Heute pfeift Bibiana Steinhaus zum ersten Mal in der Bundesliga. Deutschlands Schiedsrichterpionierin ist aber Gertrud Gebhard. Sie ertrug schon in den Neunzigern Chauvinismus und Medienhysterie.
Wenn über Wegbereiter des deutschen Fußballs gesprochen wird, geht es fast immer um Männer. Um den Konrad Koch etwa, der den Fußball aus England nach Deutschland brachte. Um Walther Bensemann, der das „Kicker“-Magazin gründete und an der Gründung des DFB beteiligt war.
Aber Frauen? Gelegentlich würdigt man Hannelore Ratzeburg, die sich schon seit den siebziger Jahren für Frauenfußball engagiert. Dieser Tage ist auch wieder häufiger von Bibiana Steinhaus die Rede, denn sie wird heute das Spiel zwischen Hertha BSC und Werder Bremen leiten. Als erste leitende Schiedsrichterin in der Bundesliga.
Der Name Gertrud Gebhard taucht in Rückblicken eher selten auf. Dabei leistete auch sie Pionierarbeit. Sie war die erste Schiedsrichterin, die ein Damenländerspiel pfiff. Die erste Frau, die im DFB-Pokal der Männer an der Seitenlinie stand. Und vor allem: Sie war die erste Frau, die es bis in die Bundesliga schaffte. 22 Jahre vor Bibiana Steinhaus.
Ein „unschönes“ Ende?
Man erreicht Gertrud Gebhard, 55 Jahre, geborene Regus, telefonisch in Süddeutschland. Ob sie aus ihrer Bundesligazeit erzählen möchte? „Nein“, sagt sie, ohne Verbitterung und mit sanfter Stimme zwar, trotzdem bestimmt. Sie bedankt sich für die Anfrage, ihre Zeit als Profischiedsrichterin sei allerdings „sehr unschön“ zu Ende gegangen. Dann wünscht sie einen schönen Tag.
Ein unschönes Ende? Die alten Interviews und Artikel ergeben zunächst das Bild einer starken Frau. Sie erzählen eine Geschichte, die von einem steilen Aufstieg handelt. Aber eben auch von Machosprüchen, von Medienhysterie und verkrusteten Verbandsstrukturen. Von einem aussichtslosen Kampf in einer von grauen Männern dominierten Fußballwelt.
Es fängt alles in den späten Siebzigern an, in Hallstadt, 8000 Einwohner, oberfränkischer Landkreis Bamberg. Gebhard liebt Fußball, und schon das ist außergewöhnlich, denn in den Bundesligastadien dominieren damals die starken Männer. Vokuhila, Schnurrbart, Bier. Wer Stress sucht, findet ihn. Wer ihn nicht sucht, auch. Frauen kann man in den meisten Kurven an einer Hand abzählen. Dafür sind sie Teil von Fangesängen („Eine kleine Nymphomanin…“) oder prangen auf Kuttenaufnähern, in Form von atombusigen Vergewaltigungsphantasien ihrer Träger.
Gebhard schaut sich aber nicht nur Fußballspiele an, sie spielt auch selbst. Weil es keine Damenmannschaft gibt, kickt sie mit ihren Brüdern im Garten, und als sich die Jungs 1980 einer lokalen Fußballmannschaft anschließen, überlegt sie, wie sie dem Sport erhalten bleiben kann. Eines Tages drückt ihr der Obmann einer örtlichen Schiedsrichtegruppe Pfeife und Karten in die Hand. Er bittet sie, das Spiel einer Christlichen Arbeitnehmerjugend zu leiten. Damals sind im deutschen Fußball gerade mal 0,8 Prozent der Schiedsrichter Frauen.
Gebhard, die 1,65 Meter große Verwaltungsangestellte, findet Gefallen an der Aufgabe. Sie zückt Karten, niemand kommt ihr krumm. Sie darf Jugend- und Schülermannschaften pfeifen. Dann geht es zu den Herrenteams, Kreisklasse, Kreisliga, Bezirksliga. Jedes Jahr überspringt sie zwei Klassen. 1989 wird sie in die Verbandsliste der Landesliga geführt, 1992 schafft sie es als erste Frau in die Bayernliga. Danach: Frauen-Länderspiele, Teilnahme bei der Frauen-WM in China, DFB-Pokalfinale der Damen.
Auch bei den Männern mischt sie bald mit, Anfang der Neunziger pfeift sie Spiele in der drittklassigen Regionalliga, sie gilt sie als beste deutsche Schiedsrichterin. Wenig später, zur Saison 1993/94, wird sie als Linienrichterin für Spiele der Zweiten Bundesliga nominiert. Ihr Chef Johannes Malka sagt: „In Ozeanien steht schon eine Frau auf der Fifa-Liste. Warum soll das nicht bei uns auch möglich sein?“
„Ich denke, eine Frau hätte Probleme“
Vielleicht ist dieser Aufstieg das Anfang vom Ende, denn ab Juli 1993 bricht ein ungeahnter Rummel über sie herein. Jeder Fußballfan, Journalist oder Spieler hat eine Meinung, und jeder tut sie kund. In Leserbriefen, in Umfragen, in Interviews, in Zeitungskommentaren. Im „Kicker“ dürfen sich verschiedene Bundesligatrainer und –spieler an Gebhard abarbeiten. Pierre Littbarski, Christoph Daum oder Peter Neururer sprechen sich für Schiedsrichterinnen in der Bundesliga aus. Ottmar Hitzfeld hingegen sagt: „Ich habe ganz bestimmt nichts gegen Gleichberechtigung, aber es spielen ja auch keine Frauen mit. Ich denke, eine Frau hätte Probleme, das Pensum läuferisch zu bewältigen.“
Nach einem Spiel urteilt der „Kicker“: „Vor Aufregung hielt sie die Fahnenstange in der Hand, als müsste sie eine Kartoffel zermanschen.“ Die „FAZ“ berichtet staunend, dass Schiedsrichter Helmut Fleischer in einer Situation auf Abseits entscheiden wollte, dann aber hinüber zu seiner Assistentin schaute, die, potzblitz, ihre Fahne gar nicht gehoben hatte. Er ließ also weiterspielen. „Er vertraute seiner Gehilfin.“