Ein unscheinbarer Dorfklub erlebte in den Siebzigern einen erstaunlichen Höhenflug: Mittendrin bei Cosmos Mühlhausen: Der Mann, den sie „Zange“ nannten.
Wie gesagt, RWU war der Topverein, „Schranke“ das Idol der Stadt. Bis sich in einem Dorf im Ostteil von Unna Seltsames tat. Der SSV Mühlhausen, ein Klub von nicht mal 400 Mitgliedern, kletterte höher und höher und war Anfang 1981 von der Kreisklasse inzwischen in der Landesliga angekommen. Der Grund für den kometenhaften Aufstieg hieß „Zange“ Wosab. Seit einigen Jahren wohnte der Ex-Profi in Uelzen, dem Nachbardorf von Mühlhausen, und kickte beim SSV, weil er vom Fußball einfach nicht lassen konnte. Auch mit 43 Jahren, hoher Stirn und Pornoschnäuzer war Zange eine Klasse für sich. Am Hertinger Tor munkelte man, dass er selbst „Schranke“ Grassat noch ein paar Eier ins Nest legen könnte.
Im Februar 1981 berichtete sogar der „Kicker“ über den SSV Mühlhausen, unter der seltsamen Überschrift „Wosab spielt bei den ›Kosmonauten‹“. Sie bezog sich darauf, dass einige alte Weggefährten von „Zange“ von Zeit zu Zeit die Treter schnürten und in Mühlhausen aushalfen, wie etwa Gladbach-Legende Herbert Laumen. Wegen dieser Altstars, so behauptete der „Kicker“, wurde der SSV mit Cosmos New York verglichen und im Volksmund Cosmos Mühlhausen genannt.
Das Entscheidungsspiel um den Aufstieg
Angeführt von Wosab, der die Landesliga Gruppe 5 mit 32 Toren aufmischte, erreichte der SSV im Mai 1981 tatsächlich das Entscheidungsspiel um den Aufstieg in die Verbandsliga gegen die Warendorfer Sportunion. Es wurde natürlich an einem neutralen Ort ausgetragen, schon allein deshalb, weil man auf der Wiese des SSV am Mühlbach eine solche Begegnung nicht abhalten konnte. (Der Ausbau der berüchtigt dörflichen Anlage zu einer Art Stadion erfolgte erst einige Zeit später.)
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Aufstiegsspiel auf dem Platz in Hamm stattfand, der heute den kühnen Namen EVORA Arena trägt. Was ich nicht weiß, ist, wie wir dahin gekommen sind. Vielleicht sind wir mit meinem älteren Bruder gefahren, vielleicht haben wir aber auch den Zug genommen. In jedem Fall gab es nie einen Zweifel, dass wir „Schranke“ Grassat und RWU untreu werden mussten, um diese Partie zu sehen. Und wir wurden nicht enttäuscht. Auch wenn ich mich nicht an alle Einzelheiten erinnern kann, so war es eines der packendsten Amateurspiele, die ich je gesehen habe. Zweimal befanden wir uns schon auf dem Weg zum Ausgang, in den letzten Sekunden der regulären Spielzeit und dann der Verlängerung, als jeweils noch der Ausgleich fiel. Nach 120 Minuten stand es 3:3 – und wir etwas bedröppelt in der Gegend herum, bis klar war, dass es kein Elfmeterschießen geben würde, sondern ein Wiederholungsspiel.
Das war dann eine erstaunlich deutliche Sache. „Zange“, wer sonst, traf zum 1:0 und Warendorf, immerhin Absteiger aus der Verbandsliga, kassierte noch zwei weitere Tore gegen den Klub vom Dorf, der plötzlich viertklassig war – und in einer Liga mit dem Giganten und Lokalrivalen Rot-Weiß Unna spielen durfte. Leider beendete Wosab einige Wochen später endgültig seine aktive Karriere. Wir werden also nie wissen, ob „Zange“ selbst gegen „Schranke“ getroffen hätte.