Ex-Nationalspieler und Charakterkopf: So einer wie Thomas Brdaric wäre früher schnell Erstligacoach geworden. Doch heute sind andere Trainertypen gefragt. Dabei könnte ein Querdenker mal guttun
Der grüne Schnellhefter ist ihm furchtbar wichtig. Darin steht, in Excel-Tabellen und in fein säuberlicher, eleganter Handschrift, was sein Plan ist für diese Woche. „Trainerarbeit ist mittlerweile Detailarbeit“, sagt Thomas Brdaric. Die grüne Mappe will dieses Mal, dass die Amateure des VfL Wolfsburg klare Pässe und kluge Laufwege einstudieren. Mit Schirmmütze steht er im Nieselregen am matschigen Platz und brüllt Kommandos. Kein Hütchen darf umfallen. Jedes Detail soll sitzen. Artig gehorchen die Wolfsburger Regionalligaspieler dem schroffen Tonfall ihres Chefs. Als Profi war Brdaric ein Querkopf und Querulant erster Güte. Als Trainer tritt der 39-Jährige wie ein Pedant mit dem Hang zum Spießer auf.
Nieselregen, Matsch und Regionalliga – das hört sich nicht nach einem angemessenen Umfeld für einen ehemaligen Nationalspieler an, der einst 54 Bundesligatore schoss. Wenn es um seine zweite Karriere geht, muss sich der schnelle Angreifer von damals regelmäßig verteidigen. Aktuell sind in der Bundesliga junge Typen gefragt, die oft wenig Erfahrung als Profi, aber vor allem eine aus Sicht des Deutschen Fußball-Bundes moderne Trainerausbildung absolviert haben. Diesen Weg hat Brdaric gemieden.Sportlicher Leiter und Interimstrainer in Solingen, Jugendtrainer in Leverkusen, Sportdirektor erst in Minsk und dann in Taschkent, zuletzt Regionalliga-Meistertrainer in Neustrelitz: Seine Stationen klingen nach einem ziemlich wirren Plan. Wozu diese Umwege?
Die Mehrheit seiner Spieler ist zu jung, um zu wissen, welch früherer Querkopf ihretwegen in die Trillerpfeife pustet. Als Profi von Bayer Leverkusen, Hannover 96 und dem VfL Wolfsburg hat es Brdaric genossen, anders als die anderen zu sein. Hohe Stimme, erstaunlich großes Ego, aufdringliches Zweikampfverhalten: Er hat die Mehrheit seiner Gegenspieler tüchtig genervt. Der frühere Profitorhüter Frank Rost nannte Brdaric einst den unbeliebtesten Spieler der Liga.
Es liegt nicht nur am guten Gedächtnis des Internets, dass Brdaric von vielen kuriosen Geschichten hartnäckig verfolgt wird. Eine Reha-Maßnahme nach einer Knieoperation hat er genutzt, um sich im Online-Poker zu verbessern und sogar bei einer deutschen Meisterschaft zu starten. Weil er meistens frech und aufmüpfig auftrat, hat ihn der frühere Star-Torhüter Oliver Kahn 2002 während eines Spitzenspiels einmal tüchtig durchgeschüttelt. Als Antwort darauf brachte Brdaric später eine selbst besungene CD-Single mit dem Titel „Die wilde 13“ auf den Markt. Er verspottete mit seinem Song Kahn und so manch anderen Kollegen. „Katze Kahn, ich danke Dir, ich danke Dir. Dass Du mich wachgeschüttelt hast. Ja, ich hatte Angst vor Dir. Dabei bist Du doch ein liebenswertes Tier.“
Es fällt schwer, eben diesen wilden Stürmer mit der Rückennummer 13 zu vergessen und sich unvoreingenommen auf den aufstrebenden Cheftrainer einzulassen. Der grüne Schnellhefter, den Brdaric dem Autor für diesen Text ungefragt überreicht hat, soll offenbar die Lust auf Struktur signalisieren und bei der Überzeugungsarbeit helfen.
Als Trainer wird Brdaric wohl noch ein paar Spielzeiten damit beschäftigt sein, sich für Umwege und Kuriositäten rechtfertigen zu müssen. Sich anzupassen und normal zu sein, gehörte nie zu seinen Stärken. Auf dem Weg zur Meisterschaft 2014 in der Regionalliga Nordost hatte Brdaric die Verantwortlichen der TSG Neustrelitz vor dem Saisonhöhepunkt wissen lassen, dass er sich einen Verein mit besseren Rahmenbedingungen suchen werde. Beim VfL Wolfsburg muss er sich nun als loyaler Zuarbeiter für Dieter Hecking beweisen, der die Bundesligaelf der Niedersachsen trainiert. Wahrscheinlich wird sich genau in dieser Rolle entscheiden, ob ein Typ wie der „Tommy“ zu gut ist für die Regionalliga oder zu schräg für die Bundesliga.