Was will Hertha BSC sein? Big City Club oder ein Verein zum Mitmachen? Blöd, dass neben diesen Grundsatzfragen auch noch Fußball gespielt werden muss.
Was ist neu? Die Jacke. Gerade einmal einen Monat lang ist Herthas neuer Präsident Kay Bernstein im Amt, doch seine blau-weiße Trainigsjacke ist bereits jetzt ein absolutes Kultobjekt. Sollte Regisseur Nicolas Winding Refn zufällig ein „Drive“-Sequel in Erwägung ziehen, er sollte darüber nachdenken, Ryan Gosling statt der weiß-goldenen Skorpion-Jacke das Bernsteinsche Tracktop überziehen zu lassen – lässiger geht es nämlich kaum. Doch mit seiner Jacke erinnert Bernstein nicht nur an seine Wurzeln in Herthas Ultraszene, er demonstriert damit auch das neue Understatement, das mit seiner Wahl Einzug gehalten hat. Hertha ist jetzt ein Verein zum Mitmachen und Anpacken. Große Töne gehören der Vergangenheit an. Kostprobe gefällig? Unmittelbar nach seiner Wahl sagte er zu den Machtverhältnissen in der Stadt: „Wir müssen erst mal den Mund halten und kleinere Brötchen backen. Wir sind der Underdog und nicht mehr Union.“
Jacke wie Hose: Kay Bernstein ist Herthaner durch und durch.
Was ist so geblieben (verdammt nochmal)? Der Kader. Oder genauer: die Qualität des Kaders. Denn Bewegung gab es in der Besetzung der Mannschaft durchaus. Gestandene Bundesligaspieler wie Niklas Stark, Ishak Belfodil, Santiago Ascacibar und Jordan Torunarigha haben den Verein verlassen. Dafür kamen mit Filip Uremović (Rubin Kasan), Ivan Sunjic (Birmingham) und Chidera Ejuke (ZSKA Moskau) eher unbekannte Profis aus dem Ausland. Immerhin: Jonjoe Kenny, gewechselt vom FC Everton, dürfte aufgrund seines Jahres auf Schalke noch einigen bekannt sein. Ein Überflieger war er während dieser zeit allerdings nicht und auch die anderen bisherigen Transfers versprechen keine Wunderdinge, sodass der Eindruck bleibt: Große Sprünge im Vergleich zur letzten Saison sind mit diesem Kader nicht drin. Aber da die „Südländer“ mittlerweile aus ihrem Schlaf erwacht und damit auch für Fredi Boris erreichbar sein dürften, tut sich ja vielleicht noch etwas. Vielleicht in der Offensive. Denn…
Was fehlt? Ein Stürmer! Großverdiener und Klinsmannsches Big-City-Club-Transferoffensiven-Relikt Krzysztof Piątek will und soll den Verein verlassen. Bleiben bislang Stevan Jovetic und Davie Selke. Ersterer hat offenbar einen Vertrag in Altersteilzeit unterschrieben, der ihm ausreichend Pausen für seine zahlreichen Wehwehchen zugesteht. Und Davie Selke? Auch mit dem kann Hertha nicht planen. Schließlich dürften sie erst einmal damit beschäftigt sein, den Stürmer wieder einzufangen, sollte ihm im Pokal-Erstrundenspiel bei Eintracht Braunschweig ein Treffer gelingen.
Wenn dieser Klub ein Getränk wäre: Wenn es nach Investor Lars Windhorst geht, wahrscheinlich ein edler Moët. Wenn es nach Trainingsjacken-Kay geht, wahrscheinlich eher ’ne Molle für 2,50 in einer alteingesessenen Westberliner Eckkneipe. Was dabei herauskommt, wenn man beides wild durcheinandertrinkt? Keine Ahnung. Aber es wird bestimmt unterhaltsam. Und am Ende wacht man mit einem ordentlichen Brummschädel auf.
Das 11FREUNDE-Orakel: Um den Brummschädel kommt Hertha vielleicht herum. Wenn sich die von Bernstein verordnete Bodenständigkeit durchsetzt, alle in Ruhe ihrer Arbeit nachkommen können, ein wenig Konstanz in der Hauptstadt einkehrt, ohne dass aus lauter Langeweile plötzlich jemand auf die Idee kommt, Felix Magath zu verpflichten. Dann kann Sandro Schwarz zeigen, dass er durchaus in der Lage ist, intensiven aber erfolgreichen Fußball spielen zu lassen. Erfolgreich für Hertha hieße in diesem Fall: Platz zwölf.
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