Englands Fußball steckt mal wieder im Umbruch. Vor Trainer Roy Hodgson liegt die schwierige Aufgabe, zur WM 2014 einen schlagkräftigen Kader auf die Beine zu stellen, der sich nicht allein auf alternde Stars stützt. Was von der nachrückenden Generation zu erwarten ist, erfahrt ihr hier.
Seit 1975 konnten die „Three Lions“ kein Heimspiel mehr gegen die deutsche Nationalmannschaft gewinnen. Auch vor dem heutigen Spiel gilt die Mannschaft von Trainer Roy Hodgson nicht gerade als Favorit. Das liegt zum einen an der Stärke der deutschen Mannschaft, zum anderen am jüngsten Auftritt der Engländer. Nach einer souveränen WM-Qualifikation setzte es am Freitag im Testspiel gegen Chile eine empfindliche 0:2‑Heim-Niederlage. Roy Hodgson nahm es gelassen, verwies auf seine Experimente in Aufstellung und Taktik und versprach seinen Landsleuten für das Duell gegen die DFB-Elf eine schlagkräftige Truppe. Freundlicherweise verriet er bereits auf der gestrigen Pressekonferenz seine Startelf. Mit dabei: Joe Hart, Ashley Cole, Steven Gerrard und Wayne Rooney. So weit, so bekannt. Eher weniger bekannt dürften dem geneigten deutschen Fan folgende Namen sein: Phil Jagielka, Andros Townsend oder Daniel Sturridge. Wir sorgen für Abhilfe und stellen Euch die neuen Hoffnungsträger Englands vor.
Kyle Walker (9 Länderspiele):
Während man auf der linken Abwehrseite seit Jahren auf die Dienste von Ashley Cole setzt, suchte man auf der rechten Seite mindestens ebenso lange nach einem passenden Pendant. Glen Johnson vom FC Liverpool taugte eher bedingt für höhere Weihen und so darf sich nun Kyle Walker von den Tottenham Hotspurs versuchen. Der 23-jährige ist fast schon „beängstigend schnell“, wie sein ehemaliger Trainer Harry Redknapp einst äußerte. Fußballerisch hingegen ist noch reichlich Luft nach oben. Defensiv leistet sich Walker immer wieder Stellungsfehler, seinem Offensivspiel fehlte es lange an Genauigkeit.
Chris Smalling (8 Länderspiele):
Der Verteidiger von Manchester United galt eigentlich als der ideale Nachfolger von Klub-Legende Rio Ferdinand. Der 1,94 Meter große Hühne verfügt über ein beeindruckendes Kopfballspiel und eine solide Spieleröffnung. Beste Voraussetzungen für den Job in der Innenverteidigung. Unter dem neuen Trainer David Moyes jedoch kam Smalling in letzter Zeit hauptsächlich als Rechtsverteidiger zum Einsatz. Eine Position, die er testweise auch schon in der Nationalelf bekleidete. Mit mäßigem Erfolg. Nach einem Testspiel in Polen schrieb der „Independent“: „Smalling ist definitiv kein Rechtsverteidiger von internationaler Klasse.“ In der Nationalelf spielt er seitdem wieder im Abwehr-Zentrum. Ob er gegen die wuseligen kleinen Stürmer der DFB-Elf dazu kommen wird, seine Kopfballstärke auszuspielen, bleibt abzuwarten. Für die Zeit nach dem Fußball hat Smalling, an dem Ex-Trainer Sir Alex Ferguson „nie einen Zweifel“ hatte, bereits vorgesorgt: Smalling hat Abschlüsse in Tourismus, Medien- und Wirtschaftswissenschaften.
Phil Jagielka (23 Länderspiele):
Der Routinier unter den weniger bekannten Nationalspielern Englands. Sein Debüt gab Jagielka bereits im Juni 2008, damals noch unter Nationaltrainer Fabio Capello. Jagielka galt stets als verlässlicher und solider Innenverteidiger, hatte aber im Kampf um einen Stammplatz gegen die Platzhirsche Rio Ferdinand, John Terry oder Joleon Lescott meist das Nachsehen. Er ist mit inzwischen 31 Jahren nicht nur einer der älteren Spieler Englands, sondern auch ein Verteidiger der alten Schule: Kompromisslos im Zweikampf und gut im Stellungsspiel, dafür aber auch ziemlich langsam und mit überschaubarer Qualität am Ball. Da verwundert es nicht, dass Jagielka gern im Tor steht und dort ebenfalls eine gute Figur abgibt, wie er in einem Spiel gegen den FC Arsenal unter Beweis stellen konnte. Nach der Verletzung von Evertons Torhüter Paddy Kenny hielt Jagielka seinen Kasten für 34 Minuten sauber. In England lieben sie solche Typen. Jagielkas Eltern haben es geahnt, und nannten ihren Sohn in Ehrung ihrer polnischer Wurzeln: Nikodem. Was soviel heißt wie: Menscheneroberer.
Andros Townsend (3 Länderspiele):
Der Senkrechtstarter der diesjährigen Premier-League-Saison. Das Eigengewächs der Tottenham Hotspurs legte bisher die typische Karriere eines englischen Nachwuchsspielers hin. Will meinen: Townsend tingelte von einer Ausleihe zur nächsten. Obgleich gerade erst 22 Jahre alt, spielte er so mittlerweile schon bei zehn verschiedenen Vereinen. Für Aufsehen sorgte der flinke Rechtsaußen, der in seiner Art zu spielen an Gareth Bale erinnert, als er im Oktober während eines Premier-League-Spiels über eine Werbebande flog und einen dahinter postierten Pressefotografen erwischte. Der Fotograf trug eine gehörige Platzwunde davon, Townsend musste für einige Minuten mit der Sauerstoff-Flasche versorgt werden, spielte die Partie aber zu Ende. Später entschuldigte sich er sich beim Fotografen: „Sorry für die schlechte Cantona-Imitation.“ Auch Townsends erste Schritte in der Nationalelf sorgten für Wirbel. Trainer Roy Hodgson soll seiner Mannschaft in der Kabine mit den Worten „füttert den Affen“ aufgefordert haben, Townsend besser in Szene zu setzen.
Tom Cleverly (12 Länderspiele):
Nach dem Paul Scholes 2011 erstmals seine Karriere beendet hatte, meinte Sir Alex Ferguson, in Eigengewächs Tom Cleverly den geeigneten Nachfolger gefunden zu haben. Ähnlich wie Andros Townsend war der zentrale Mittelfeldspieler bis dahin an unterklassige Teams verliehen worden, um die nötige Spielpraxis zu erhalten. Doch so richtig konnte Cleverly den Vorschusslorbeeren nicht gerecht werden. Zwar kam er in den folgenden Spielzeiten regelmäßig auf seine Einsätze, doch von einem Stammplatz konnte keine Rede sein. Oft genug vertraute Ferguson im Mittelfeldzentrum lieber auf die Dienste von Oldie Ryan Giggs oder zog Verteidiger Phil Jones eine Reihe nach vorn. Sowohl in Manchester, als auch im englischen Nationalteam, für welches er 2012 unter Fabio Capello debütierte, ist er seitdem umstritten. Die einen halten ihn für den überschätztesten Spieler Manchesters, die anderen verweisen auf seine hervorragende Passquote. Seine zwei stärksten Argumente im Kampf um einen Nationalmannschafts-Stammplatz? Zum einen ist Cleverly erst 24 Jahre alt, und damit neun, bzw. elf Jahre jünger als Steven Gerrard und Frank Lampard, zum anderen ist die überschaubare Konkurrenz in Person von Jack Wilshere häufig verletzt. Zum Hoffnungsträger taugt man so aber weniger.
Adam Lallana (1 Länderspiel):
Ganz neu dabei ist Southamptons Adam Lallana. Mit seinen immerhin schon 25 Jahren firmiert der Mittelfeldspieler allerdings nur noch so halb unter dem Schlagwort Nachwuchshoffnung. Auf der anderen Seite ist das auch der Grund, warum Lallana noch bei Southampton unter Vertrag steht. Die augenscheinlich Hochbegabten wie Gareth Bale, Theo Walcott oder Alex-Oxlade Chamberlain wurden dem Verein noch in ihrer Teenager-Zeit weggekauft. Lallana blieb und entwickelte sich still und stetig weiter. Bei seinem National-Elf-Debüt am Freitag gegen Chile spielte er zusammen mit seinem Teamkollegen aus Southampton, Jay Rodriguez, der einen ganz ählichen Karriere-Weg hinter sich hat. Am Ende steht die immer gleiche Frage: Spielen Lallana und Co. bei den kleineren Vereinen der Liga, weil sie für die größeren nicht gut genug sind? Oder weil die großen Teams auf die Strahlkraft internationaler Superstars setzen? Lallana selbst ist das erstmal ganz egal. Nach seinem ersten Länderspiel gab er wenig überraschend zu Protokoll: „Ich hoffe, das war nicht das letzte Mal. Ich bin hungrig auf mehr.“
Daniel Sturridge (8 Länderspiele):
Gegen Adam Lallana ist Daniel Sturridge mit seinen acht Länderspielen fast schon ein alter Hase. Auch seine fußballerische Vita liest sich wie die eines ganz Großen. Sturridge stand bereits bei Manchester City und dem FC Chelsea unter Vertrag, ehe er Anfang 2013 zum FC Liverpool wechselte. An der Anfield Road gelang ihm dann nachhaltig einzulösen, was er seit seiner Jugend versprach. Sturridge ist extrem schnell, aber im Gegensatz zu so manchem verkappten Sprinter auch am Ball durchaus zu gebrauchen, zudem noch sicher im Abschluss. Das Manko seiner Jugend, hin und wieder trotz aller Begabung im Spiel die falschen Entscheidungen zu treffen, hat sich nun, da er inzwischen 24 Jahre alt ist, relativiert. In elf Ligaspielen erzielte er bereits acht Treffer. Zudem beweist Sturridge, dass es so etwas wie ein Stürmer-Gen gibt. Onkel Dean Sturridge schnürte jahrelang die Stiefel für Derby County. Dass die Leute den jungen Sturridge häufig Dean rufen, stört Daniel nicht: „Ich bin stolz auf meine Familie.“