Ernst Happel liebte den Fußball und das Leben. Ein Hasardeur, der mit einem revolutionären Offensivstil zahllose Titel gewann. Heute wäre die Trainerikone 95 Jahre alt geworden.
Körner und er haben dieselbe Initiation durchlaufen. Mitten im Zweiten Weltkrieg werden die Jungtalente, beide gerade 16, für die „Kampfmannschaft“ von Rapid rekrutiert. Das Glück ist nur von kurzer Dauer. Mit der Volljährigkeit ruft das Militär. Körner kommt nach England, Happel nach Borissow in Weißrussland, wo die Nazis in dieser Zeit auch Todeslager unterhalten. „Wir haben soviel Krieg gesehen, so viel Verderben, das reicht für drei Leben“, sagt „Körner II“, der gemeinsam mit Bruder Robert in den Fünfzigern die Sturmachse von Rapid und in der Nationalelf bildete.
Nach Kriegsende bringt allein der Fußball die Lebensfreude zurück. Rapid ist ein Spitzenteam im europäischen Fußball. Fesche Buam, die alles noch vor sich haben und den Horror vergessen wollen. Happel interpretiert die neu gewonnene Freiheit ganz anders als sein Spezi Körner. Die Stelle bei der Niederösterreichischen Landesregierung, die beide parallel zum Fußball antreten, gibt Happel schon kurz darauf wieder auf. Er hat genug davon, sich herumkommandieren zu lassen. Körner jedoch, Sohn eines Finanzbeamten, macht den Job im Amt bis zur Pensionierung. „Schauen’s mich an, so an krummen Rücken hat der Ernstl nie g’habt“, scherzt er, „der hat nie an Diener machen müssen so wie i: Guten Morgen, Herr Ministerialrat!“
Im Gegenteil. Der technisch versierte Ausputzer im Abwehrzentrum von Rapid ist in der Lage, Spiele ganz allein zu entscheiden. Aber er neigt auch zu Übersprunghandlungen. Wenn ihm danach ist, nimmt er den Ball mit dem Hinterteil an oder schießt Elfmeter mit der Ferse. Immer wieder stellt er seinen besten Freund, Keeper Walter Zeman, auf die Probe, indem er mitten im Spiel aufs eigene Tor ballert. Die Freiheit nimmt er sich einfach. Und wenn Zeman am Abend die Champagnerkorken knallen lässt, sitzt Happel oft daneben. „Ich bin ein schwerer Junge gewesen für einen Trainer“, gibt Happel Jahrzehnte später zu, „ein unangenehmer Patron.“
Bei der WM 1954 trifft Österreich im Halbfinale auf die DFB-Elf. Für die Buchmacher ist die Austria der klare Favorit. Doch die Deutschen gewinnen sensationell mit 6:1. Medien kolportieren, Happel und Zeman hätten sich bestechen lassen. Später stellt sich heraus, dass der Torwart ein Alkoholproblem hatte und betrunken ins Spiel gegangen ist. Und auch Happel hat sich am Tag vor dem Semifinale nicht so verhalten, wie es von einem Nationalspieler zu erwarten wäre. Die Verdächtigungen pariert der Grantler mit einer charakteristischen Mischung aus Verwunderung und Gleichgültigkeit.
Dieses Verhalten wird er später auch an den Tag legen, wenn er sich von seinen Spielern im Stich gelassen fühlt. Er nimmt ein Angebot des Racing Club de Paris an, tritt zwischenzeitlich aus der Nationalelf zurück. Er trägt jetzt einen schmalen Schnauz, sieht aus wie der junge Clark Gable und genießt das Nachtleben in der französischen Metropole. Happel verkehrt in Künstlerkreisen, nach Feierabend sieht man ihn nur noch in Nadelstreifen, Boulevardblätter dichten ihm Tête-à-Têtes an. Selbst Filmdiva Gina Lollobrigida soll seinem Schmäh erlegen sein. Er frönt einem exklusiven Lifestyle, den er – in eingeschränkter Form – bis zu seinem Tod beibehalten wird. Das ganze Leben ist ein Spiel. Tagsüber rollt das Leder, nach Einbruch der Dunkelheit die Roulettekugel.
Happel liebt die Nacht. Er speist mit Leuten aus der Halbwelt, den „nicht ganz Echten“. Nicht etwa, weil er mit ihnen Geschäfte macht, sondern weil ihn das Milieu fasziniert. Jahre später, zu seiner Zeit in Rotterdam, wird er schwer alkoholisiert am Steuer von der Polizei aufgegriffen und kommt einige Tage in Haft. Mitinsassen aber sind so entzückt von seinem Schmäh, dass sie seine Arbeiten mit übernehmen, damit Happel sich der Zeitungslektüre widmen kann. Selbst in seiner Hamburger Zeit hält Manager Günter Netzer den Coach bei Laune, indem er Trainingslagerhotels in unmittelbarer Umgebung von Casinos bucht.
Seine Urlaube verbringt Happel nach ein- und demselben Strickmuster: Die erste Hälfte widmet er den alten Wiener Spezln im Café Ritter im 16. Bezirk, wo der Veltliner fließt und ab mittags die Karten auf die Tische knallen. Für die restlichen Tage reist er nach Velden, wo er tagsüber am Wörthersee spaziert und abends frisch geduscht mit Einstecktuch im Casino Platz nimmt. Doch so sehr ihn das Glückspiel in seinen Bann zieht, so diszipliniert verfährt er bei der Berechnung des Risikos. „Ich kann stoppen. Ob ich jetzt verlier’ oder gewinn’. Ich werd’ mein Hab und Gut nie verlieren“, erklärt er seine Strategie.
Mit kalkuliertem Risiko operiert er auch auf dem Rasen. Dass er als Libero über ein herausragendes Stellungsspiel und spektakuläre Technik verfügt, ist unbestritten. Um seine Lauffaulheit zu kompensieren, entwickelt er eine neue Form der Abseitsfalle. Ein Pfiff reicht aus, um die Verteidigung zwei Schritte nach vorne treten zu lassen. Diese Innovation wird den Trainer Happel in der Welt berühmt machen. Als seine Spielerkarriere zu Ende geht, ist längst klar, dass er dem Fußball erhalten bleibt. „Wir hatten unsere Arbeitsstellen“, erklärt Alfred Körner, „der Ernstl aber hatte nur den Fußball. Frauen, gut, Frauen hat er vielleicht die eine oder andere g’habt, aber wirklich geliebt hat er die nicht. Geliebt hat er nur den Fußball.“
Happel wird zunächst Sektionsleiter bei Rapid und treibt die Professionalisierung des Klubs voran. Doch die Funktionsträger der Grün-Weißen sind mit den Plänen des forschen Jungmanagers nicht d’accord. Also sagt der sture „Wödmasta“ den Seinen nach zwei Jahren erneut „Arrivederci“. Er ahnt nicht, dass es der Aufbruch zu einer langjährigen Odyssee ist, die ihn quer durch Europa führt und die größten Erfolg beschert, die ein Klubtrainer erringen kann.
„Darum brauche ich keine Peitsche!“
Seinen ersten Trainerposten übernimmt er bei ADO Den Haag. Der Legende nach tritt er dort zur ersten Einheit im blütenweißen Dress und mit Slippern an, stellt eine Dose aufs Kreuzeck des Tores, nimmt am Sechzehner Anlauf, schießt das Blech auf Anhieb herunter und befiehlt: „Nachmachen!“ Inwieweit die Geschichte stimmt, lässt sich nicht mehr prüfen. Sicher aber ist, dass Happel in dem Moment, in dem er zum Übungsleiter aufsteigt, zur absoluten Respektsperson mutiert.
Der Wiener verlangt seinen Kickern absolute Disziplin ab. Pünktlichkeit geht ihm über alles. Kommt ein Spieler Sekunden zu spät zur Abfahrt, sieht er nur noch die Staubwolke des Busses. Beim Training gibt er den rauchenden Grandseigneur, dem ein gutes Auge und wenige Worte reichen, um das Team zu Höchstleistungen zu pushen. „Ich bin eine Respektsperson“, weiß er, „darum brauche ich keine Peitsche!“