Als im Mai die Bundesliga als erste große Fußballliga den Neustart nach der Corona-Pause wagte, war die Anspannung groß. Würde das Hygienekonzept aufgehen und sich keiner der Sportler mit dem Virus infizieren? Die DFL empfahl den Fußballprofis sogar, auf Umarmungen beim Torjubel zu verzichten. Als die Hertha-Spieler dies in ihrer ersten Partie gegen Hoffenheim nicht umsetzten, hagelte es Kritik. Bloß Vorsicht walten lassen!
Mittlerweile aber ist der Pandemie-Alltag im Fußball eingekehrt – und das, obwohl die Infektionszahlen aktuell so hoch sind wie nie zuvor. Tägliche Meldungen von Profis, die sich mit Corona infiziert haben, hätten im Mai wahrscheinlich noch zu mehreren ARD-Brennpunkte geführt, mittlerweile sind sie für viele nicht nicht mehr als eine Randnotiz. Klar, die Nachrichten häufen sich: Mehr als zehn Spieler bei der TSG 1899 Hoffenheim wurden in dieser Woche positiv getestet, ähnliches gab es in der 3. Liga bei Meppen oder bei Viktoria Köln zu vermelden. Aber kennt man ja bereits, also zurück zum Sport!
Besonders offensichtlich wird die Problematik in dieser Länderspielpause. Die Verbände nutzen aus, dass täglich neue Corona-Meldungen die Öffentlichkeit desensibilisiert haben. Sonst hätte die Länderspielpause, in der für die meisten Teams zwei Nations-League- und ein Freundschaftsspiel auf dem Plan stehen, wohl nicht stattgefunden.
Denn bei den Nationalmannschaften in ganz Europa herrscht das pure Corona-Chaos. Es gibt kaum ein Team, das keine Ausfälle wegen Infektionen mit dem Virus zu beklagen hat. Mehrere Spieler bekamen dabei die Nachricht von positiven Tests von Teamkollegen oder sich selbst, als sie schon zur Nationalmannschaft gereist waren. Oder wie der kroatische Nationalspieler Domagoj Vida erst, nachdem er schon eine Halbzeit im Länderspiel gegen die Türkei absolviert hatte. Der kroatische Fußballverband argumentierte, das Ergebnis erst zu diesem Zeitpunkt erhalten zu haben – warum Vida aber ohne gültigen Corona-Test überhaupt hatte spielen dürfen, ist ein Rätsel. Bei der deutschen Nationalmannschaft war Oliver Baumann, Torwart der coronageplagten Hoffenheimer Mannschaft, bereits zum Nationalteam gereist, bevor er sich dann doch in Quarantäne begeben musste. Da nützt es auch nichts, in den Ligen ausgefeilte Hygienekonzepte mit Fußballblasen zu entwickeln, wenn diese für die Länderspielpause komplett über den Haufen geworfen werden.
Besonders verrückt ist die Situation auch bei der dänischen Nationalmannschaft. Das Land steht gerade im Fokus der Corona-Pandemie, weil dort auf Nerzfarmen neue Mutationen des Virus entdeckt wurden. Und trotzdem trat die dänische Nationalmannschaft am Mittwoch zum Freundschaftskick in Schweden an. Auf 20 Akteure musste Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand dabei verzichten und mehrmals Spieler nachnominieren – bei den Schweden durfte unter anderem Nationaltrainer Janne Anderson wegen einer Corona-Infektion nicht auf der Bank sitzen. Wo der Wert von Nations-League-Partien und Freundschaftsspielen schon vorher fraglich war, wird er nun ad absurdum geführt, denn Gewinner ist meist der, der wenigstens noch mit ein paar Stammspielern anreisen kann.
Am Sonntag soll dann Island eine Nations-League-Partie in Kopenhagen absolvieren, weshalb für sie das drei Tage später stattfindende Länderspiel in England zum großen Problem wird. Großbritannien nämlich hat bereits einen Einreisestopp aus Dänemark ausgesprochen, der natürlich auch für das isländische Nationalteam gilt.
Rege wird nun diskutiert, ob ein anderer Standort für die Partie möglich ist oder die Isländer doch irgendwie an eine Ausnahmegenehmigung kommen. Die sinnvollste Option, eine Spielabsage, steht hingegen nicht im Raum – überhaupt wurde bisher nur eine Partie (zwischen Norwegen und Israel) abgesagt. Warum das so ist, ist längst kein Geheimnis mehr: „Bedeutende ökonomische Aspekte“, entgegnete der Generalsekretär des schwedischen Fußballverbands, Hakan Sjöstrand, auf die Frage, warum man unbedingt gegen Dänemark spielen wolle. Man sei von den Einnahmen abhängig.
Die UEFA verweist außerdem auf ihr Protokoll „Return to play“, dass im August die Wiederaufnahme des Spielbetriebs regeln sollte. „Zurück zum Spiel“ sollte es gehen, und das mit allen Mitteln. Wenn ein Land die Austragung eines Spiels nicht gewährleisten kann, drohen den jeweiligen Verbänden Niederlagen am grünen Tisch. Und Präsident Aleksandr Ceferin verbucht die Nichtabsagen sogar als Erfolg: „Es ist ein unglaubliche Leistung, dass wir mehr als 97 Prozent der geplanten Spiele durchgeführt haben. Die Zahl der positiven Tests ist extrem niedrig und liegt deutlich unter ein Prozent“, erklärte der Slowene.
Vereine wie die Offenbacher Kickers werden über solche Argumente herzlich lachen können. Die Regionalliga-Clubs haben wegen der Corona-Krise genauso finanzielle Zwänge, die wohl um einiges existenzbedrohender sind als die der großen Fußballverbände. Sie aber müssen den Ligabetrieb zum Wohle der Gesellschaft pausieren, während die Nationalmannschaften mit ihrem leichtsinnigen Umgang die Eindämmung der Pandemie aufs Spiel setzen.
Wenn UEFA, DFB und andere Verbände nicht das letzte bisschen Glaubwürdigkeit verspielen wollen, dann muss wenigstens der kommende Nations-League-Spieltag abgesagt werden. Es wäre nicht der gewünschte „Return to play“ – aber die Rückkehr zur Verantwortung.