Morgen geht es weiter: Deutschland gegen Schweden, WM-Qualifikation. Und um unserem Bildungsauftrag gerecht zu werden, folgen an dieser Stelle elf wissenswerte Dinge über die nordischen Gäste und der Versuch, nicht ein einziges Mal das Wort „Ikea“ zu benutz…Verdammt.…
1.
Schweden, oh urwüchsiges, naturiges Schweden. Auf den sage und schreibe 221.800 Inseln, auf denen sich die circa 9,5 Millionen Einwohner verteilen, wimmelt es nur so vor Tieren, die es hierzulande höchstens noch als Wappentiere oder Stadion-Maskottchen gibt. Wölfe, Adler, Bären, Elche, in Schwedens Flora und Fauna sind diese putzigen Tierchen keine Seltenheit. Das wiederum stellt die Schweden im Alltag natürlich manchmal vor Probleme: Neben den fast 5000 von Elchen (mit-)verursachen Verkehrsunfällen müssen auch jährlich etwa 25.000 Wildschweine erlegt werden. Ungefähr die Hälfte davon wahrscheinlich von Olof Mellberg. Via Grätsche.
2.
Apropos Mellberg. Der Verteidiger, der die gegnerischen Angreifer allein mit seiner Erscheinung bereits moralisch von den Beinen holt, ist nur einer der internationalen Top-Kicker, die Schweden immer wieder mal hervorbringt. Unbestritten schillerndster und gockelhaftster und eigentlich auch einziger derzeitiger Star ist Zlatan Ibrahimovic. Neben seinen unbestreitbaren fußballerischen Fähigkeiten weiß der großgewachsene Stürmer aber auch mit verbalen Stilblüten abseits des Platzes zu überzeugen. Dabei ist ihm, neben allen gossenjungenhaften Aussetzern, eine gute Portion Humor nicht abzusprechen. Ein Duell mit dem überforderten Sami Hyppiä rekapitulierte er wie folgt: „Ich ging nach links, er ging mit. Ich ging nach rechts, er ging mit. Dann ging ich noch mal nach rechts, und er ging zum Würstchenstand.“
3.
Nicht ganz so erfolgreich wie Ibrahimovic – immerhin aber bemüht – war Jörgen Pettersson. In 181 Spielen für Gladbach und Lautern erzielte der schlitzohrige Angreifer 47 Tore. Gar nicht sooo schlecht. Nach dem Karriereende kann sich Pettersson nun um seine Zweitkarriere als Sänger und Gitarrist der Rockband „Soulweeper“ kümmern, die er 2004 mitbegründete. Musikalisch auf den Pfaden der großen Bon Jovi beweist Pettersson dabei eindrucksvoll: Es ist tatsächlich möglich, sein Oberarm-Tribaltattoo in Musik zu verwandeln.
4.
Und wieder zurück zur Würstchenbude. Wikipedia beschreibt die schwedische Küche als „unkompliziert und einfach (…) geprägt von ländlicher Hausmannskost“. Und vielleicht ist es diese Einfachheit (lies: Langeweile), die die Vorliebe der Schweden für, sagen wir mal, ausgefallene Pizza-Variationen erklärt. Die Kebappizza als wohl beliebteste Variante ist hierzulande höchstens etwas für die ganz schlimmen Katertage, aber gut: Wir waren alle schon an diesem Tiefpunkt, da kann man mal ein Auge zudrücken. Bei Pizzabelägen wie etwa Pommes, Sauce Bernaise, Rosinen, Bananen und ähnlichen kulinarischen Todsünden hört der Spaß aber auf. Die Kollegen der Huffington Post nennen das zärtlich: „a deeply fucked surreal and counter-intuitive culinary splendor“. Kann man so sehen…
5.
Aber hier geht es nicht um Bananen-Rosinen-Kebap-Bernaise-Pizza (…mmmhhhh, Bananen-Rosinen-Kebap-Bernaise-Pizza), sondern um Fußball. Also zurück zum Wesentlichen, diesmal direkt in die Chefetage. Der schwedische Meisterschaftspokal heißt Lennart-Johansson-Pokal, benannt nach dem auch hierzulande bekannten ehemaligen Uefa-Präsident, der mit der verlorenen Wahl zum Fifa-Präsidenten anno 1998 die Blattern über den internationalen Fussballsport brachte. Zuvor hieß der Pokal übrigens Von-Rosens-Pokal, benannt nach dem gleichnamigen Funktionär Clarence von Rosen, der sich um den Fußball in Schweden sehr verdient gemacht hatte, als dieser noch in den Kinderschuhen steckte. Dumm nur, dass 2000 ans Licht kam, dass er sich in den 30ern und 40ern auch aktiv um den Nationalsozialismus in Schweden verdient machte. Reputation futsch, Pokal futsch. Selber schuld.
6.
Das schwedische Ligasystem unterlief in den Jahrzehnten seit der Gründung des Verbands in 1904 zahlreiche Reformen. Pokalmodus, Ligasystem, Liga mit Playoffs, alles schon da gewesen. Der Findungsprozess scheint insgesamt ein sehr schwieriger gewesen zu sein. Und längst nicht für alle Teams war das immer angenehm und fair. Besonders die Teams aus dem Norden mussten lange ihr eigenes Süppchen kochen: Mit der Begründung, dass Reisen in den Norden einfach zu aufwändig und unwirtschaftlich seien, ließ der Verband bis 1953 Mannschaften aus dem Norden schlicht nicht zur Meisterschaft zu. Ärgerlich.
7.
Armer Johan Wiland! Der Ersatztorhüter der Schweden patzte bei der EM 2012 beim Ballhochhalten und wurde für sein Verfehlen stilsicher mit dem auch auf hiesigen Bolzplätzen so beliebten Arschschießen, das in Schweden „gris“ (Schwein) heißt, bestraft. Ein Video dieser grausamen Szenen gelangte ins Internet und rief prompt Lars Arrhenius, Generalsekretär der Anti-Mobbing-Gesellschaft „Friends“ auf den Plan. Unglaublich schlechtes Benehmen sei das, die Spieler immerhin Vorbild für tausende junge Schweden und Schwedinnen und es sei alles andere als in Ordnung, zu zeigen, dass so ein Verhalten okay sei. Wir stimmen zu und wenden uns angesichts solch erschreckender Bilder angwidert ab. Wo bleibt die Menschlichkeit, liebe Allsvenskan-Kicker? Das Mitgefühl? Gnade?
8.
Man muss sich nur zu helfen wissen: Kim Christensen, dänischer Torhüter anno 2009 in Diensten des IFK Göteborg, feilte proaktiv und ganz pragmatisch an der Verbesserung seiner Gegentorquote. Während des Spiels seiner Mannschaft in Örebrö filmte ihn eine Kamera dabei, wie er die Pfosten seines Tores kurzerhand um einige Zentimeter zu seinen Gunsten verrückte. Verrückt. Der fortan medienwirksam „Mogel-Keeper“ genannte Christensen musste sich vorm Sportgericht verantworten und gab zu, schon mehrere Male Pfosten verschoben zu haben. Stellt sich in erster Linie die Frage, wie in Schweden die Tore befestigt werden bzw. aus welchem Material das Gebälk wohl ist. Christensen derweil war mit der Strafe und dem medialen Sturm der Empörung nicht ganz so einverstanden: „Ich bin schockiert über die Reaktion in Schweden. Jeder macht das, aber ich bin sicher, dass die Reaktion stärker ist, weil ich Däne bin.“ Is klar…
9.
Dass es beim Fußball mindestens um Leben und Tod geht, ist wohl allen bewusst. Dies in der Praxis verifizieren konnte der 85-jährige Sören Gellerstedt, der 2004 in der Nähe seiner Heimatstadt Jokkmokk (!) mit dem Auto einen Felsen küsste und fünf Tage lang im Unfallwagen eingesperrt und vorerst unauffindbar blieb. Just als am vierten Tag ohne Wasser und Nahrung die Lebensgeister des Rentners zu schwinden begannen, startete im Radio auch die Live-Übertragung des Länderspiels Schweden gegen Bulgarien. Die Allsvenskan schien dabei nur für Gellerstedt zu spielen und überrannte die bedauernswerten Bulgaren mit 5:0. Die schwedische Mannschaft habe ihm Kraft gegeben, gab der zähe Rentner nach der Rettung zu Protokoll. Der Sieg habe ihn am Leben gehalten. Ergreifend, finden wir. Bill Shankly wäre gerührt…
10.
Zu obigem Vorfall kalauerte die Bild in der Dachzeile übrigens, na klar: „Alter Schwede“. Und seien wir ehrlich: Auch dem ein oder anderen unter uns wird während des Spiels ein beherztes, nichtsdestoweniger eher semilustiges, aber eben doch auch irgendwie unvermeidbares „Alter Schwede“ entfahren. Um einen solchen Rohrkrepierer wenigstens noch durch solide Klugscheisserei zu retten, sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Ausdruck „Alter Schwede“ auf den Dreißigjährigen Krieg zurückgeht, in dessen Fortgang Friedrich Wilhelm erfahrene schwedische Soldaten als Ausbilder für das eigene Heer anheuerte. Diese wurden dann unter den Soldaten, Überraschung!, die alten Schweden genannt. Dass die alten Schweden sich anschließend 350 Jahre lang in der deutschen Umgangssprache festbeißen konnten, könnte man, wenn man über überhaupt kein Sprachgefühl verfügte, mit einem „Alter Schwede“ quittieren. Tun wir aber nicht.
11.
Keine Liste über Schweden ohne den König. Nein, nicht Carl Gustaf XVI. Der richtige König: Henrik „Henke“ Larsson. 2005 wurde die schwedische Stürmerlegende vom Verband zum „König des Schwedischen Fußballs“ gekürt und das absolut zu Recht. Larssons Vita ist der feuchte Traum eines jeden limitierten Mittelklasse-Stürmers. Wo Larsson war, war der Erfolg, daran konnten weder offene Schien- und Wadenbeinbrüche noch die wenig aerodynamische Dreadlock-Frisur etwas ändern. Insgesamt achtmal Meister und fünfmal Pokalsieger in England, Holland, Spanien und Schottland, fünffacher schottischer Torschützenkönig, der Goldene Schuh 2001 mit stolzen 37 Buden, 3 WM- und 3 EM-Teilnahmen und nicht zuletzt der Gewinn der Champions League 2006, an dem Larsson ganz wesentlich beteiligt war. Sich schon in der Herbstsonne der Karriere bräunend, kam Larsson erst in der sechzigsten Minute ins Spiel und drehte mit zwei Vorlagen innerhalb von vier Minuten ein 0:1 in ein 2:1. Der geschlagene Henry adelte Larsson noch im Kabinengang: „Er kam rein, er veränderte das Spiel, er tötete uns!“ So redet ein Weltklassestürmer über einen Weltklassestürmer. Kleinlaut und voller Demut verneigen auch wir uns vor König Henrik dem Ersten.