Borussia Mönchengladbach ist der deutsche Konsensklub. Doch auf dem Weg zu alter Größe braucht es auch etwas Wahnsinn.
Schon damals gehörte der Textilunternehmer zum dreiköpfigen Vorstand, der sich daran machte, den Klub zu sanieren. Seit 2004 ist er Vorsitzender, immer noch ehrenamtlich, immer noch ohne einen Euro Kosten abzurechnen, wie er betont. Bis heute wirkt er fremd in der Welt des Fußballs. Königs trägt zum Anzug stets Einstecktücher und tritt auch sonst so auf, dass einem sofort das Wort „distinguiert“ einfällt. Obwohl er bei internationalen Auswärtsspielen stets dorthin kommt, wo sich die mitgereisten Anhänger treffen und bereitwillig Hände schüttelt, ist er zweifellos nicht das, was man fannah nennt. Vermutlich kennen ihn selbst viele Gladbach-Fans nicht. Genauso wenig wie Geschäftsführer Schippers oder die Namen der Abteilungsleiter für Marketing, den Stadionbetrieb oder die Nachwuchsarbeit.
Keine Transfers auf Pump
Dabei ist es wichtig, ihre Geschichte zu kennen, denn die Wiedergeburt der Fohlenelf vollzog sich ab 1999 nicht zuerst auf dem Rasen, sondern in den Bürozimmern des Vereins. Die meisten, die an der Renaissance des Klubs beteiligt waren, stammen wie auch Königs und Schippers aus Mönchengladbach selbst. Und als sie zur Borussia kamen, waren sie Newcomer. Schon drei Jahre nach dem Fast-Kollaps schrieb der Klub dank dieser Fohlen erstmals wieder schwarze Zahlen, 2004 zog er ins eigene Stadion. In diesem Jahr wird er 125 Millionen Umsatz machen und schuldenfrei sein. „Wir geben nicht mehr Geld aus, als wir haben“, sagt Königs. Es gibt keine Transfers auf Pump, dafür hat der Klub einige Hektar Gelände um das Stadion zugekauft, als die Gewerbeerschließung zu nahe rückte. Alles, was bei diesem Klub passiert, ist so unglaublich solide und vernünftig, dass es fast schon unsexy ist.
Auch Max Eberl kam 1999 und arbeitete zunächst fünf Jahre lang als ein Außenverteidiger, dem man nicht unrecht tut, wenn man seine Spielweise brav und wacker nennt. 2005 wurde er Nachwuchsmanager von Borussia Mönchengladbach. Dass das Nachwuchsleistungszentrum heute zu den am besten bewerteten in Deutschland gehört, liegt auch an seiner Arbeit. Als er begann, hatte der Klub einen Nationalspieler in den Jugendnationalmannschaften, im Moment sind es 18. Seit sechs Jahren ist er Sportdirektor und als solcher sagt Eberl an einem Freitagmorgen im November: „Das ist unsere Keimzelle.“
Alle Trainer des Klubs, auch die der Jugendmannschaften und des Frauenteams, sitzen an den langen Tischen im „Spelershome“ im Souterrain des Borussia-Parks. Den Begriff hat der ehemalige Trainer Hans Meyer aus Holland mitgebracht, im „Spelershome“ verbringen sonst die Spieler ihre freie Zeit. Doch freitags vor jedem Heimspiel treffen sich hier die Coaches zum Frühstück, heute hat Torwarttrainer Uwe Kamps für die Brötchen und das Rührei gesorgt. Fans könnten bei dieser Gelegenheit prima ihre Autogrammsammlung von Borussia-Helden auffrischen. Oliver Neuville ist da, Arie van Lent, Markus Hausweiler, Steffen Korell, Manfred Stefes, alle arbeiten als Trainer für diverse Teams. Man kennt sich also oft schon seit Jahren, das Familiäre ist keine Behauptung. Nach dem Frühstück gibt es regelmäßig einen kurzen Vortrag. Mal geht es um taktische Fragen, um die Schulung von Jugendspielern oder adäquates Torwarttraining. Heute erklärt die Presseabteilung, wie soziale Medien funktionieren, in welche Fallen auch Nachwuchsspieler tappen können und welche Regeln gelten sollten.
Der Vortrag ist knapp und klar, die anschließende Diskussion kurz, die Fragen präzise. Auch hier wirkt der Klub durchdacht, zielorientiert, professionell und für einen Fußballverein ziemlich unaufgeregt. Man kann ihn sich vorstellen wie den Flipchart im Büro von Max Eberl. Dort sind mit roten und blauem Filzstift die Spielzeiten eingetragen, die Punkte aus der Hin- und die aus der Rückserie, und die Namen der Trainer: HM für Hans Meyer, MF für Michael Frontzeck und LF für Lucien Favre. Eingetragen sind auch die Tabellenplatzierungen der letzten Jahre. Gemittelt ist es, seit Eberl Sportdirektor ist, ständig nach oben gegangen.
Marin, Dante, Reus – die Abgänge waren schmerzhaft
„Es muss eine Leitlinie geben und einen Plan, wie die Mannschaft aussehen soll“, sagt er. Das hört sich wie ein Allgemeinplatz an, aber in Mönchengladbach ist der Plan auch umgesetzt worden. Der Kader, so war die Vorgabe, soll zu einem Drittel aus eigenen Nachwuchsspielern bestehen, und tut es auch. Dazu kommen entwicklungsfähige Talente aus anderen Klubs, für die Borussia oft nur eine Durchgangsstation ist, wie einst für Marco Reus, Roman Neustädter oder derzeit wahrscheinlich Granit Xhaka und Christoph Kramer. Und dann sind da noch die Führungsspieler, fertige Profis wie Max Kruse, der Brasilianer Raffael oder Torhüter Yann Sommer. Natürlich war es schmerzhaft, als Marko Marin den Klub verließ, dann Marco Reus und Dante, oder als in diesem Sommer Torwart Mark André ter Stegen zu Barcelona wechselte, aber Eberl hat die opulenten Ablösesummen so investiert, dass sich die Qualität der Mannschaft kontinuierlich verbessert hat.
Auf seinem Flipchart ist jedoch auch ein Blitz eingezeichnet, direkt über „10÷11 MF 10“. In der Hinrunde der Saison 2010/11 hatte Michael Frontzeck nur zehn Punkte geholt, und Borussia drohte der dritte Abstieg aus der Bundesliga. Ins Bild aufsteigender Kurven passt das nicht. „Das ist das Loch, wo wir den Trainer entlassen haben“, sagt Eberl. Er hätte auch sagen können: Hier begannen die dramatischsten Wochen der jüngeren Vereinsgeschichte und auch die aufregendsten für ihn selbst. Denn in fast aussichtsloser Situation im Abstiegskampf entließ er Frontzeck und verpflichtete einen Trainer, der zu diesem Zeitpunkt fast anderthalb Jahre arbeitslos war, weil er nach seinem Rauswurf bei Hertha BSC als nervöser Zauderer galt: Lucien Favre. Wer ihn damals wohlwollender sah, hielt ihn für einen interessanten Konzepttrainer, aber wohl niemand für einen Feuerwehrmann.
Eberl hatte Favre Anfang 2008 in der Schweiz besucht, als er noch den Nachwuchs managte und sich darüber informieren wollte, wie in der Schweiz ausgebildet wird. Dreieinhalb Stunden hatte er bei Favre auf der Veranda gesessen, den Mont Blanc im Hintergrund. „Das war stressfrei, weil weder er mir noch ich ihm etwas verkaufen wollte“, sagt Eberl. „Als ich wegfuhr, hatte ich ein bisschen im Kopf: Wenn du irgendwann mal was machen dürftest, dann wär das schon ein Trainer, bei dem man denkt, es könnte gut passen.“
Vogts‘ Kritk an Eberl
Im Februar 2011 durfte er nicht nur machen, es musste auch passen, denn Eberl und Borussia Mönchengladbach lebten im Belagerungszustand. Berti Vogts verspottete den Sportdirektor öffentlich als „Ja-Sager seiner Majestät“, gemeint war Präsident Königs. „Eberl weiß ja gar nicht, wie er in diese Position gekommen ist. Er ist kein Borusse! Er ist mal von Torpfosten zu Torpfosten gelaufen und mehr nicht“, giftete Vogts, immerhin einer aus der Fohlenelf. Die Gehässigkeit traf durchaus eine allgemeine Stimmung. Genau wie die „Initiative Borussia“ mit Frontmännern wie Stefan Effenberg und Horst Köppel. Sie mobilisierte im Prinzip gegen alle, die den Klub 1999 übernommen hatten. Ein Schattenkabinett stand bereit, ihre Posten zu besetzen.
Wie zugespitzt die Situation war, zeigt sich dadurch, dass alle im Verein die gleiche Antwort auf die Frage nach dem größten Moment der letzten Jahre geben. „Die Relegation gegen Bochum“, sagt Eberl. Sagt Schippers. Sagt Königs. Sagt Favre. Sagen alle. Uwe Kamps, der im Tor stand, als Borussia Mönchengladbach 1995 beim Sieg im DFB-Pokalfinale gegen Wolfsburg den letzten Titel gewann, meint sogar: „Für den Erfolg in der Relegation kannst du den Pokalsieg in die Tonne kloppen.“ Dass durch einen Abstieg der komplette Umsturz drohte, sorgte innerhalb des Vereins für ein großes Zusammenrücken. „Alle haben darum gekämpft, dass wir drin bleiben. Da hat sich gezeigt, dass es im Klub stimmt“, sagt Kamps.