Ein Bauchansatz gilt heutzutage im Fußballgeschäft als Todsünde. Warum müssen sich die Profis so kasteien?
Man konnte sich das nach einem Blick in die „Sportbild“ schon gut vorstellen: Wie Arturo Vidal nach Weihnachten an der Säbener Straße als letzter Profi gemächlich in die Kabine geschlurft kam, die Fastfood-Tüte noch in der mächtigen Pranke, und unter dem viel zu engen T‑Shirt ein mächtiger Ranzen, der immer mal wieder keck hervorlugte und von der silbernen Gürtelschnalle nur mühsam gebändigt wurde.
War leider alles Quatsch. Vidal ist ein Musterprofi. Sinngemäß steht das so in der Pressemitteilung des FC Bayern, zu unserem größten Bedauern, denn das das wäre doch mal eine Ansage gewesen: Arturo Vidal mit Rettungsringen und schwingender Fettschürze in der Startelf der Bayern. Eine schallende Ohrfeige für den Fitnesswahnsinn, der seit Jahren die Bundesliga terrorisiert. Und ein klares Statement für guten Appetit und deftige Hausmannskost.
Bunter Querschnitt durch die anatomischen Möglichkeiten
Stattdessen reihte sich Vidal wieder ein in das Heer der Einheitsprofis, das mittlerweile entstanden ist. Austrainierte und muskulöse Vorzeigeathleten ohne ein Gramm überschüssiges Fett am Körper. Jeder Kicker eine griechische Statue, anders als früher, als sich in jedem Mannschaftskader ein bunter Querschnitt durch die anatomischen Möglichkeiten präsentierte.
Kleine und große, hagere und gedrungene, feingliedrige und grobe Typen, zudem mit berufstypischen Deformationen wie grotesk vermuskelte Oberschenkel, zu deren Umfassung sich spontan Menschenketten bildeten. Nicht dass damals der Bierbauch zur serienmäßigen Ausstattung gehörte. Wenn sich aber ein Profi mal im Sommerurlaub ausschließlich von Schweinsbraten, Weißbier und verdauungsfördernden Schnapsspezialitäten ernährt hatte, lief er eben im Trainingslager zwei Stunden länger durch den Wald.
„I han di im Fernsehen g‘seha. Du bisch zu dick“
Wer den alten Haudegen allerdings mit Fitnesswerten und Blutzuckervergleichen gekommen wäre, hätte von Horst-Dieter Höttges gleich mal die Kasse nach hinten gehauen bekommen. Und manch einer machte aus der Wampe eine Art Kunstform, wie Buffy Ettmayer, die fröhliche Pommestonne in Diensten des VfB Stuttgart. Als Coach Albert Sing moserte: „I han di im Fernsehen g‘seha. Du bisch zu dick“, keilte Ettmayer zurück: „Dös muaß an Schmalfilm gwesn sein.“
Heute hingegen wird der Profiffußball ausschließlich von gertenschlanken Topathleten bevölkert, die schon bei der zweiten Tasse Kräutertee das schlechte Gewissen plagt. Und jeder, der sich der Fitnesshysterie auch nur ansatzweise verweigert, erntet das heillose Entsetzen eines Publikums, das sofort eine Suspensierung des undisziplinierten Kerls fordern würde, hätte es nicht noch Erdnussflips im Mund.
Als Dortmunds Mats Hummels letztes Jahr vorsichtig andeutete, nach der Weltmeisterschaft womöglich ein wenig zu viel gefuttert zu haben, klang das, als habe ein Schwerverbrecher nach Jahrzehnten des Schweigens endlich sein Gewissen erleichtert. Und der Tag ist nicht fern, da dem Torschützenkönig der aktuellen Saison wegen schlechter Laktatwerte die Kanone verweigert wird.
Es ist schon merkwürdig. Profis dürfen heute völlig überteuerte Shirts talentfreier Designer tragen, mit Führerscheinen aus Kartoffeldruck herumdüsen und sich die Arme großflächig mit Fantasy-Motiven tätowieren, für die man sogar in ostdeutschen Freibädern hämisch ausgelacht würde. Aber schon ein unschuldiger kleiner Ranzen, angefuttert über die Festtage, gilt als Kapitalverbrechen und lässt Mark Verstegen in den USA hektisch die Koffer packen.
„Hauptsache, sie rufen mich nicht zu spät zum Lunch“
Da wünscht man sich doch in der Liga ein wenig mehr von der Gelassenheit eines Fatty Foulkes, dem Schutzheiligen aller vollschlanken Profis. Der war in der Frühzeit des Fußballs Keeper beim FC Chelsea und wog stattliche 140 Kilo bei gerade einmal 1,88 Metern Körpergröße. Den hatten die gegnerischen Fans stets mit dem Chant „Who ate all the pies?“ verspottet, und Foulkes hatte stets schlagfertig pariert: „Mir egal, wie sie mich rufen. Hauptsache, sie rufen mich nicht zu spät zum Lunch.“
Schon klar, die Zeiten haben sich geändert. Laufintensives Gegenpressing fällt womöglich schwerer, wenn der Abwehrmann dem Gegner hinterhersprinten möchte, der Bauch aber noch eine halbe Minute in eine völlig andere Richtung driftet. Unschön auch, wenn bei Kopfballduellen Mitspieler mitleidsvoll Räuberleiter für den gewichtigen Kollegen bilden müssen.
Und dass sich fünf Kilo reines Körperfett trotz der modernen Kompressionstrikots nicht zu einem beeindruckenden Sixpack formen, hat sich in Spielerkreisen auch schon herumgesprochen. Hinzu kommt, dass in der Coaching Zone auch nicht mehr die gemütlichen Dickerchen mit erloschener Kippe im Mundwinkel stehen, sondern ausgehungerte Asketen, die ihrerseits jede „Brot für die Welt“-Kampagne zu neuen Spendenrekorden treiben könnten.
Der Fitnesswahn wird eher noch schlimmer. Denn natürlich werden die biestigen Gesundheitsapostel in den Trainerstäben nicht ruhen, bis sie endlich jeden Morgen im Training einen wahllos ausgewählten Profi wegen schlechter Genanalysen zusammenfalten können. Der perfekte Profi hat perfekte Laktatwerte und eine Lunge wie ein Extrembergsteiger, Ballgefühl eher optional.
Gerade deshalb aber hätte es einen ganz neuen ästhetischen Reiz, wenn wieder eine gewisse Gemütlichkeit und kulinarische Lebensfreude Einzug in der Liga halten würden. Wenn schmächtige Hungerhaken wie Marco Reus oder Julian Draxler wie selbstverständlich mit einer ordentlichen Murmel beim Training auflaufen und sich auf dem Mannschaftsfoto des FC Bayern in bunter Mischung Pykniker und Leptosomen, Apfeltypen und hagere Bohnenstangen zusammenfinden würden. Und Mario Götze würde, anstatt abends verzweifelt mit Corel Draw sein neues Logo zu basteln, auf Instagram zufrieden mit einem dampfenden Hackbraten posieren.
Die Härten des Profigeschäfts sanft abpolstern
Überhaupt sollte wieder traditionelle Hausmannskost auf den Tisch. Schlachteplatten, Eisbein, falscher Hase, alles schmackhafte Gerichte, die den Profis neuen Elan verpassen und dem Körper jene Schwungmasse garantieren, die die Härten des Profigeschäfts sanft abpolstern. Gerade Hackfleisch lässt sich in zahlreichen Varianten immer wieder schmackhaft und delikat zubereiten, anstatt der ewigen Nudeln ohne Soße, die die Profis in sich hineinschaufeln.
Und wer weiß, wenn bei Borussia Dortmund endlich mal wieder Bratwürste aus der Region kredenzt würden, dann würde vielleicht auch der BVB-Coach aufhören, immer nur freudlos an Salatblättern herumzukauen. Thomas Tuchel als gemütlicher Samson mit ordentlicher Pocke und Doppelkinn auf der Trainerbank, das hätte doch was.
Für all das hätte der gute Arturo Vidal die Initialzündung geben können, indem er selbstbewusst mit einem Feiertagswanst zum Anschwitzen marschiert wäre. Aber Gelegenheit ist immer und in den Gaststuben ist jetzt Mittagstisch. Wir wünschen guten Hunger!