Nur 46 Minuten und 36 Sekunden rollt auf Kreisligaplätzen im Durchschnitt tatsächlich der Ball. Das hat zumindest ein Student in einer Studie herausgefunden. Was machen die Spieler in den verbleibenden 43 Minuten?
Benedikt Betscher, im Rahmen Ihrer Bachelorarbeit haben Sie Amateurspiele auf ihre effektive Spielzeit (ESZ) untersucht und sind zu einem bemerkenswerten Ergebnis gekommen: Im Schnitt spielten die Mannschaften nur 46 Minuten und 36 Sekunden. Lag das an extremen Außreißern nach unten oder wird in der Kreisliga tatsächlich nur so wenig Fußball gespielt?
Effektiv gespielt wurde meistens zwischen 42 und 51 Minuten, bis auf in einem Spiel, da waren es nur 35. So bin ich auf den Durchschnittswert von 46:36 Minuten gekommen. Das sind insgesamt 49,3 Prozent der gesamten Spielzeit mit Nachspielzeit, also echt extrem wenig. Die anderen 50 Prozent der Spielzeit befindet sich der Ball im Aus oder ruht aufgrund von anderen Unterbrechungen. Im Vergleich zum Profifußball, bei dem die effektive Spielzeit häufig nicht mehr als 60 Minuten beträgt, zeigt sich hier aber noch einmal ein enormer Unterschied.
Wie sind Sie auf die Idee für die Studie gekommen? Spielen Sie selber in einer Amateurliga und waren genervt von den zahlreichen Spielunterbrechungen?
Ich kicke hier in Augsburg in der Kreisliga und habe mich schon des Öfteren gewundert, dass man so wenig spielt. Vergangenes Semester hatten wir dann ein Seminar zur Spielbeobachtung und Spielanalyse und haben uns Studien für den Profifußball angeschaut. Ich wollte wissen, ob im Amateurfußball im Vergleich mehr oder weniger gespielt wird.
Wie viele Spiele haben Sie untersucht und wo waren Sie dafür unterwegs?
Ich hab mir Spiele im Raum Augsburg/Schwaben angeschaut. Das waren Spiele der dortigen A‑Klasse, Kreisklasse, Kreisliga und Bezirksliga. Ich hab die Spiele selbstständig messen müssen und hatte dadurch wenig zeitlichen Spielraum, weil ich so pro Wochenende bloß ein, maximal zwei Spiele sehen konnte. Und ich hatte nur einen gewissen Zeitraum zur Verfügung. Insgesamt habe ich 15 Spiele gemessen.
Ist das nicht ein bisschen wenig, um ein aussagekräftiges Urteil fällen zu können?
Klar, man kann meine Studie deswegen natürlich nicht auf den kompletten Amateurfußball beziehen. Aber abgesehen von einem Spiel, das mit seinem ESZ-Wert von 35 Minuten extrem rausfällt, nähern sich alle anderen Spiele dem Schnitt von 46 Minuten an. Deswegen kann man zumindest schon eine Tendenz erkennen, dass bei den Amateuren wirklich weniger gespielt wird als im Profifußball.
Wie haben Sie die Spiele gemessen?
Wichtig ist vor allem, dass man eine Uhr hat, bei der man die Zeit stoppen und starten kann, ohne darauf schauen zu müssen. Dann kann man auch mal mit einem Zuschauer sprechen oder kurz erklären, was man macht, aber dabei trotzdem konzentriert bleiben.
50 Prozent ungenutzte Spielzeit ist nicht gerade wenig. Was machen die Spieler in all der Zeit, die das Spiel unterbrochen ist?
Auf die Analyse der Spielunterbrechungen konnte ich während meiner Studie leider nicht den Fokus legen, auch wenn das im Profifußball so gemacht wird. Aber vom Empfinden her war das eine gute Mischung zwischen der-Ball-ist-im-Aus- und Abseits-Situationen. Aber es gibt noch weitere Gründe, die für die kurze Spielzeit sorgen. Die Bedingungen der Sportanlage sind einer davon. Wenn zum Beispiel eine Leichtathletik-Anlage neben dem Fußballplatz ist und der Ball rausgeschossen wird, dauert das ewig, bis der Ball wieder da ist. Die konditionellen Fähigkeiten der Amateure sind, im Vergleich zu denen der Profispieler, natürlich auch schlechter, sie sind schneller ermüdet. Wenn ein Mitspieler den Ball holt, nutzen die Anderen die Pause zum Durchschnaufen oder zur Diskussion mit den Dorfältesten.
Also hat das Fehlen der Balljungen in den Amateurligen einen entscheidenden Einfluss auf das Spielgeschehen?
Auf jeden Fall. Im Profifußball sind die Balljungen dafür da, den Ball schnell wieder einzubringen. Das fehlt den Amateuren natürlich. Wenn dann gerade kein Ersatzball zur Hand ist, oder die Heimmannschaft den Ball nur zögerlich rausgibt, kommt es natürlich dazu, dass der Ball nicht so schnell wieder rollt. Aber eigentlich sind die Mannschaften daher auch angehalten, immer ein bis zwei Ersatzbälle bereit zu haben. Wenn ein Ball verschossen wird, ist deswegen meistens relativ schnell ein Ersatz da. Den verschollenen Ball sucht dann ein Auswechselspieler oder ein Zuschauer.
Bei einem Spiel haben Sie exemplarisch gemessen, wie die Mannschaften sich bei einem Abstoß verhalten. Auch die Torhüter scheinen Ihrer Studie zufolge gerne Einfluss auf den Spielfluss zu nehmen. Was konnten Sie beobachten?
Das Interesse daran, den Ball schnellstmöglich wieder zu holen, hat sich bei den Torhütern deutlich voneinander unterschieden. Der Keeper der in Führung liegenden Gäste hat für das Holen des Balls hinter dem Tor plus die Ausführung des Abstoßes doppelt so lange gebraucht wie der Keeper der zurückliegenden Mannschaft. Während er 43 Sekunden brauchte, benötigte der Heimtorhüter, der einen Rückstand aufholen musste, für die gleiche Aktion nur 23 Sekunden. Dementsprechend ist also auch in den untersten Ligen erkennbar, wie man den Spielverlauf mit Absicht verzögert.
Da gab es doch sicherlich die ein oder andere Beschwerde aus den Zuschauerreihen?
Das eher weniger. Langsame Ausführungen nehmen die Zuschauer mittlerweile schon eher hin, aber wenn ein Spieler am Boden liegt und man weiß nicht: Ist der jetzt wirklich verletzt oder nicht? Da geht es dann anders zur Sache. Da kommt schon die ein oder andere Beschimpfung rein.
Verzögern die Diskussionen zwischen Spielern, Schiedsrichter und Zuschauern das Spiel?
Nicht wirklich. Mir ist aufgefallen, dass die Schiedsrichter inzwischen ziemlich gut geschult sind und sich auf keine Diskussionen mit den Zuschauern mehr einlassen. Wenn es mal Probleme gab, dann mit der Trainerbank. Aber das haben wir ja im Profifußball auch. In ein oder zwei Partien, als dann doch von außen gepöbelt wurde, ist der Schiedsrichter kurz zum Trainer gegangen und hat ihm gesagt, dass sich die betroffenen Zuschauer bitte vom Spielfeldrand entfernen sollen. Ansonsten hat der Schiri aber sein Ding gemacht.
Ein Spiel, das in Ihrer Studie auftaucht, unterschied sich deutlich von den anderen. Zwischen dem SV Margertshausen und dem TSV Täfertingen betrug die ESZ nur 35:33 Minuten. Was war in Margertshausen los?
Es war ein sehr wichtiges Spiel in der Kreisklasse: Der Erste gegen den Zweiten. Und der Tabellendritte hatte genauso viele Punkte. Vor dem Spiel war klar: Der Gewinner würde sicher aufsteigen, der Verlierer würde auf das andere Ergebnis hoffen müssen. Es waren viele Zuschauer da, locker 300, insgesamt für die Spieler eine angespannte Situation. Da wurde viel mit dem Schiedsrichter diskutiert, ständig lag jemand auf dem Boden, der Ball war dauernd im Aus. In der ersten Halbzeit wurde effektiv nur eine Viertelstunde gespielt: Ein ganz zerfahrenes Spiel, das mit einem 5:1 für den SV Margertshausen endete.
Wie lang war bei diesem Spiel die Nachspielzeit?
Da wurde nicht viel nachgespielt. In der ersten Halbzeit nicht mal eine Minute, in der zweiten Halbzeit waren es dann gerade mal drei. Die einzige Nachspielzeit, die wirklich extrem lang war, habe ich beim Spiel des TSV Gersthofen gegen den TSV Aindling gesehen. Da ging es auch um den Aufstieg, doch da hat der Schiedsrichter wirklich mal konsequent Nachspielzeit gegeben.
Ein Ausnahmefall?
Ja, auf jeden Fall. Das gab es sonst nie. Es war sehr auffallend, dass in allen Partien nie mehr als drei Minuten Nachspielzeit in einer Halbzeit gegeben wurden. Egal was passiert ist. Selbst wenn es ewig lange Unterbrechungen gab, hat der Schiedsrichter nur eine Minute nachspielen lassen oder sogar pünktlich abgepfiffen. Das ist ein Problem bei den Amateuren: Man kann ohne Ende auf Zeit spielen und der Schiedsrichter sanktioniert nicht. Der nutzt nicht einmal die Mittel, die er zur Verfügung hat. Dadurch kommt es meiner Meinung nach zu vielen taktischen Spielverzögerungen seitens der Spieler. Selbst in den niedrigsten Ligen, wo es eigentlich um nichts geht.
Nicht unbedingt die schönste Art ein Spiel zu gewinnen, oder?
Genau das will ich durch meine Analyse auch kritisieren: Der Umstand, dass sogar in den unteren Ligen der gesamte Spielraum ausgenutzt wird, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Manche würden sagen taktisch clever, ich nenne das eher unfair. Das Verhalten bei Verzögerungen ist folglich bei allen Fußballern ähnlich. Von den Profis bis runter zu den Amateuren.
Und wie geht es jetzt weiter? Gibt es Pläne für eine Fortführung der Studie?
Die Arbeit wurde mit „Gut“ bewertet. Ich würde gerne dran bleiben, aber leider steht das Staatsexamen vor der Tür. Das wird zeitlich schwierig. Es wäre natürlich interessant, mehr Werte aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands mit einbeziehen zu können, um zu sehen, ob ich mit meinen Thesen auf der richtigen Fährte bin.