Wenn Özil und Gündogan spielen, kommen keine 100 Leute. Was ist passiert mit den Kickern, deren Namen vor dem Hit Türkei gegen Deutschland Schlagzeilen machen?
Gar nichts! Denn Mutlu Özil und Ilker Gündogan, um die es hier geht, sind die älteren Brüder von Mesut Özil und Ilkay Gündogan.
Sie kicken in ihrer Geburtsstadt Gelsenkirchen in der Kreisliga, der eine bei Firtinaspor 95 und der andere bei Blau-Weiß Gelsenkirchen. Während ihre jüngeren Geschwister bei Real Madrid beziehungsweise Borussia Dortmund die Massen begeistern und vor allem Özil inzwischen als Weltstar gilt, spielen sie sonntags auf Asche und von der Öffentlichkeit meist unbemerkt.
Bewusste Entscheidung
Jetzt aber, vor dem EM-Qualifikationsmatch zwischen der Türkei und Deutschland, ist die Geschichte der Özils und Gündogans wieder ein großes Thema, denn sie erzählt von der bis heute komplizierten Integration der Einwanderer vom Bosporus. Als Mesut Özil im Hinspiel am 8. Oktober 2010 im DFB-Trikot gegen das Heimatland seiner Eltern antrat und sogar noch den Treffer zum 3:0‑Endstand erzielte, war der Sturm der Entrüstung der 40.000 türkischen Fans im Berliner Olympiastadion über den angeblich Abtrünnigen groß.
Özil hätte wie die ebenfalls in Gelsenkirchen geborenen Zwillinge Hamit und Halil Altintop sowie der in Hagen geborene Nuri Sahin auf der anderen Seite auflaufen können, doch er hat sich wie der noch auf seinen ersten Einsatz unter Bundestrainer Joachim Löw wartende Ilkay Gündogan bewusst für Deutschlands Nationalelf entschieden. „Ich finde es richtig gut, dass sich Ilkay für die deutsche Nationalmannschaft entschieden hat, denn wir sind in Deutschland geboren und aufgewachsen“, sagt sein ein Jahr älterer Bruder Ilker. „Wie er habe auch ich nur den deutschen Pass, keinen türkischen.“
Integrationsbeauftragter des DFB
Nachdem Mesut Özil und Ilkay Gündogan diverse Jugendnationalteams des DFB durchlaufen hatte, stellte sich für sie nach der ersten Berufung für die deutsche A‑Auswahl gar nicht die Frage, ob sie nicht doch lieber im roten Trikot mit dem Halbmond auf der Brust auflaufen mochten. Ilkay Gündogan ist sogar inzwischen Integrationsbeauftragter des DFB, eine Rolle, die der Abiturient und Profi von Borussia Dortmund gerne ausfüllt.
„Fußball spiegelt nun einmal auch die Gesellschaft und die politischen Verhältnisse wider, wobei ich denke, dass bei der Integration noch viel mehr passieren muss“, meint Ilker Gündogan. „Die erste Generation Türken ist vor 50 Jahren zum Arbeiten nach Deutschland gekommen, doch die meisten sind hier unter sich geblieben und nicht integriert. Ich vergleiche das mit einer Schafe Herde, der ein Hirte fehlt, um sie in die richtige Richtung zu lenken“, sagt der Student der Wirtschaft Ostasiens und freut sich darüber, dass sein prominenter Bruder bei der komplizierten Aufgabe mithelfen will.
In der Nähe ist der Affenkäfig
Bei Blau-Weiß Gelsenkirchen spielen Deutsche und Türken in einem Team, das ist das normalste der Welt hier in der Kreisliga. Mutlu Özil hingegen ist Kapitän der rein türkischen Mannschaft von Firtinaspor 95. Er ist nicht der einzige Özil hier, auch sein Cousin Serdar kickt auf dem Sportplatz an der Plauener Straße in Bulmke-Hüllen.
Die Anlage gehört der Stadt, Firtinaspor muss sich die beiden Aschefelder mit den Sportfreunden 07/12 und Glückauf Hüllen teilen. Das Vereinsheim steht ein paar Kilometer weiter an der Bismarckstraße, ein paar Häuserblocks weiter sind die Özils groß geworden und ganz in der Nähe gibt es noch den Affenkäfig, den Bolzplatz in der Olgastraße, wo der kleine Mesut mit dem Fußball spielen begonnen hat. Firtinaspor ist auf einem guten Weg in der Kreisliga A2, der Aufstieg in die Bezirksliga, das wäre dann die achte Spielklasse, gut möglich.
Viel höher wird es für den Klub der Özils nicht gehen, denn sie wollen eigenständig bleiben und zählen nicht auf das viele Geld, das der kleine Bruder bei den Königlichen in Madrid verdient. Mesut gibt Mutlu gerne mal ein Real-Trikot mit, wenn der zu Besuch im berühmten Bernabeu-Stadion zu Gast ist.
Vorbilder in doppeltem Sinne
Ilker Gündogan hingegen muss gar nicht erst mit einem Shirt von Ilkay ankommen, bei Blau-Weiß Gelsenkirchen steht man nicht so auf Schwarz-Gelb. „Mein Vater Irfan ist Schalker, und wenn man Gelsenkirchener ist, sollte man auch zu seinem Heimatverein stehen“, sagt er. „Aber natürlich halte ich zu meinem Bruder, daher haben wir alle in der Familie eine Dauerkarte fürs Dortmunder Stadion.“
Im Stadtteil Heßler, in dem sie wohnen, sieht man in jedem zweiten Garten das S04-Wappen im Wind flattern. Seit diesem Sommer hat sich unter die vielen königsblauen Fahnen eine schwarz-gelbe gemischt, „die ist von meinem Onkel“, gibt Ilker lachend zu. So sind die Gündogans sogar in doppeltem Sinne Vorbilder in Sachen gelungener Integration.