Wolfram Wuttke war einer der besten Mittelfeldspieler der Achtziger. Heute wäre er 61 Jahre alt geworden. Kurz vor seinem Tod im Jahr 2015 haben wir mit ihm gesprochen. Über Osram, Bier vor dem Spiel und Verträge mit Gyroshändlern.
In der zweiten Saison bei Borussia Mönchengladbach kamen Sie sportlich besser zurecht. Hatten Sie sich mit Heynckes ausgesöhnt?
Ich war mit meinen Leistungen nicht zufrieden. Und mit Heynckes kam es noch schlimmer. Einmal brachte ich 74,2 Kilo auf die Waage und er forderte, dass ich bis zum nächsten Spiel zwei Kilo abnehmen müsste. Am Freitag wog er mich erneut, ich hatte immer noch 600 Gramm zu viel. Heynckes‘ Kopf lief rot an, er verdonnerte mich zu einer Geldstrafe von 100 Mark pro 100 Gramm.
Gaben Sie ihm da den Kosenamen Osram?
Nein, den hatte er längst weg. Allerdings war das eine interne Sache. Ich war nur wieder der Dumme, dem das neben einem Journalisten rausgerutscht ist. Ich sah seinen hochroten Kopf aus der Ferne und sagte mehr zu mir selbst: „Der glüht ja wieder wie ‚ne Osram-Birne.“ Am nächsten Tag stand es in der Zeitung.
Wie hat Heynckes reagiert?
Gar nicht, wie immer. Das hat mich wahnsinnig gemacht.
Eigentlich hätten Sie und der extrovertierte Günter Netzer, der Sie 1983 nach Hamburg holte, doch gut harmonieren müssen. Wieso gerieten Sie mit dem HSV-Manager so häufig aneinander?
Mich störte seine herrische Art. Einmal kickte er in einem Trainingsspielchen mit. Er nahm das richtig ernst und forderte jeden Pass. Als er mir einen Ball schlecht zuspielte, platzte es aus mir heraus: „Nun spiel mal richtig ab, du Arsch!“ Im selben Moment zuckte ich zusammen und entschuldigte mich. Doch zu spät. Netzer bestellte mich auf sein Zimmer und machte mich zur Schnecke.
Was sagte er?
Er schrie: „Du bist ein Nichts! Bald bist du eh weg!“ Mir wurde richtig schlecht, so war ich noch nie runtergemacht worden. Ich war doch damals noch ein halbes Kind, 21 Jahre alt.
Hat es Ihnen denn geschmeichelt, dass Netzer Sie verpflichtete? Immerhin war der HSV 1983 der beste Klub Europas.
Natürlich, ich freute mich wahnsinnig. Doch ich kam zu einem schlechten Zeitpunkt. Die Mannschaft war überaltert. Wir schieden früh im DFB-Pokal und aus dem Landesmeistercup aus, wir verloren außerdem den Supercup und in Tokio das Spiel um den Weltpokal. Was für ein beschissener Start.
Ihr persönlicher Einstand verlief ebenfalls alles andere als traumhaft. Zu Beginn der Saison spuckten Sie Düsseldorfs Peter Löhr an.
Auch wenn Löhr ein übler Treter war, wollte ich den nicht anspucken – ich wollte nur ausspucken. Doch just in dem Moment lief er auf mich zu, und ich traf ihn. Ich bekam acht Wochen Sperre. Eine schlimme Phase.
Zumal Sie in der Hinserie ohne ein einziges Tor blieben. Wie sehr nagte die Angst des Versagens?
Sehr. Ich hatte vor der Saison noch großspurig mit der „Bild“-Zeitung gewettet, dass ich mindestens zehn Tore für den HSV machen würde. In der Rückrunde traf ich immerhin noch sieben Mal.
Lösten Sie Ihre Wettschulden ein?
Klar, ich musste barfuß durch Ahrensburg (Vorort von Hamburg, d. Red.) laufen.
Ernst Happel haben Sie mal als den besten Trainer Ihrer Karriere bezeichnet. Er hat Sie hingegen als „Parasit“ oder „Arsch“ beschimpft. Das klingt nach einer einseitigen Liebe.
Seine Beleidigungen durfte man nicht ernst nehmen. Happel hat viele Spieler niedergemacht. Doch als Trainer war er klasse. Er zeigte uns Übungen, die für mich neu waren. Und das Beste: Sie machten Spaß!
Stimmt es denn, dass Sie in zwei Jahren nicht mehr als zehn Sätze gewechselt haben?
Totaler Quatsch. Der Alte und ich haben uns jeden Freitag getroffen und Klammern gespielt. Er trank dazu seinen Scotch auf Eis, und wir rauchten gemeinsam. Das ging zwei Jahre so. Erst im letzten halben Jahr verhärteten sich die Fronten.
Er verbannte Sie eines Tages wegen Disziplinlosigkeit vom Training und schickte Sie für zwei Wochen auf die Aschenbahn. Wie kamen Sie damit zurecht?
Ich begegnete dem anfangs mit Ironie, einem Journalisten sagte ich, dass ich für den New York Marathon trainiere. Das verstanden die anderen natürlich wieder als Provokation. In Wahrheit ging es mir richtig mies. Jeden Morgen dachte ich, scheiße, wieder laufen. Und abends war mir zum Heulen zumute.
Haben Sie sich missverstanden gefühlt?
Ich habe beim HSV gewiss nicht immer gut gespielt, doch auch nicht durchweg schlecht. In der Saison 1983/84 schoss ich den HSV mit einem Tor gegen Schalke am letzten Spieltag noch in den UEFA-Cup.
Die Fans haben Sie geliebt. Ein Fan sprayte mal den Satz „Wutti, wir brauchen dich!“ auf eine Wand. Hat Sie das nicht wehmütig gemacht?
Es gab ja auch mal einen Westkurven-Boykott. Die Fans versperrten die Zugänge zu den Blöcken, weil Happel mich nicht einsetzte. Doch er konnte und wollte nicht zurückrudern. Und letztendlich war es mein Glück, denn ich wechselte nach Kaiserslautern und hatte dort meine beste Zeit.