Als die Nationalmannschaft im Februar wenig begeisternd das EM-Jahr eröffnete, war ein Spieler dennoch sehr glücklich über den Ausflug nach Österreich. Heiko Westermann war nicht nur zum ersten Mal eingeladen worden, er durfte auch gleich mitspielen. Allerdings fiel sein Debüt nicht gerade triumphal aus, weil er anfangs gleich mehrfach in die Bredouille geriet. Doch das konnte man ihm allein nicht ankreiden, denn beim ersten Länderspiel nach dem Winter fehlte es dem gesamten Team deutlich an Spannung, und das hatten vor allem die Leute hinten auszubaden.
Westermann war überdies der Ersatz des Ersatzes, und manch einer fragte sich, ob der Neuling überhaupt ein Rechtsverteidiger ist. Die richtige Antwort darauf heißt: „Ja, auch.“ Als Westermann im vergangenen Sommer von Arminia Bielefeld zu Schalke wechselte, war er dort als Innenverteidiger der Zukunft vorgesehen, der einmal den alternden Mladen Krstajic oder auch Marcelo Bordon ersetzen sollte. Dann aber verletzte sich Krstajic zu Saisonbeginn, und Westermann half für ihn aus, um anschließend eine Lücke auf der linken Abwehrseite zu schließen, die sich aus der Verletzung von Christian Pander ergab. Das war jedoch keine große Umstellung, denn in der Vergangenheit bei Greuther Fürth hatte Westermann durchaus schon regelmäßig Außenverteidiger gespielt, auf der rechten Seite. Also dort, wo er im DFB-Team debütierte.
Der Weg zum Kraftpaket
Außerdem ist der Allrounder der Abwehrreihe im Bezug auf seine professionelle Einstellung ein Musterbeispiel für die neue Generation von Bundesliga-Profis, und auch das dürfte ihm Pluspunkte beim Trainerteam um Jogi Löw bringen. Der Schalker hat in den letzten Monaten viel an seiner Kraft, Schnelligkeit und Beweglichkeit gearbeitet. Zudem brachte sich Westermann in eine hervorragende körperliche Verfassung, und die ist für einen Außenverteidiger besonders wichtig. Denn der Job dort gehört zu den physisch anspruchsvollsten, die es heutzutage im Fußball gibt. Immer wieder müssen die Spieler auf dieser Position relativ lange Sprints nach vorne machen, um den Gegner rechtzeitig zu attackieren. In Ballbesitz verwandeln sie sich dann oft auch noch in Außenstürmer und müssen den Angriff unterstützen, was bei Schalke besonders gefordert und eine ausgewiesene Stärke von Westermann ist. Anders als bei Pander sind Westermanns Flanken nicht so gut, dafür verfügt er über eine Schusstechnik und ‑kraft, wie sie für einen Verteidiger außergewöhnlich ist.
Das alles sorgt oft genug für spektakuläre Situationen, die in Erinnerung bleiben. Westermann hat auch sichtbar ein Verständnis für die taktischen Aufgaben auf den Verteidigerpositionen im Zentrum und auf der Außenbahn, und doch gibt es bei dem 24 Jahre alten Spieler noch Entwicklungsbedarf, wenn die Sache mit der Nationalmannschaft eine gewisse Regelmäßigkeit bekommen soll. Nötig wäre ein Schritt nach vorne dort, wo die Kernaufgabe seines Tätigkeitsbereichs liegt: beim Verteidigen. Immer wieder gewinnt man den Eindruck, dass Westermann besser aussieht, wenn er nach vorne aufbricht, als wenn er sich in die Zweikämpfe stürzt, um für sein Team den Ball zu erobern. Das gilt vor allem auf den Außenpositionen, weshalb man ihm wünschen würde, dass er mittelfristig in der Abwehrzentrale seinen Platz findet. Selbst wenn er dann vermutlich weniger spektakuläre Momente haben wird.