Die belgische Gesellschaft driftet auseinander, die Nationalmannschaft aber ist das stärkste Symbol für den Zusammenhalt des Landes.
Verwundert schauten die Touristen drein, als spät an einem lauen Sommerabend im Juli 2014 plötzlich feiernde Menschen in roten Klamotten jene Tram in Oostende enterten, die an der belgischen Nordseeküste entlangfährt. Belgien hatte gerade im fernen Salvador da Bahia gegen die USA gewonnen, sich fürs WM-Viertelfinale qualifiziert, und zu Hause an der Küste spielten sich ungesehene Szenen ab.
Die Fans in der Tram sangen nicht nur, sie sprangen auch darin herum, sie waren ausgelassen und zugleich ein bisschen verlegen, weil sie so etwas nicht gewöhnt waren. Solche Erfolge einerseits, und ihr Land zu feiern andererseits.
Dass Fritten, Königshaus und die „Roten Teufel“ das chronisch zerstrittene Belgien zusammenhalten, ist eine etwas in die Jahre gekommene Behauptung. Zumal die Monarchie schon bessere Tage gesehen hat und Pommes zwar überall zwischen Brügge und Charleroi mit Begeisterung gefuttert werden, doch deshalb niemand in Bussen und Bahnen eine Polonaise starten würde.
Die belgischen Fußballer, die in diesem Sommer als einer der Favoriten zur EM fahren, erweisen sich hingegen mehr denn je wirklich als Amalgam zwischen frankofonen und flämischen Belgiern.
Belgien wurde schon öfter totgesagt
Trägt die letzte Hoffnung, die Landesteile noch zusammenhalten zu können, also Teufelshörner und einen Dreizack, wie sie im offiziellen Logo des Teams zu sehen sind? Gemach, gemach! Belgien, zuletzt als sicherer Hafen für Dschihadisten und gescheiterter Staat verrufen, wurde von internationalen Medien schon öfter totgesagt. Doch so schnell, wie es von außen mitunter scheinen mag, fällt das krisenerprobte und arrangierfähige Land nicht auseinander.
Richtig ist allerdings auch: Belgien ist eine Zentrifuge, und das hoch veranlagte Nationalteam wirkt den Fliehkräften entgegen.
Medien, Kultur und selbst Parteien sind in Belgien in einen französisch- und einen niederländischsprachigen Teil getrennt. Der Fußball ist eine der wenigen Ausnahmen von dieser Regel, zumal seit die Goldene Generation der Roten Teufel an der Weltspitze mitmischt. Unübersehbar ist das auch, weil der belgische Fußballverband seit einigen Jahren eine gigantische Branding-Kampagne betreibt.
Das besagte Logo gehört dazu ebenso wie der englische Name Red Devils, „Teufel-Herausforderungen“ genannte Fan-Aktionen und eifrige Aktivitäten in sozialen Medien.
Repräsentanten des ganzen Landes
Bei all dem geht es natürlich zunächst einmal um wirtschaftliche Interessen, es gibt aber auch eine inhaltliche Dimension. Grundsätzlich sind belgische Auswahlkicker nicht politischer als ihre Kollegen in anderen Ländern, nur sind aber die beiden prominentesten „Teufel“ ausgesprochene Belgicisten, also Befürworter der Einheit Belgiens.
Nationaltrainer Marc Wilmots sieht sein Team ausdrücklich als Repräsentanten des ganzen Landes „mit seinen Französisch‑, Niederländisch- und Deutschsprachigen“ – Letztere bilden eine kleine Minderheit zwischen Lüttich und Aachen.