Die Bundesliga hat sich ziemlich verändert. Man nehme nur die unterschiedlichen Haarprachten der Generation Netzer und der Generation Poldi-Schweini. Langmähnige Ungetüme hechelten damals über den Platz. Keine Zeit für den Kopfgärtner, muss zum Training. Während heutige Jugendmannschaften aus Profi-Klubs mit abstrusen Seiten-Mittel-Innenscheiteln aus seidenen Blondschöpfen über die Felder sausen.
Und auch in ihrer öffentlichen Wahrnehmung hat sich die deutsche Eliteklasse stark modernisiert. Womit wir beim Gegenwartsthema „Künstler als Freiwild“ wären, das von den vorsichtigen Aussagen des Bundestrainers Jogi Löw und den schäumenden Statements des Uli Hoeneß angefeuert wurde. Hoeneß fordert nach den heftigen Attacken gegen seinen neuen Star Franck Ribery drastische Maßnahmen gegen die Treter von „Mannschaften, die sportlich nicht mithalten können“. Aus der Sicht des Managers, der für seine teuren Edelkicker tief in die Tasche greifen musste – und ohnehin als heftigster Verteidiger der bei ihm unter Vertrag stehenden Fußballer gilt – eine verständliche Aussage.
Doch vergisst der Bayern-Manager dabei, dass die Geschichte der krachledernen Zwangsverwandschaft zwischen Holzfuß und Sahnekicker nicht erst mit der Aufnahme Franck Ribérys in die Bundesliga geschrieben wurde. Ähnliche Leidensgeschichten durchziehen die Fußball-Historie, und bei näherem Hinsehen wird auch Hoeneß zugeben, dass es deutliche Erleichterung gewesen sein muss, die beiden ärgsten Hacker – Georg Schwarzenbeck und „Bulle“ Roth – im eigenen Team zu haben. O‑Ton Hoeneß: „Ich habe mir früher im Training Schienbeinschützer angezogen, weil ich wusste: Wenn der Bulle Roth sauer auf mich ist, dann fegt der mich auf die Aschenbahn.“
„Permanent in die Hacken“
Beinahe verniedlicht wurde der rustikale Einsatz von Werner Liebrich bei der Weltmeisterschaft 1954 gegen das Genie Ferenc Puskas. Die flapsige Ansage vom „Major“, Liebrich als Strafe für sein Einsteigen zu tunneln, beantwortete der deutsche Verteidiger mit kernigen Sprüngen auf die talentierte Gelenke des Ungarn. Puskas humpelte im Finale, Deutschland gewann, und die Forderung vom ungarischen Verband, bei solchen Attacken ruhig auch mal „sieben, acht Mann von einer Mannschaft vom Platz zu stellen“, ist bis heute jedenfalls nicht in die deutsche Medienlandschaft durchgesickert.
1966 blieb der Titelverteidiger Brasilien weitestgehend wirkungslos, was unter anderem auch an den Kloppereien der Portugiesen gegen Brasiliens Fußball-Wunder Pelé gelegen haben mag. Die Truppe um Superstar Eusebio zerschrubbte Pelé derart die Sehnen und Knochen, dass der Techniker das Spielfeld nur noch fußlahm verlassen konnte. Den Fußballfans in aller Welt blieb nachträglich allerdings nur die sagenhafte Show von Eusebio in Erinnerung, der sein Team fast bis ins Finale geführt hätte.
Und 1990 waren es die Kameruner, die Argentiniens Maradona im Eröffnungsspiel bei jeder unvorsichtigen Bewegung „permanent in die Hacken“ traten. Entnervt vom Geschrote des zukünftigen Turnierlieblings fand Maradona nicht zu seinem Spiel, und die Afrikaner sorgten mit ihrem 1:0‑Sieg für die große Überraschung. Die drei dunkelgelben Karten, sowie zwei Platzverweise für Kana und Massing dürften den wenigsten Interessierten in Erinnerung geblieben sein.
Gemeingefährliche Attacken und Grätschen sollen an dieser Stelle wahrlich nicht verteidigt werden, allerdings sollte Hoeneß nach den nächsten Hackentretereien gegen seine teure Herrenriege lieber die Fäuste in den Taschen ballen und seinen Jungs fürs Grobe, van Bommel, Demichelis und Co, vielsagende Blicke zuwerfen, anstatt die große Moralkeule auszupacken.
Oder noch besser: Es mit Rudi Völler halten. Schließlich ist Fußball – glücklicherweise – noch immer kein Schach. Und Hallen-Halma schon gar nicht.
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Autor Alex Raack betreibt den Blog „3eckeneinelfer“ www.3eckeneinelfer.de .