Ex-Nationalspieler und Charakterkopf: So einer wie Thomas Brdaric wäre früher schnell Erstligacoach geworden. Doch heute sind andere Trainertypen gefragt. Dabei könnte ein Querdenker mal guttun
In der Gaststätte, die über der Umkleidekabine der Wolfsburger Amateure mit klassischer Currywurst und einem Pokertisch lockt, hängt noch der Mief aus dem letzten Jahrtausend fest. Wenn Brdaric dort ein Interview gibt, lauschen die Fans am Nebentisch heimlich seinen Worten und können ihre Neugier nicht verbergen. „Alles in Ordnung?“, fragt Brdaric eine junge Dame, die ihm beim Mithören zu aufdringlich erscheint. Sein Tonfall verrät in diesem Moment, wie schnippisch er sein kann und warum er mit seiner Art so stark polarisiert hat.
Aktuell sind andere Trainertypen in der Bundesliga gefragt. Protagonisten wie Roger Schmidt (Leverkusen), Tayfun Korkut (Hannover), Markus Gisdol (Hoffenheim) und Thomas Schneider (Nationalelf-Assistent) stammen sogar aus derselben DFB-Lehrgangsklasse von 2011 und werden als tüftelnde System- und Konzepttrainer gefeiert. Wenn Brdaric erklärt, wofür er steht, holt er ganz weit aus, schwärmt von seiner Von-der-Pieke-auf-gelernt-Methode und weiß am Ende des Satzes oft nicht mehr, womit er eigentlich angefangen hat. „Ich will niemanden kopieren oder nachahmen und versuche, meinen Weg zu gehen“, sagt er. Er hat seine Uefa-Pro-Lizenz zu seiner Zeit bei Dynamo Minsk erworben. Dafür musste er Russisch lernen und wird immer wieder gefragt, ob seine Ausbildung wirklich hochwertig war. Dass ihm der klassische Trainerlehrgang in Deutschland auf einer Schulbank mit früheren Nationalspielern erspart geblieben ist, hängt ihm als Makel nach. Dass er in Minsk die Chance hatte, als Sportdirektor zu arbeiten, sich aber sehr auf die Trainerbildung konzentrieren zu können, findet Brdaric bis heute gut. Die Erfahrung habe ihn bereichert.
Brdaric hat klare Vorstellungen und zuletzt Angebote aus der Zweiten Bundesliga abgelehnt. Er will zwar als Trainer zurück in die ganz großen Stadien. Aber bloß nicht voreilig. Und laut sagen darf er das alles in Wolfsburg auch nicht. Der Ruf, ein ungeduldiger Handlungsreisender des bezahlten Fußballs zu sein, wäre kein gutes Empfehlungsschreiben für einen Job in der Bundesliga. Brdaric findet, dass er mittlerweile total geerdet sei und wühlt sich durch viertklassigen Matsch. Vielleicht aus Absicht. Vielleicht aber auch, weil ihm seine Vita als kontroverser Bundesligaprofi nicht mehr automatisch einen Job als Profitrainer beschert. Charakterköpfe mit großer Profivita haben es nicht mehr so einfach unterzukommen wie früher, man frage nach bei Stefan Effenberg oder Lothar Matthäus.
Der grüne Schnellhefter mit dem Trainingsprogramm sieht nicht vor, dass Brdaric an den Übungen seiner Mannschaft noch selbst teilnimmt. Knorpelschaden und Karriereende 2008, das lädierte Knie schwillt bei zu starker Belastung an. Seine Autorität gegenüber jungen Spielern muss sich der frühere Torjäger mehr in der Theorie als in der Praxis erarbeiten. Jene Talente, die sich unter seiner Regie schinden und ebenfalls auf den Sprung in die oberen Ligen hoffen, sind voll des Lobes für ihn. Durchdachtes Training, systematische Aufarbeitung von Fehlern, offene und ehrliche Kommunikation: Der Chaot von damals erwirbt sich den Ruf des akribischen Ehrgeizlings, der fleißig Datenbanken füttert und ständig dazulernen will. „Die Spieler durchblicken heutzutage sehr schnell, ob ihr Trainer Ahnung hat, wovon er spricht“ , findet Brdaric.
Vielleicht tut ein Querdenker wie er der Bundesliga eines Tages wirklich gut. Brdaric möchte Vorbild für eine Spielergeneration sein, der es aus seiner Sicht zu gut geht. Regionalliga-Kicker in Wolfsburg müssen ihre Schuhe längst nicht mehr selbst putzen. Aufstrebende Talente wachsen heute wohl behütet in Nachwuchsleistungszentren auf. Brdaric, Vater von zwei fußballbegeisterten Söhnen im U12- und U16-Alter, formt Jahrgänge, die er irgendwie auch auf dem Kieker hat. „Den jungen Spielern wird in den Nachwuchsleistungszentren vieles abgenommen. Eigentlich macht man es ihnen zu einfach. Es ist fast zu schön“ , sagt ihr Trainer.
Irgendwie sucht er nach jungen Männern, die manchmal auch so sind wie der junge Brdaric. Heute weiß er: Nicht alles, was er früher angestellt hat, war für Außenstehende nachvollziehbar. Viele seiner Trainer haben ihn für seine zuweilen hochnäsige Art verflucht. Aber sie haben auch davon profitiert, dass er auf dem Platz nur schwer ausrechenbar war. Der Chefcoach Brdaric erwartet wohl auch deshalb von seinen Spielern, dass sie nicht nur wie Zinnsoldaten der Systematik des modernen Fußballs gehorchen. Sie sollen immer wieder auch etwas Überraschendes versuchen. „Als Mensch“, meint Brdaric, „musst du leben und experimentieren. Ich brauche keine langweiligen Spieler.“ Und sie keinen langweiligen Trainer.