Im Sommer 2011 wechselte Samuel Eto’o zu Anschi Machatschkala, seitdem wirft der Erstligist mit Geld um sich. Aber was steckt überhaupt hinter dem Klub? Eine Erkundung im Sizilien des Kaukasus, wo die Hochzeiten üppig sind und die Waffen locker sitzen.
Als Samuel Eto’o im Sommer 2011 bei Anschi unterschrieb, hatte er keinen blassen Schimmer, wie es in Machatschkala aussieht. Er wusste nicht, dass in der Stadt schon 55 Polizisten in diesem Jahr ermordet worden waren und dass auf den Straßen direkt neben den eleganten Hochzeitsläden heruntergekommene Häuser stehen. Er wusste auch nicht, dass gegenüber den Luxuscafés mit den üppigen Torten in den Schaufenstern billige Pappschilder auf Friseursalons hinweisen.
Zwei Städte in einem
Es ist, als gäbe es in Machatschkala zwei übereinander gelagerte Städte: eine europäisch angehauchte, die in Richtung des 1600 Kilometer entfernten Moskaus schielt. Und eine andere, die in ihren Bräuchen und ihrer Architektur islamisch ist. Beide leben von Dienstleistungen, Handwerk, Handel und empfangen Gäste vor allem aus dem nahen Tschetschenien und aus Inguschetien. In der Hauptstadt der Kaukasusrepublik Dagestan, die so groß wie Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zusammen ist, sind 80 Prozent der Einwohner arbeitslos oder tun zumindest so. Korruption ist weit verbreitet.
Den Verein Anschi gibt es erst seit 1991. Suleyman Kerimov, der durch Erdöl und viele andere mehr oder weniger durchsichtige Geschäfte reich geworden ist, erwarb den Verein 2011. Er gab einen Teil seines auf sechs Milliarden Euro geschätzten Vermögens für die Fußballmannschaft aus: Der brasilianische Weltmeister Roberto Carlos kam, der Russe Yuri Zhirkov und im August schließlich Eto’o, dreifacher Gewinner der Champions League mit dem FC Barcelona und Inter Mailand. Kerimov machte Eto’o zum bestbezahlten Fußballspieler der Welt. 20 Millionen Euro soll der Kameruner pro Saison kassieren.
Jeden Tag geht ein Stück europäischer Charakter verloren
Kurz nach Eto’os Ankunft in Machatschkala ereignete sich nicht weit vom Stadion mal wieder ein Attentat. Zwei Autobomben explodierten im Abstand von einer Viertelstunde. Die zweite Explosion sollte die Polizisten treffen, die nach dem ersten Knall zu Hilfe eilten. Es gab sechs Tote. De Stadt verliert jeden Tag ein Stück ihres europäischen Charakters und wird immer islamischer. Junge Leute kommen aus den Bergen und bauen Häuser, vor allem in der kerzengeraden Straße, die das Kaspische Meer links liegen lässt und die Stadt mit dem Flughafen verbindet. Dagegen verlassen viele Jugendliche christlich-orthodoxen Glaubens die Stadt in Richtung Moskau. Im Zentrum sieht man Mädchen, die Jeans statt Schleier tragen, aber gleichzeitig schließen Nachtklubs, werden Rauchen und Alkoholkonsum in den Lokalen verboten.
Auf wenigen Quadratkilometern leben 30 verschiedene Ethnien zusammen, doch 90 Prozent der rund eine Million Einwohner sind inzwischen Muslime. „Die Bewohner Dagestans gleichen den Sizilianern“, sagt der Journalist Timur Dzhafarov, der für die russische Nachrichtenagentur Interfax arbeitet. „Wenn wir den Film ›Der Pate‹ gucken, dann erkennen wir uns in seinen Werten wieder. Wir sind impulsiv und hängen an unserer Familie.“
Impulsiv werden auch Erfolge beim Fußball gefeiert, so wie im April, als Anschi gegen Spartak Moskau gewann. Es war das erste Mal, und die Fans feierten mit einem Hupkonzert. „Die Teams aus Moskau und Zenit Sankt Petersburg sind unsere Rivalen“, sagt Ramazan Gadziev, der junge Anführer der Ultra-Gruppierung Wild Division. „Wir sind die Härtesten, klar. Es gibt kaum jemand, der mutig genug ist, es mit uns aufzunehmen.“ Bis Juni fuhren die Jungs der Mannschaft stundenlang mit dem Auto hinterher. Einmal brauchten sie fünf Tage bis nach Sankt Petersburg. Inzwischen stellt Kerimov einen Charter-Flieger für 150 Personen. „Die Tickets werden an diejenigen verteilt, die am besten für die Wild Division arbeiten, am lautesten brüllen und sich am besten verhalten. Auswärts repräsentieren wir schließlich ganz Dagestan.“
Unter der Woche trainiert Anschi in Moskau, dort lebt auch Eto’o, weit abseits aller Gefahren. Die Ultras treffen sich dann am Sportzentrum der Universität Dagestan, wo die Nachwuchsteams spielen, ein Komplex mit wassergrünen Mauern und hellblauen Absperrgittern. Hier trainiert auch Magomed Rasul, den sie Eto’o nennen. Der zwölfjährige Blondschopf ist aber zu schüchtern, um mit Unbekannten zu sprechen. Als kleiner Junge hat er sich Eto’o als Idol ausgesucht, und wer weiß, was er im Sommer 2011 dachte, als er erfuhr, dass sein Liebling zu Anschi wechselt. In Anschis Fußballschule spielen 800 Kinder. Auf dem großen Feld ist Kunstrasen verlegt, ziemlich schick, aber auf den Nebenplätzen stolpern die Jungs über Flicken. „1992 hat jemand auf die Mauer geschrieben ›Unser Ziel ist die Champions League‹, und zwei hier ausgebildete Jungs haben dort schon gespielt“, sagt Alexander Makarov, der Direktor. 1995 gewann eine Mannschaft aus Machatschkala ein Turnier, an dem auch Real Madrid und der FC Barcelona teilnahmen. Die Geschichte wird im Sportzentrum immer noch den Kindern erzählt, die von Eto’o und seinem Originaltrikot träumen. Aber nur wenige werden es sich leisten können. Es kostet 2900 Rubel, 70 Euro, ein Drittel des durchschnittlichen Monatslohns. Es wird nur im Anschi-Fanshop verkauft, der aus zwei Räumen voller gelbgrüner Schlüsselanhänger, Stifte, Anstecker und Kappen besteht. „Wir haben europäische Preise, weil wir Anfragen aus der ganzen Welt bekommen“, sagt Timur, der Geschäftsführer. „Wir hatten 2000 Eto’o‑Trikots, und jetzt sind sie alle ausverkauft.“
Leben in der Plastikwelt
Vor den Spielen tragen die Spieler weiße Trainingsanzüge und ziehen ins Djami-Resort mit Stacheldraht auf den Mauern und zwei Wachen mit Maschinengewehren am Eingang. Es sind dieselben, die man auch am Trainingsgelände sieht. Das Feriendorf hat einen Garten, ein paar gelbe und rote Palmen aus phosphoreszierendem Plastik und einen Privatstrand. Am Eingangstor hängt ein Schild: „Vom 21. Juli bis 30. September sind Hotel, Tea-Shop und Bar für Anschi reserviert. Wir bitten um Verständnis.“ Inzwischen ist die Reservierung ausgelaufen, der russische Fußball ist im Winterschlaf, und der Fußballstar aus einer anderen Welt kommt Anfang März wieder.