminute ins rechte Eck zur Entscheidung. Völlige Ekstase.
Da die Europa-League gestern Abend im knapp 50 Kilometer entfernten Porto noch die Partie FC Porto gegen Bayer Leverkusen austrug hatte die UEFA das Spiel in Braga übrigens auf den Mittwochabend verschoben. Die Rangers waren damit nach dem 1:0‑Erfolg das erste qualifizierte Team für die Achtelfinalrunde.
Und auch die Fans wissen, wem sie diesen herausragenden sportlichen Erfolg zum großen Teil zu verdanken haben: Steven Gerrard. Bei den Anhängern ist die Liverpool-Legende unglaublich beliebt. Sogar einen eigenen Song dichteten ihm die Bluenoses bereits. Der wahrscheinlich größte Liebesbeweis, den man im Fußball bekommen kann. „Gerrard You´re The One“ ertönt es seit seinem Amtsantritt im Juni 2018 immer wieder auf den Rängen der Stadien oder aber vor einer Kneipe in Mazedonien, wie nach dem Spiel der ersten Qualifikationsrunde aus der vergangenen Saison gegen KF Shkupi.
Und sowohl die Verantwortlichen, als auch die Fans der Rangers dürfen sich freuen, denn Steven Gerrard wird noch einige Jahre an der Seitenlinie des Ibrox-Stadiums stehen. Nur ein paar Stunden nach Erreichen der Europa-League-Zwischenrunde im Dezember gab der Verein die Vertragsverlängerung bekannt. Gerrard unterschrieb bis 2024. Und während die Billy Boys keine ernsthaften Chancen mehr auf die schottische Meisterschaft (ein Spiel weniger, aber 12 Punkte Rückstand auf Celtic) haben, geht ihr europäisches Abenteuer weiter. Mindestens bis zum nächsten Jahr wird der schottische Rekordmeister einen alleinigen Platz in den Geschichtsbüchern der Europa League halten, und sowieso gilt: „There´s Not A Team Like The Glasgow Rangers!“.