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Johan­nes­burg, 2. Juli 2010, WM-Vier­tel­fi­nale. Uru­guay hat an diesem Abend nicht nur das Sta­dion, es hat einen Kon­ti­nent gegen sich. Fast die ganze Welt gönnt Ghana gegen die Celeste einen Sieg und damit den ersten WM-Halb­fi­nal­einzug einer afri­ka­ni­schen Mann­schaft in der Geschichte. Als die Black Stars vor der Pause in Füh­rung gehen, hat Uru­guays Kapitän Diego Lugano gerade ver­letzt den Platz ver­lassen. Über 80 000 Zuschauer tröten den Spie­lern in den hell­blauen Jer­seys gna­denlos ent­gegen. Kurz: per­fekte Bedin­gungen für das Team aus Süd­ame­rika.

Gleich nach der Pause knallt Diego Forlan einen Frei­stoß ins lange Eck. Am Ende haben die Uru­gu­ayer sogar das Schieds­rich­ter­ge­spann gegen sich, als der Unpar­tei­ische nach einem Faller von Dominic Adiyiah in der 119. Minute auf Frei­stoß vor Uru­guays Tor ent­scheidet und der Assis­tent fünf im Abseits ste­hende Gha­naer über­sieht. Eine gefühlte Ewig­keit flip­pert der Ball durch den Straf­raum und fliegt in der letzten Sekunde des Spiels auf einmal unge­bremst Rich­tung Tor­netz. Doch auf der Linie steht Stürmer Luis Suarez und patscht die Kugel mit beiden Händen zurück ins Feld. War Mara­donas Hand­spiel 1986 die Hand Gottes, ist dies die Hand des Teu­fels. Elf­meter. Suarez sieht Rot und trottet mit unschul­digem Blick vom Platz. Als Asa­moah Gyan Ghanas Match­ball an die Latte setzt, ver­folgt Suarez den Fehl­schuss aus der Ferne – und jubelt ver­schmitzt.

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Stolz auf das kratz­bürs­tige Image: Penarols Jugend vor dem Gang auf den Platz

Ignacio Coló

Nach der zwei­fel­haften Aktion geht Uru­guay mit dem gigan­ti­schen Selbst­be­wusst­sein eines zwei­ma­ligen Welt­meis­ters ins Elf­me­ter­schießen. Keeper Fer­nando Mus­lera pariert zwei Schüsse, bis der sym­pa­thi­sche Wan­der­vogel Sebas­tian Abreu antritt und das Duell mit einem Lupfer ent­scheidet. Trainer Oscar Tabarez sagt später: Ich bin stolz auf das Team. Wir haben nicht gut gespielt, aber der Sieg war ver­dient.“ Nicht gut gespielt und trotzdem ver­dient gewonnen. Gegen alle Wider­stände. Sogar gegen die Regeln. Mit viel List. Das Spiel war eine Blau­pause des uru­gu­ay­ischen Fuß­balls.

Uru­guays Spieler können mental gut mit Rück­schlägen umgehen. Es hat schon viele Duelle gegeben, die unsere Teams kurz vor Schluss gedreht haben“, sagt Nestor Gon­çalves, Chef des Jugend­scou­tings bei Penarol und Sohn der gleich­na­migen Klub­le­gende, dessen Spitz­name Tito“ lau­tete. Er denkt nicht vor­nehm­lich an den WM-Titel­ge­winn von 1930 oder an den Coup 1950, als Uru­guay ganz Bra­si­lien im Mara­cana in Agonie stürzte. Eher an die Husa­ren­streiche von Penarol in der Copa Libert­adores, bei­spiels­weise an das Finale 1987, das die Elf aus Mon­te­video durch einen Treffer in der 120. Minute des dritten Final­spiels gegen den kolum­bia­ni­schen Ver­treter Ame­rica de Cali für sich ent­schied.

Achtmal gewannen die Groß­klubs des Landes, Penarol und Nacional, die Copa, jene süd­ame­ri­ka­ni­sche, wilde Ver­sion der Cham­pions League – so oft wie alle Klubs aus den übrigen Teil­neh­mer­län­dern – Argen­ti­nien und Bra­si­lien aus­ge­nommen – zusammen. Mit Argen­ti­nien ist Uru­guay Rekord­sieger der Copa Ame­rica, zehnmal besiegte die Celeste den über­mäch­tigen Nach­barn im Finale. Die meisten Titel liegen zwar lange zurück, aber die Sie­ger­men­ta­lität hat die Jahr­zehnte über­dauert.

Uru­guay hat oft den Großen die Party ver­saut. Das nährt einen Mythos. Uns gefällt dieses Image“, meint Juan Ver­zeri, der als Trainer mit der U20 im Jahr 2013 Vize­welt­meister wurde, als seine Jungs unter anderem Top­fa­vorit Spa­nien in der Ver­län­ge­rung besiegten. Dieser Erfolg wird von außen oft mit einer mit­unter feind­se­ligen, stets aber sehr hin­ge­bungs­vollen Spiel­weise ver­bunden. Mit kaum drei­ein­halb Mil­lionen leben in der Repu­blik öst­lich des Flusses Uru­guay“ – so der offi­zi­elle Name – weniger Men­schen als in Berlin. Von den aktu­ellen WM-Teil­neh­mern haben nur Katar und Wales weniger Ein­wohner. Doch die Rolle des Under­dogs lebt wohl keine Fuß­ball­na­tion schon so lange derart erfolg­reich aus wie die Süd­ame­ri­kaner. Wir leben in einem win­zigen Land zwi­schen zwei rie­sigen Nationen. Wenn man da nicht immer kämpft, ist es schwierig, über­haupt irgend­etwas zu errei­chen,“ so Nestor Gon­çalves.