Gäbe es eine Champions League der Insolvenzen, Alemannia Aachen wäre Favorit. Denn der ehemalige Bundesligist ist schon wieder zahlungsunfähig. Was auch am am überdimensionalen Stadion liegt.
Gibt es eigentlich schon eine Bestenliste der Insolvenzen von Profivereinen? Alemannia Aachen, sportlich längst bis in die Regionalliga abgestürzt, ist ein heißer Kandidat für die Pole Position, für die Champions League der Pleiteclubs. Alemannia, souveräner Tabellenführer der Ewigen Zweitligatabelle, war einmal sogar Deutscher Vizemeister 1969, dreifacher Pokalfinalist, erfolgreicher Uefacup-Teilnehmer 2005/06 (Gruppenphase überstanden als Zweitligaklub), Bundesligist 2006/07 (inklusive 18-Stunden-Tabellenführung im Oktober 2006) und dreimaliger FC-Bayern-Heimbesieger in Folge (2004−07: zweimal im Pokal, einmal in der Liga). Aber Rechnungen kann man nicht in Nostalgiewährung bezahlen.
Vergangene Woche hat der Klub zum zweiten Mal nach der Premiere 2012 drohende Zahlungsunfähigkeit festgestellt und Antrag auf Insolvenz gestellt. Eine halbe Million Miese kurzfristiger Verbindlichkeiten, bis Saisonende würde es wohl eine Million werden. Vollbremsung. Der Aufsichtsrat trat zurück, der Geschäftsführer schloss sein Büro, der Trainer („keine Perspektive“) hatte schon kurz zuvor seinen Abgang zu Saisonende angekündigt, die Spielerverträge enden fast alle im Juni. Der Insolvenzverwalter übernimmt.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt immer noch
Für Aachen ist das Procedere schon Routine. Ende 2012 war es erstmalig soweit: Mitten in der Zweitligasaison. Mutmaßlich war es damals sogar eine verschleppte Insolvenz. Die Verantwortlichen, allen voran Geschäftsführer Fritjof Krämer, von Fans damals als „Totengräber des Vereins“ tituliert, sind bislang nicht vor Gericht zur Rechenschaft gezogen. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität ermittelt weiter, auch ob sich jemand privat bereichert hat an den Deals rund um das eckige Stadion.
Die Gründe der neuen Insolvenz für die ausgegliederte Spielbetriebs-GmbH sind mannigfaltig. Statt geplanter 7000 – 8000 Zuschauer kamen bei drastisch gekürztem Saisonetat zuletzt keine 5000 mehr, um Siegen verlieren zu sehen. Der Hauptsponsor stellte im Winter die Zahlungen ein. Ein Investorenkonglomerat (Michael Kölmel, Wolfgang Holzhäuser) hat millionenschwere Angebote hinterlegt, aber erst müsse die drohende Steuerschuld vom Tisch (mehrere Millionen aus „Sanierungsgewinnen“ der Insolvenz 2012). Zudem wollten die Investoren ein automatisches Zugriffsrecht auf 80 Prozent der GmbH-Anteile, sollte die 50+1‑Regel einmal fallen.
Unteres statt oberes Mittelfeld
Große Empörung bei Vereinsfreunden gab es auch jetzt wieder, weil der Klub die „ablehnende Haltung großer Teile der Fangruppierungen“ als Teilgrund der Pleite ausgab. Der Vorsitzende der Fan-IG sagt, darüber habe er sich „wahnsinnig aufgeregt, mehr als über die Insolvenz selber“, das sei ein Nachtreten des Präsidiums, weil man das Kölmel-Modell für dubios hält. Die geforderte Entschuldigung blieb aus. Stattdessen wiederholte das Vereins-Präsidium in einer Pressemitteilung die seltsamen Anwürfe.
Sportlich ist die Sache verkraftbar. Neun Punkte Abzug sehen die Statuten vor. Bedeutet: Statt Platz 4 ohne realistische Chancen auf Platz 1 geht es auf Platz 14 ohne realistische Abstiegsgefahr. Unteres statt oberes Mittelfeld also. So what.
Aachens größtes Problem ist das überdimensionierte, falsch konzipierte, schlecht ausgehandelte und schon teilmarode 50-Milionen-Stadion für 32.000 Zuschauer, das 2008 mit einer zukunftsweisenden Klatsche (0:5 gegen St. Pauli) eröffnet wurde. Weil man sich in der Erfolgsphase Mitte der nuller Jahre bundesligabesoffen für „einen Anderthalbligisten“ (so der launige Exmanager Jörg Schmadte) hielt, also für quasi automatisch sehr weit oben hingehörig, fehlte es nur an Mehreinnahmen für ein Durchstarten in die Moderne. Also her mit dem großen Stadion statt des abgewrackten Charmekessels Alter Tivoli, mit 23.000 Sitzplätzen statt kaum 3.000.
Der Bau aber lieferte nicht genug, fraß stattdessen Unterhaltskosten und ist auch grotesk falsch geplant: Openair-Konzerte etwa sind ausgeschlossen wegen fehlender Fluchtwege und drohender Anwohnerklagen. Außer Alemannia gibt es im grellgelben Trumm nur ein paar Kleinmieter im VIP-Bereich, Kinoabende im Sommer und das Weihnachtssingen mit 20.000 Kehlen.
Rödinghausen statt Dortmund
2012 gab es Empörung, Frust, Untergangsstimmung. Und dann Hoffnung: Die Stadt, also der Steuerzahler, kaufte das Stadion für einen symbolischen Euro und hat seitdem bei 140.000 Euro Mietzahlungen der Alemannia jährlich 2,5 Millionen Kosten für Unterhalt, Sicherung und Kreditzinsen an der Backe. Alternative wäre eine nichtsnutzige Ruine gewesen mit gleichen Belastungen. Oder achtstellige Abrisskosten. Für den Klub folgte sportlich der Absturz aus Liga 1,5 in die Vierte: Rödinghausen statt Borussia Dortmund, Bonn statt Berlin.
Diesmal dominieren Nackenschmerzen vom Kopfschütteln. Die Fans sind verständlicherweise neuwütend auf die nächsten Verantwortlichen. Die Stadt winkt sofort ab: Keine weiteren Zugeständnisse, keine Subventionen. Der Insolvenzverwalter will ein tragfähiges Konzept erarbeiten, einen „Drei- bis Fünfjahresplan“, die Saison werde wohl weitergespielt. Gehälter gehen zu Lasten der Allgemeinheit („Insolvenzgeld“), Handwerker und Lieferanten werden weitgehend leer ausgehen, weitere Jobs kündigungsfristlos wegfallen. Eigentlich ganz schön clever so eine Insolvenz: Die öffentliche Hand zahlt, Gläubiger sind ausgetrickst, Rechte ausgehebelt – und danach geht es, anders als im normalen Wirtschaftsleben mit allen Vertrauenssensibilitäten für Expleitiers, unter dem schützenden Verbandsdach einfach wieder von vorne weiter.
Die Aachener Zeitung schreibt, Aufbruchstimmung in der Stadt sei „nicht erkennbar“, Alemannia „ein Verein ohne Perspektive“. Einspruch: Die nächste Insolvenz kommt perspektivisch bestimmt. Und doch steckt in der Stadt noch immer genügend Liebe für den Verein, noch immer wird inbrünstig von der ruhmreichen Alemannia gesungen. Außerdem muss das Stadion sowieso stehen bleiben – das Weihnachtssingen mit den vielen Kerze ist doch so schön.