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Wolfram Wuttke, wo sollen wir nur anfangen?
Bitte nicht mit Diet­rich Weise.

Ihrem U 21-Trainer, dem Sie einst ins Bett gepin­kelt haben?
Die Geschichte stimmt nicht. Wie so vieles, was über mich geschrieben wurde. Junger Freund, fangen wir doch ganz vorne an: Cas­trop, Schalke, Pott.

Sie haben mal gesagt: Ich bleibe ewig der Junge aus dem Koh­len­pott. “ Was machte denn Ihre Heimat Cas­trop-Rauxel in den Sieb­zi­ger­jahren aus?
Ich gebe Ihnen mal ein Bei­spiel: Wenn man damals in Cas­trop in eine Kneipe ging und alle Plätze belegt waren, rückten die Leute zusammen, so dass man sich dazu­setzen konnte. In Ham­burg, wo ich später spielte, legten die Leute demons­trativ ihre Jacken auf die freien Hocker neben sich. Das erklärt doch alles.

Wie zeigte sich dieser Cha­rakter im Fuß­ball?
Ich habe mich bei Schalke nie als Nummer gefühlt, son­dern immer als Teil einer Familie. Als ich mit 15 von der SG Cas­trop zu Schalke wech­selte, ver­mit­telte man mir sofort eine Aus­bil­dung zum Büro­kauf­mann auf der Geschäfts­stelle. Unser dama­liger Prä­si­dent Günter Oscar“ Sie­bert wusste, dass ich die Berufs­schule hasste. Oft stand er des­wegen bei mir auf der Matte: Watt machste noch hier? Berufs­schule? Ach watt, nu zieh dich um und ab auffen Platz!“ So kam ich bereits mit 16 Jahren zu den Profis.

Sie stießen in eine Schalker Mann­schaft mit Spie­lern wie Klaus Fichtel, Rüdiger Abramczik und Klaus Fischer. Hatten Sie Angst vor den Platz­hir­schen?
Über­haupt nicht. Ich machte alles, was man mir auf­trug. Ich schleppte die Koffer der Stars, baute die Hüt­chen auf und trug die Ball­netze.

Sie ach­teten die Hier­ar­chien?
Na klar, warum denn nicht?

Sie sollen kurz vor Ihrem 18. Geburtstag im Mer­cedes von Charly Neu­mann pro­vo­kativ um den Platz gefahren sein, wäh­rend Ihre Mit­spieler trai­nierten.
Halb­wahr­heiten. Es stimmt, dass ich mit Charlys Auto fuhr, das war aber ein Sci­rocco. Ich habe auch keine Ohr­feige von ihm dafür bekommen, wie gerne erzählt wird.

Warum fuhren Sie denn über­haupt in seinem Wagen?
Meine Füh­rer­schein­prü­fung stand an, ich wollte ein wenig üben. Die anderen haben es mit Humor genommen.

Sie ver­ließen Ihre Schalke-Familie bereits nach einem Jahr. Wieso?
Der Klub hatte große finan­zi­elle Schwie­rig­keiten und gab mich des­wegen nach Glad­bach ab. Es folgten zwei richtig harte Jahre.

Weil Sie nicht mit Jupp Heyn­ckes zurecht­kamen?
Heyn­ckes war damals ein intro­ver­tierter Pedant, der ach­tete auf jede Klei­nig­keit und hatte seine Augen überall. Er fand heraus, wenn wir rauchten, er wusste, wie viele Biere wir am Wochen­ende getrunken hatten. Ein Feld­mar­schall.

Heute ist es undenkbar, dass Spieler regel­mäßig rau­chen oder Alkohol trinken. Schlug sich Ihr Lebens­wandel nicht in der Kon­di­tion nieder?
Wald­läufe habe ich tat­säch­lich gehasst. Schlimm fand ich auch die Typen, die daraus einen Wett­be­werb machten und unbe­dingt als Erster ins Ziel kommen wollten. Nach dem Motto: Guck mal, Trainer, wie toll ich bin.

Sie liefen immer als Letzter ein?
So war es. In Glad­bach gemeinsam mit Frank Mill, in Ham­burg mit Jürgen Milewski. Und wir haben herz­lich über all die Super­jogger gelacht, die acht Stunden am Stück laufen konnten, aber auf dem Platz keinen Ball trafen.

Und Ernst Happel, der Dis­zi­plin­fa­na­tiker, fand das okay?
Ach, der Alte konnte manchmal richtig lieb sein. Einmal ver­lief ich mich bei einem Wald­lauf in einem Trai­nings­lager im Taunus. Happel, der stets mit einer Art Buggy hinter der Gruppe her­fuhr, fand mich abseits vom Weg und sagte nur: Komm Wurschtl, setz di hin.“ So ging es dann zurück zum Hotel.

Wie reagierten die anderen Trainer?
Es rauchte doch damals bei­nahe jeder, in Glad­bach zum Bei­spiel Frank Mill, Armin Veh, auch Lothar Mat­thäus hin und wieder. Und ein Bier vor dem Spiel war immer drin. Wis­sen­schaftler werden Ihnen auch bestä­tigen, dass das gesünder ist als eine Cola. Das Pro­blem an der ganzen Sache war nur, dass Heyn­ckes ein mili­tanter Asket war.

In der zweiten Saison bei Borussia Mön­chen­glad­bach kamen Sie sport­lich besser zurecht. Hatten Sie sich mit Heyn­ckes aus­ge­söhnt?
Ich war mit meinen Leis­tungen nicht zufrieden. Und mit Heyn­ckes kam es noch schlimmer. Einmal brachte ich 74,2 Kilo auf die Waage und er for­derte, dass ich bis zum nächsten Spiel zwei Kilo abnehmen müsste. Am Freitag wog er mich erneut, ich hatte immer noch 600 Gramm zu viel. Heyn­ckes‘ Kopf lief rot an, er ver­don­nerte mich zu einer Geld­strafe von 100 Mark pro 100 Gramm.

Gaben Sie ihm da den Kose­namen Osram?
Nein, den hatte er längst weg. Aller­dings war das eine interne Sache. Ich war nur wieder der Dumme, dem das neben einem Jour­na­listen raus­ge­rutscht ist. Ich sah seinen hoch­roten Kopf aus der Ferne und sagte mehr zu mir selbst: Der glüht ja wieder wie ne Osram-Birne.“ Am nächsten Tag stand es in der Zei­tung.

Wie hat Heyn­ckes reagiert?
Gar nicht, wie immer. Das hat mich wahn­sinnig gemacht.

Eigent­lich hätten Sie und der extro­ver­tierte Günter Netzer, der Sie 1983 nach Ham­burg holte, doch gut har­mo­nieren müssen. Wieso gerieten Sie mit dem HSV-Manager so häufig anein­ander?
Mich störte seine her­ri­sche Art. Einmal kickte er in einem Trai­nings­spiel­chen mit. Er nahm das richtig ernst und for­derte jeden Pass. Als er mir einen Ball schlecht zuspielte, platzte es aus mir heraus: Nun spiel mal richtig ab, du Arsch!“ Im selben Moment zuckte ich zusammen und ent­schul­digte mich. Doch zu spät. Netzer bestellte mich auf sein Zimmer und machte mich zur Schnecke.

Was sagte er?
Er schrie: Du bist ein Nichts! Bald bist du eh weg!“ Mir wurde richtig schlecht, so war ich noch nie run­ter­ge­macht worden. Ich war doch damals noch ein halbes Kind, 21 Jahre alt.

Hat es Ihnen denn geschmei­chelt, dass Netzer Sie ver­pflich­tete? Immerhin war der HSV 1983 der beste Klub Europas.
Natür­lich, ich freute mich wahn­sinnig. Doch ich kam zu einem schlechten Zeit­punkt. Die Mann­schaft war über­al­tert. Wir schieden früh im DFB-Pokal und aus dem Lan­des­meis­tercup aus, wir ver­loren außerdem den Supercup und in Tokio das Spiel um den Welt­pokal. Was für ein beschis­sener Start.

Ihr per­sön­li­cher Ein­stand ver­lief eben­falls alles andere als traum­haft. Zu Beginn der Saison spuckten Sie Düs­sel­dorfs Peter Löhr an.
Auch wenn Löhr ein übler Treter war, wollte ich den nicht anspu­cken – ich wollte nur aus­spu­cken. Doch just in dem Moment lief er auf mich zu, und ich traf ihn. Ich bekam acht Wochen Sperre. Eine schlimme Phase.

Zumal Sie in der Hin­serie ohne ein ein­ziges Tor blieben. Wie sehr nagte die Angst des Ver­sa­gens?
Sehr. Ich hatte vor der Saison noch groß­spurig mit der Bild“-Zeitung gewettet, dass ich min­des­tens zehn Tore für den HSV machen würde. In der Rück­runde traf ich immerhin noch sieben Mal.

Lösten Sie Ihre Wett­schulden ein?
Klar, ich musste barfuß durch Ahrens­burg (Vorort von Ham­burg, d. Red.) laufen.

Ernst Happel haben Sie mal als den besten Trainer Ihrer Kar­riere bezeichnet. Er hat Sie hin­gegen als Parasit“ oder Arsch“ beschimpft. Das klingt nach einer ein­sei­tigen Liebe.
Seine Belei­di­gungen durfte man nicht ernst nehmen. Happel hat viele Spieler nie­der­ge­macht. Doch als Trainer war er klasse. Er zeigte uns Übungen, die für mich neu waren. Und das Beste: Sie machten Spaß!

Stimmt es denn, dass Sie in zwei Jahren nicht mehr als zehn Sätze gewech­selt haben?
Totaler Quatsch. Der Alte und ich haben uns jeden Freitag getroffen und Klam­mern gespielt. Er trank dazu seinen Scotch auf Eis, und wir rauchten gemeinsam. Das ging zwei Jahre so. Erst im letzten halben Jahr ver­här­teten sich die Fronten.

Er ver­bannte Sie eines Tages wegen Dis­zi­plin­lo­sig­keit vom Trai­ning und schickte Sie für zwei Wochen auf die Aschen­bahn. Wie kamen Sie damit zurecht?
Ich begeg­nete dem anfangs mit Ironie, einem Jour­na­listen sagte ich, dass ich für den New York Mara­thon trai­niere. Das ver­standen die anderen natür­lich wieder als Pro­vo­ka­tion. In Wahr­heit ging es mir richtig mies. Jeden Morgen dachte ich, scheiße, wieder laufen. Und abends war mir zum Heulen zumute.

Haben Sie sich miss­ver­standen gefühlt?
Ich habe beim HSV gewiss nicht immer gut gespielt, doch auch nicht durchweg schlecht. In der Saison 1983/84 schoss ich den HSV mit einem Tor gegen Schalke am letzten Spieltag noch in den UEFA-Cup.

Die Fans haben Sie geliebt. Ein Fan sprayte mal den Satz Wutti, wir brau­chen dich!“ auf eine Wand. Hat Sie das nicht weh­mütig gemacht?
Es gab ja auch mal einen West­kurven-Boy­kott. Die Fans ver­sperrten die Zugänge zu den Blö­cken, weil Happel mich nicht ein­setzte. Doch er konnte und wollte nicht zurück­ru­dern. Und letzt­end­lich war es mein Glück, denn ich wech­selte nach Kai­sers­lau­tern und hatte dort meine beste Zeit.

Für den FCK schossen Sie in Ihrer ersten kom­pletten Saison 14 Tore. Was machte denn Trainer Hannes Bon­gartz besser als Happel und Netzer?
Er ließ mir Frei­heiten hinter den Spitzen und fal­tete mich nicht sofort zusammen, wenn ich mal keine Abwehr­ar­beit machte. Ich konnte mich auf alles kon­zen­trieren, was mir im Fuß­ball Spaß machte: Frei­stöße, Ecken, Flanken, Pässe, Schießen.

Sie sind in Kai­sers­lau­tern zum Natio­nal­spieler geworden. Bis zum Kar­rie­re­ende haben Sie aller­dings nur vier Län­der­spiele gemacht. Wieso?
Kommen Sie mir jetzt nicht mit ver­schenktes Talent. Ich weiß, dass ich ein paar Spiele mehr hätte machen können, wenn ich diplo­ma­ti­scher gewesen wäre. Es ist müßig, dar­über nach­zu­denken. Außerdem war damals die Kon­kur­renz mit Pierre Litt­barski, Thomas Häßler und Olaf Thon sehr groß. Immerhin habe ich vier gute Spiele gemacht. Andere machen 50 Län­der­spiele, und davon sind 49 schlecht. Das habe ich dem Netzer auch mal gesagt.

1988 waren Sie Teil der Olympia-Elf, die in Seoul die Bron­ze­me­daille geholt hat. Wie wichtig war diese Erfah­rung?
Mein bestes Fuß­ball­er­lebnis! Wir hatten sogar kurz zuvor die A‑Nationalelf besiegt und waren eine ein­ge­schwo­rene Truppe. Mit Jürgen Klins­mann, Frank Mill oder Fritz Walter kam ich richtig gut aus. Dem Fritz habe ich einmal Trau­ma­salbe in die Unter­hose geschmiert.

Ein Scherz?
Ein bren­nender Scherz. (Lacht.) Was ich sagen will: Bei diesem Tur­nier fand ich end­lich mal Gleich­ge­sinnte. Diese Medaille ist für mich auch des­halb der größte Erfolg meiner Kar­riere.

Zurück in Kai­sers­lau­tern wurde ein Wein­fest zu Ihrem Ver­hängnis.
Ich wohnte zu der Zeit im pfäl­zi­schen Bad Dürk­heim, wo einmal im Jahr das größte Wein­fest der Welt statt­findet. Für mich war es selbst­ver­ständ­lich, dort mal vor­bei­zu­schauen, zumal ich in jener Woche an einer Leis­ten­zer­rung labo­rierte. Doch ich wurde tags darauf vom Trainer zur Rede gestellt und ver­suchte mich mit einer Not­lüge raus­zu­retten. Ich sagte, dass ich prin­zi­piell nicht auf Wein­feste gehe, ich sei ja schließ­lich Bier­trinker. Dumm nur, dass Hans-Günter Neues, Fan­be­auf­tragter beim FCK, mich dort gesehen hatte. Ich bekam eine Geld­strafe von 5000 Mark.

Ihr Name war in Deutsch­land ziem­lich ram­po­niert. War das auch ein Grund für den Wechsel ins Aus­land?
Das Aus­land war immer ein Traum von mir. 1988 hatte es bereits Gespräche mit Olym­piakos Piräus gegeben. Ich unter­schrieb am Tag des EM-End­spiels in Mün­chen einen Vor­ver­trag. Prä­si­dent Geor­gios Koskotas schenkte mir danach seinen gol­denen Car­tier-Füll­fe­der­halter, der 2000 Mark wert war. Mensch, Wutti, hier bist du richtig, dachte ich noch. Ich infor­mierte prompt die FCK-Ver­ant­wort­li­chen.

Die glaubten Ihnen aber nicht.
Sie hatten erfahren, dass Lajos Detari anstelle von mir zu Olym­piakos wech­seln sollte. Ich merkte, dass Koskotas ein Blender ist, doch nun galt ich als der Depp von der Pfalz. Selbst unser Prä­si­dent glaubte mir nicht. Er fragte: Mit wem hast du denn gespro­chen, Wutti? Mit nem Gyros­händler?“

Immerhin wech­selten Sie wenig später zu Espanyol Bar­ce­lona nach Spa­nien.
Die spa­ni­sche Liga war ein anderes Kaliber als Grie­chen­land. Beson­ders die Spiele gegen den FC Bar­ce­lona waren toll, auch wenn wir immer ver­loren. Die waren mit Michael Lau­drup, Andoni Zubi­zar­reta oder Christo Stoitschkow damals schon so gut besetzt, dass ich in den Derbys nur in zwei Situa­tionen an den Ball kam – bei Ecken und Frei­stößen.

Sie been­deten 1992 Ihre Kar­riere beim 1. FC Saar­brü­cken. Am Ende konnten Sie sogar Lobes­hymnen in der Presse auf sich lesen.
Sie spielen auf die Geschichte nach dem Spiel gegen Dort­mund an. Wir gewannen 3:1, und ich machte ein super Spiel. Als ich danach ein Inter­view gab, sackte neben mir ein Mann zusammen. Ein Herz­in­farkt. Er lag auf dem Rücken und erbrach sich. Ich drehte ihn also zur Seite, damit er nicht erstickte. Am nächsten Tag stand in der Zei­tung: Erst Fuß­ball­held, dann Lebens­retter.“ Ich musste lächeln: Am Ende meiner Fuß­ball­lauf­bahn meinten es die Jour­na­listen end­lich mal gut mit mir.

Wolfram Wuttke, Sie haben mal gesagt, dass Ihre Bio­grafie Das ver­dammte Fuß­ball­leben des Wolf­gang Wuttke“ heißen wird.
Wann erscheint sie denn end­lich?
Nie!

Warum nicht?
Vor einigen Jahren sah ich im Super­markt auf einem Grab­bel­tisch den Schinken von Stefan Effen­berg für 4,95 Euro liegen. Ich dachte nur: Ein Glück hast du dein Buch nie geschrieben. Auf so einem Tisch hätte ich nicht landen wollen.

Genug zu erzählen hätten Sie aber.
Ach, die Leute inter­es­siert doch eh nur, wer wie oft im Puff war oder ob ich dem Diet­rich Weise damals ins Bett gepin­kelt habe. Das ist mir zu anstren­gend.

Die Geschichte mit Weise wurde so häufig erzählt. Warum haben Sie das nie rich­tig­ge­stellt?
Ich sage Ihnen mal was: Der Weise war ein ganz spe­zi­eller Typ, der holte beim Trai­ning seine uralten DDR-Methoden raus und ach­tete tun­lichst darauf, dass wir keine Cola trinken. Einmal sahen Mat­thias Höner­bach und ich, dass seine Tür offen steht, wir füllten einen Putz­eimer mit Wasser und schli­chen in sein Zimmer. Dann kippten wir es in sein Bett. Ein dummer Jun­gen­streich, mehr nicht.