Heute pfeift Bibiana Steinhaus zum ersten Mal in der Bundesliga. Deutschlands Schiedsrichterpionierin ist aber Gertrud Gebhard. Sie ertrug schon in den Neunzigern Chauvinismus und Medienhysterie.
Interviews gibt Gebhard schon damals ungern. Vor ihrer Zweitligapremiere beim Spiel zwischen Tennis Borussia Berlin und dem VfL Bochum schickt ihr der DFB per Brief sogar die Empfehlung, gar nicht mit der Presse zu reden. Aber die Reporter sind überall. Und die Kameras fangen jedes Detail ein: Naseputzen, Kopfkratzen, Blinzeln. „Ich hatte ständig das Objektiv im Nacken“, sagt Gebhard nach ihrem Debüt in der Zweiten Liga. „Ich musste aufpassen, dass ich nicht über eine Kamera stolpere.“ Geradezu „mannhaft“ habe Gebhard ihre Sache erledigt, findet Tebe-Trainer Winnie Schäfer. Um dann anzufügen, dass das natürlich nicht chauvinistisch gemeint sei.
Nach dem Spiel lässt sie sich doch für ein paar Interviews erweichen, „ganz kurz, bitte“. Ein Reporter möchte wissen, ob sie auftreten könne wie ein echter Mann. Sie antwortet: „Früher brauchte ich viele Gelbe Karten, um mich durchzusetzen. Heute schauen ich den Spielern in die Augen, und sie wissen wer der Boss auf dem Rasen ist.“ Und wann geht’s in die Bundesliga? „Das ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann. War’s das?“ Nein, eine Sache noch: Wie ist das mit dem Duschen?
Tatsächlich wird diese Frage monatelang in der Boulevardpresse diskutiert: Duscht Gertrud mit ihren männlichen Kollegen? Der „Express“ stellt sie, die „Bild“ und auch die „Hamburger Morgenpost“. Nach einem Spiel schreibt ein Schiedsrichterbetreuer, so weiß es die „Bild“, auf ein Schild: Damendusche. Dann geht es weiter im typischen „Bild“-Duktus: Was war (erstens) die „heißeste“ Szene“ von Gertrud Gebhard und was (zweitens) ihre „schärfste“? Die Antwort zu eins: eine richtige Abseitsentscheidung. Die Antwort zu zwei: die Dusche nach dem Spiel.
In einem Interview mit der „SZ“ darf Gebhard das erste Mal wirklich über ihre Rolle und Entwicklung sprechen. Sie sagt: „Ich habe mich nie als Frau im Fußball gefühlt. Ich war immer Schiedsrichter und wollte nur so behandelt werden wie meine männlichen Kollegen.“
Im Oktober 1995 wird sie erstmals für ein Bundesligaspiel nominiert: Schalke gegen Kaiserslautern. Nun kommentiert auch die Klatschzeitschrift „Gala“ mit. Sie findet nämlich, dass Gebhard dafür „eine Tapferkeitsmedaille“ verdiene. Schließlich habe eine andere Frau, die Moderatorin Carmen Thomas, den Verein einst als „Schalke 05“ bezeichnet. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Ach, nicht so wichtig.
Zurück an den Kochtopf
Natürlich muss Gebhard auch vor ihrem Bundesligadebüt wieder erzählen. Sind Sie aufgeregt? „Nein.“ Warum nicht? „Ich mache das schon länger. An diesem Wochenende pfeife ich außerdem ein Spiel in der Regionalliga und eines in der dritten Kreisklasse.“ Würden Sie sich freuen, wenn es mehr Schiedsrichterinnen geben würde? „Ja.“ Warum? „Dann würde ich aus dem Blickfeld rücken.“
Im Stadion rufen die Fans derweil, dass Gertrud Gebhard zurück an den Kochtopf gehen oder sich wenigstens ausziehen solle. Sie sagt: „Ich höre das.“ Nicht schlimm? „Die Spieler werden ja auch beleidigt.“
Und dann ist auf einmal Schluss. Nach nur zwei Bundesligaspielen als Linienrichterin. Gertrud Gebhard wird aus den Schiedsrichterlisten für die Bundesligen und der Fifa-Liste gestrichen. Die Medien verlieren das Interesse an ihr, niemand hinterfragt die Vorgänge. Vonseiten des DFB heißt es nur, sie sei ohne Perspektive. Im Hintergrund rumort es allerdings, Auseinandersetzungen mit dem Schiedsrichterausschuss, Streit mit den Männern, die das Sagen haben. Erst im Februar 1997 hört man wieder etwas von Gebhard. Sie sagt, sie habe die „Schnauze gestrichen voll“ von den Funktionären. Danach verschwindet sie für Jahrzehnte von der Bildfläche.
Immerhin in ihrem Kreis hat man sie bis heute nicht vergessen. In der Schiedsrichtergruppe Bamberg ist sie immer noch aktiv. 2010 bekam sie vom Bayrischen Fußballverbandes das Verbandsabzeichen in Gold. Als Würdigung für ihre 30-jährige Tätigkeit als Schiedsrichterin. Als Anerkennung für ihre Pionierarbeit.