Warum wechselt Alexander Nübel zu den Bayern? Sein Berater Stefan Backs äußert sich ausführlich zu den Hintergründen. Er kritisiert den FC Schalke und Stefan Effenberg.
Stefan Backs, im Sommer 2018 besuchten wir Alex Nübel für eine Geschichte über kommende Nationalspieler. Damals sagte er uns, in der folgenden Saison einige Spiele für Schalke machen zu wollen, ansonsten müsse er sich nach Alternativen umschauen. Wie war damals Ihr Stand?
Ich bin neu als Berater für Alex hinzugekommen und die Situation war in der Tat schwierig. Ralf Fährmann war Schalkes unumstrittene Nummer eins, Kapitän, Publikumsliebling; zudem stand er kurz davor, mit zur WM 2018 zu fahren. Von außen wirkte das erst einmal wie ein unüberbrückbares Hindernis. Intern sah es aber anders aus: Manager Christian Heidel und Trainer Domenico Tedesco hielten große Stücke auf Alex. Und als Tedesco in der Winterpause zu Alex sagte „Es gibt ab jetzt einen Zweikampf auf der Torhüterposition“, war mir klar: Alex wird die neue Nummer eins.
Zu diesem Zeitpunkt wollte Alex Nübel also auf Schalke bleiben?
Ja, er wollte seinen Vertrag verlängern. Und für Schalke hätte es auch Sinn ergeben: Wenn ein Verein einen jungen, talentierten Torwart zur neuen Nummer eins macht, will er ihn schließlich auch lange an sich binden. Doch Christian Heidel und ich sind nicht in Kontakt gekommen.
Was heißt das?
Ich habe zwei Mal bei ihm angerufen, er hat sich daraufhin nicht zurück gemeldet. Heidel hat in Bezug auf Alex überhaupt nichts unternommen, Ende Februar hat er den Verein verlassen.
Christian Heidel entgegnet, er hätte sich für Nübel stark gemacht und Anfang 2019 Angebote vom FC Augsburg abgelehnt.
Davon weiß ich nichts. Augsburg hatte damals offensichtlich nur bei Schalke nachgefragt und nicht bei uns. Das ist aber auch möglich und gängig, zunächst den Verein anzufragen. Wenn der das Interesse dann abblockt, ergibt eine Kontaktaufnahme zum Spieler oder Berater keinen Sinn mehr.
Damals hieß es, die Laufzeit von Nübels Vertrag soll sich kompliziert gestaltet haben, weil sie von seinen Pflichtspielen in jener Saison abhängig war.
Über Vertragsinhalte spreche ich nicht, aber glauben Sie mir: Der Vertrag und die Laufzeit waren nicht schwer zu entschlüsseln. Da war nichts kompliziert.
Im Januar 2019 wollte Nübel seinen Vertrag auf Schalke also verlängern. Ab wann war das nicht mehr der Fall?
Zwei Wochen nachdem er Nummer eins auf Schalke geworden war, also Anfang Februar, kamen die ersten Anrufe von größeren Klubs, auch aus dem Ausland. Bis dahin war Schalke allein auf weiter Flur, doch in dem Moment war für Alex klar: Die anderen Angebote will er sich mal anhören. Zumal von Schalke immer noch kein Zeichen gekommen war.
Jochen Schneider übernahm im März bei Schalke. Änderte das etwas an der Situation?
Eine der ersten Amtshandlungen von Jochen Schneider war, das Thema Alex Nübel anzugehen. Zwei Wochen nach seinem Start hat er uns ein Angebot unterbreitet. Man kann ihm absolut nichts vorwerfen, die neue Schalker Führung hat rein gar nichts falsch gemacht.
Im Sommer 2019 wurde Nübel Schalke-Kapitän. War das ein Zubrot bei den Verhandlungen?
Nein. Diese Dinge bespricht der Trainer mit dem Spieler. David Wagner hatte das Gefühl, dass Alex der bestmögliche Kapitän für diese Mannschaft ist. Ihm war die Vertragssituation egal, er wollte das Beste für das Team.
Schalke wollte Nübel nicht nur zum Kapitän machen, sondern ihn zum Gesicht für die Zukunft aufbauen. Hat ihn das in seiner Vertragsentscheidung beeinflusst?
Er war sich der Ehre bewusst und hatte auch Respekt vor der Aufgabe. Alex hat auch nicht direkt zugesagt, sondern einige Tage darüber nachgedacht. Er ist jung, erst in seiner zweiten Saison als Stammtorwart und musste sich noch Ecken und Kanten abschleifen. Am Ende war er aber sehr stolz, dieses Amt auszuführen. Genauso wie er bis heute stolz darauf ist, für Schalke zu spielen.
Wann fiel die Entscheidung, Schalke zu verlassen?
Relativ spät. Der Verein hat als Ultimatum die Tage vor dem letzten Hinrundenspieltag am 21. Dezember gesetzt. Alex hat mit mir noch mal alles besprochen und dann unmittelbar vor der Frist von Schalke die Entscheidung gefällt. Bis dahin hat er noch lange mit sich gerungen.
Hätte er sich lieber mehr Zeit gelassen?
Im Sinne von Schalke ist es verständlich, frühzeitig planen zu können. Doch der Zeitpunkt war unglücklich: Schalke hat seine Entscheidung direkt nach Ende der Hinrunde nach außen kommuniziert. So war abzusehen, dass das Thema während der Winterpause von den Medien rauf und runter diskutiert wird. Wenn Sie mich fragen, hätte man mit der Veröffentlichung warten können.
Verschiedenen Berichten zufolge war sich Nübel schon viel länger mit den Bayern einig und habe Schalke hingehalten.
Absoluter Quatsch. Aber ich weiß, woher die Gerüchte stammen. Sein vorheriger Handschuh-Hersteller war sauer, dass Alex die Partnerschaft beendet hat. Also hat der Leiter der Firma ein Bild von einem Kollegen und mir in München gepostet. Das Foto sollte angeblich belegen, dass wir den Deal mit den Bayern festzurren. Ich habe aber in München eine Kooperation mit einer anderen Agentur verhandelt – das hatte nichts mit Alex zu tun.
Wann gab es den ersten Kontakt zwischen Nübel und den Bayern?
Sehr früh. Schon weit vor meiner Zusammenarbeit mit Alex ab Sommer 2018 hatten die Bayern ihr Interesse hinterlegt. Im Februar 2019 kam dann die erste Anfrage. Es gibt zwar Regeln, dass Spieler und Verein erst ein halbes Jahr vor Vertragsende miteinander verhandeln, aber die Gespräche mit dem Berater können vorher stattfinden.
Am 4. Januar 2020 vermeldete der FC Bayern, der Klub habe sich in den „vergangenen Tagen“ mit Nübel auf eine Verpflichtung verständigt. Das klang kurios.
Theoretisch kann ein Transfer innerhalb weniger Tage finalisiert werden, wenn man schon nah beieinander ist. Aber die Kontaktanbahnung muss weit im Vorhinein passieren, alles andere wäre auch unprofessionell.
„Spiegel online“ berichtete von zwölf Vereinen, die an Nübel interessiert waren, unter anderem Barcelona, Atletico Madrid, Manchester United.
Die Zahl kommt schon hin.
Wie haben Sie zusammen daraus einen Klub ausgewählt?
Zunächst einmal war klar, dass Alex nicht ins Ausland wechselt. Eine Umstellung auf einen neuen Verein ist schon ein großer Schritt. Ein neues Land, eine neue Sprache und eine neue Kultur – das wäre zu viel gewesen. Also fielen schon mal einige Interessenten weg.
Wie viele deutsche Klubs blieben übrig?
Es lief auf Schalke und Bayern hinaus, auch wenn es noch andere deutsche Interessenten gab. Drei Angebote hat er sich angehört.
Darunter soll auch eines von Borussia Dortmund gewesen sein.
Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.
Das ist kein Nein.
Dieser Satz ist eine typische Reporterfloskel.
Nun ja, ein Wechsel zum BVB hätte noch größere Wellen geschlagen als jener zu den Bayern.
Glauben Sie? Ich habe das Gefühl, dass noch nie in Deutschland ein Transfer so große Wellen geschlagen hat. Bis auf den Dalai Lama hat sich ja jeder dazu geäußert.
Was war in den Gesprächen mit den Bayern entscheidend?
Alex ist ein bodenständiger Kerl. Er mag kein großkotziges Auftreten. Auf den Umgang legt er sehr viel Wert. Das war ein Punkt. Hinzu kam der Karriereplan. Was passiert in den nächsten drei, vier Jahren? Und man darf nicht vergessen: Nicht jeder Torwart hat die Möglichkeit, zum besten deutschen Klub zu gehen. Das ist eine große Chance. Die Bayern hatten in den Gesprächen das beste Auftreten und das beste Paket.
Der „kicker“ hat Nübel in der Hinrundenbilanz in die vierte Kategorie („Im Blickfeld“) eingeordnet. Hat ihn der Wirbel um seinen Wechsel beeinträchtigt?
Ich schätze den „kicker“ sehr, aber diese Kategorien sind Spielereien für Fans. Die Rangliste entstand auch unter dem Eindruck der roten Karte gegen Frankfurt und vielleicht einem Wackler gegen Leipzig. Alex kann äußere Umstände sehr gut ausklammern, also auf Ihre Frage geantwortet: klares Nein! Die Wackler waren kein Ausdruck von Nervenschwäche, sondern von einer Entwicklung. Ter Stegen und Neuer haben als junge und vor allem auch offensive Torhüter ähnliche Schritte gemacht. Jeder Fehler, den Alex macht, ist wichtig für seinen Lernprozess.
Bei Schalke wären ihm diese Fehler aber eher verziehen worden als nun bei den Bayern.
Erstens: Er ist noch nicht bei den Bayern, sondern noch ein halbes Jahr auf Schalke. Zweitens: Weltklassevereine kaufen Spieler nach Potenzial. Sie billigen Talenten Fehler zu. Ein Kimmich oder ein Davies waren am Anfang auch noch nicht komplett, sie konnten lernen. Die Bayern haben zudem mit Neuer einen Weltklassemann, von dem Alex zunächst einmal profitieren kann.
Im „Doppelpass“ kursierte die These: Nübel hat Bayern die Zusage gegeben, sollte aber noch zwei Jahre bei Schalke „geparkt“ werden.
Diesen Plan gab es nie. Der Transfer eines Torhüters ist immer anders anzugehen als jener eines Feldspielers, weil das Zeitfenster für eine Ablösung kleiner ist. Deshalb mag der Wechsel nun etwas knautschig wirken, weil Neuer bei den Bayern noch spielt. Es ist perspektivisch jedoch der richtige Schritt für Alex.
„Wenn ich einen 35-Jährigen nicht attackiere, habe ich es auch nicht verdient“
Sie sprachen von einem Karriereplan bei den Bayern. Im Dezember sagten Sie der „AZ“: „Die wichtigste Voraussetzung für Alex ist, dass er Spielpraxis bekommt.“ Wie soll das bei den Bayern funktionieren?
Meine Aussage mag erst einmal komisch klingen. Das Thema „Spielpraxis“ haben wir in den Gesprächen mit den Bayern natürlich geäußert, und auch die Bayern hatten diese Thematik auf dem Zettel. Manuel Neuer in diesem Sommer zu verdrängen – das wäre ein sehr ambitioniertes Ziel.
Und danach?
Alex will Neuer mittelfristig verdrängen. Wenn ich zu den Bayern wechsle, muss ich mich da durchsetzen wollen. Neuer ist ein Weltklassetorwart, aber bei Bayern hat jeder Neue erst einmal einen Weltklassemann vor sich. Das war bei Kimmich oder Davies auch so. Man wird in drei Jahren sehen, ob Alex’ Weg der richtige ist. Aber er ist fest entschlossen und geht das jetzt an.
Wurden Nübel 15 Einsätze in der nächsten Saison garantiert?
Dazu kann und darf ich nichts sagen. Aber lassen Sie es mich noch einmal skizzieren: Manuel Neuer ist wahrscheinlich der beste deutsche Torwart aller Zeiten. Alex kann im Training und in den Einsätzen viel lernen. Als er zu Schalke kam, hat er sich auch ohne Spielpraxis weiterentwickelt, bis er Ralf Fährmann verdrängt hat. Manuel Neuer wird nicht jünger. Wenn ich also ein großer Torhüter werden will und dann nicht einen 35- oder 36-jährigen Torwart attackiere, dann habe ich es auch nicht verdient.
Deutschlands Torwarttrainer Andreas Köpke sagt, dass es ohne Spielpraxis schwierig für Nübel in der Nationalelf werde.
Kevin Trapp fuhr ohne Spielpraxis zur WM 2018, Manuel Neuer hatte vorher kein einziges Spiel in der gesamten Saison gemacht.
Wäre eine Ausleihe eine Option, um Spielpraxis zu bekommen? Es gibt Gerüchte, dass Nübel beim Transfer von Leroy Sane zu den Bayern eine Rolle spielen würde.
Hinter das Thema Leihe können Sie einen Haken machen, die wird es nicht geben. Dann hätte er auch bei Schalke bleiben können mit einer Transferoption zu den Bayern. Und City hat herausragende Torhütertalente und überhaupt keinen Bedarf.
Neuer reagierte pikiert auf die Verpflichtung von Nübel. Hatten die beiden mal Kontakt miteinander?
Nein. Aber Neuer wäre auch nicht da, wo er heute ist, wenn er freiwillig Spiele abgeben würde. Der wird keinem Konkurrenten helfen, ihn zu verdrängen. Seine Aussagen waren ganz normal.
Haben Sie mit Nübel über eine mögliche Verletzungsanfälligkeit von Neuer gesprochen?
Kein Sportler spekuliert auf die Verletzung eines Kollegen. Dieses Thema spielte keine Rolle in den Überlegungen.
Ihrer Agentur sollen Vereine einen mittleren siebenstelligen Betrag als Handgeld geboten haben. Wie läuft so etwas konkret ab?
Sie bekommen die Summe per Mail genannt oder bei persönlichen Besuchen ein Blatt Papier in die Hand. Es ist aber üblich, dass Vereine mit allen Mitteln versuchen, den Spieler zu bekommen. Das läuft bei ablösefreien Spielern eben auch über Lockangebote an die Berater. Wichtig ist: Ich habe Alex über jedes Angebot, jede Provision und jedes Detail informiert. Er hat sich da auch bei manchen Summen die Augen gerieben. Aber er sollte die Entscheidung selbst treffen.
Ihnen wurde vorgeworfen, aufs Geld anstatt auf die sportliche Perspektive Ihres Schützlings geschaut zu haben…
… das kam von Stefan Effenberg im „Doppelpass“. Ein unterirdisches Niveau! Das sind Aussagen wie von Betrunkenen am Tresen. Bei diesem Transfer haben sehr viele Kräfte gezerrt, beispielsweise andere Beraterfirmen, die Unwahrheiten über uns gestreut haben. So etwas ist leider in unserem Business normal. Es musste ein schwächstes Glied geben. So blieb am Ende nur das Klischee vom geldgeilen Berater und dem willenlosen Spieler.
Auch Nübel wurde in den sozialen Netzwerken als „Söldner“ tituliert. Dabei soll das Gehaltsangebot von Schalke sogar über jenem vom FC Bayern gelegen haben. Stimmt das?
Ich werde Ihnen das nicht konkret beantworten. Alex ist ein schlauer Junge, der weiß, dass Geld nicht das Wichtigste bei so einer Entscheidung ist.
Wie haben Sie die Reaktionen auf den Wechsel erlebt?
Bei unserer Agentur sind Nachrichten unter aller Sau eingegangen, das ging bis hin zur Bedrohung. Man begreift nicht, wie viel Hass die Leute wegen eines Transfers entwickeln. Mitten im Sturm hat mein Vater sich ernsthaft Sorgen um mich gemacht. Das soll nicht weinerlich klingen, das sind ganz normale menschliche Reaktionen.
Wie war es für Nübel selbst?
Er hat sich von Facebook abgemeldet, nichts gelesen und geschaut. Er hat sich von den äußeren Umständen so wenig wie möglich beeinflussen lassen. Vielleicht war es auch ganz gut, dass sich viele Medien mehr auf mich als auf ihn eingeschossen haben.
Können Sie und er nachvollziehen, dass er nicht mehr Schalker Kapitän ist?
Ja und nein. Zum einen stünde er als Kapitän jedes Mal vor der Kamera und würde jedes Mal zum Wechsel befragt werden. Das ist ein Grund für diese Entscheidung, ihm die Binde abzunehmen. Allerdings habe ich moralisch damit meine Schwierigkeiten: Alex wird dafür bestraft, dass er seinen Vertrag erfüllt – in Zeiten, in denen Profis sich ganz anders verhalten. Er hat kein kritisches Interview gegeben, sich nicht rausgeklagt, nicht den Vertrag gebrochen.
Auch Jochen Schneider hat nun erklärt, dass Nübel sich nichts habe zuschulden kommen lassen.
Das hat mich natürlich gefreut, aber das hätte Herr Schneider auch einige Wochen eher erklären können. Denn auch da hatte sich Alex nichts zuschulden kommen lassen. Ich konnte die Enttäuschung von Schalke verstehen, weil sie wirklich alles gegeben hatten. Nur: Danach hat man das Thema einen Monat lang ohne beschwichtigenden Kommentar laufen lassen. Das war aus meiner Sicht viel zu lang.
Bereiten Sie sich auf Fanproteste bei den Spielen vor?
Alex ist in der Schalker Fanszene nicht so stark verwurzelt wie seinerzeit Manuel Neuer. Ich glaube, dass er eher respektiert als geliebt wird. In diesem Fall ist der Schmerz nicht ganz so groß. Die Fans sind weniger auf ihn sauer; die meisten ärgert, dass der neue Klub FC Bayern heißt und er ablösefrei wechselt.
Befürchten Sie, dass Nübel seinen Status als Nummer eins auf Schalke einbüßt?
Das hängt auch vom nächsten Spiel ab. Wenn Markus Schubert in München ein starkes Spiel abliefert, wird es schwierig, ihn aus dem Tor zu nehmen. Aber wenn der Trainer David Wagner der Meinung ist, Alex sei der bessere Torwart, dann sollte es auch ums Sportliche gehen und nicht ums Drumherum.