Wäre es möglich, dass ein Fußballprofi sein Coming-Out hat und nichts passiert? 800 Spieler*innen haben in unser neuesten Ausgabe ein Zeichen der Solidarität gesetzt. Was wir dabei erfahren.
Am Ende steht da eine Schlagzeile: „Spektakuläre Solidaritätsaktion des Fußball-Magazins 11FREUNDE“. Dieser Satz steht in der heutigen Ausgabe der Neuen Osnabrücker Zeitung und freut uns sehr. Denn er ist nur eine von unglaublich vielen positiven Reaktionen, die uns erreicht haben. Der Hashtag zum Slogan „Wir stehen hinter euch!“ wurde in den Sozialen Medien unzählig oft geteilt. Ein Großteil der deutschen Medien, vom Kicker über die Welt und die Süddeutsche, berichtete. Auch im Ausland, zum Beispiel bei ESPN und Standard, wurde das Thema aufgegriffen.
Unser Ziel war es, ein Zeichen zu setzen und dabei die Perspektive zu wechseln. Denn lange wurde vor allem eines gefragt: Wann traut sich endlich einer? Hier, bei diesem oder jenem, da gäbe es doch Gerüchte und sowieso, nicht dass uns das interessieren würde, nein, aber warum nicht einfach dazu stehen? Wann hat endlich ein Fußballprofi, der inmitten seiner Karriere steht, sein Coming-Out? Diese Fragen wollten wir nicht beantworten. Wir haben stattdessen dazu aufgerufen, dass so viele Fußballer und Fußballerinnen wie möglich ein Zeichen der Solidarität setzen. Dass Menschen zeigen, dass sie füreinander da sein werden, wo bis jetzt noch unklare Verhältnisse bestehen. You’ll never walk alone. Weil wir glauben, dass es nicht darauf ankommt, wer sich wann und wie zu seiner Sexualität bekennt. Sondern dass sich der-/ oder diejenige schon jetzt wohl in seiner/ihrer Umgebung fühlt.
Die aktuelle Titelgeschichte ist daher auch Anlass zur Debatte: Wie wird im deutschen Profifußball über Sexualität gesprochen? 800 Spieler und Spielerinnen haben die Erklärung unterzeichnet. Viele stehen mit ihrem Namen zu dem Leitsatz „Ihr könnt auf uns zählen!“. Andere haben ihre Unterstützung im Namen der ganzen Mannschaft zugesichert. Es gab Vereine, auch Trainer und Funktionäre, die sich angeschlossen haben. In den Sozialen Medien schlossen sich viele weitere an. DFB-Präsident Fritz Keller ließ sich ablichten mit einem Pappschild und der Aufschrift „Ihr könnt auf uns zählen“. Das Deutsche Fußballmuseum versah die LED-Einwand am Museumseingang mit dem Hashtag. Es gab kritische Stimmen, denen all das zu weit oder gerade nicht weit genug geht. Wir sind über jede Reaktion dankbar. Was schon jetzt auffällt: In der sehr privaten Frage nach der eigenen Sexualität gibt es im Jahr 2021 noch großen öffentlichen Redebedarf.
Gestern stieß vor allem ein Satz von Max Kruse, dessen Konterfei auf einem unserer Cover zu sehen ist, auf Begeisterung. Er hat gesagt: „Wenn sich einer meiner Kollegen outen würde, würde ich ihn vor den Idioten draußen schützen.“ Das ist ein klare Aussage. Und steht im krassen Gegensatz zu einer Passage aus einem Buch von Philipp Lahm, die gestern – zufällig am gleichen Tag wie unsere Aktion – veröffentlicht wurde. Lahm schreibt: „Gegenwärtig schienen mir die Chancen gering, so einen Versuch in der Bundesliga mit Erfolg zu wagen und nur halbwegs unbeschadet davonzukommen.“
Die Reaktionen in der Öffentlichkeit waren recht klar verteilt. Dabei beschreibt Lahm, der homosexuellen Spielern im Übrigen schon vor etlichen Jahren seine Solidarität zugesichert hatte, einen Zustand, den auch andere beobachten. Es gibt Fragen. Es gibt Zweifel. Und es gibt Unsicherheit. Das Zitat von Max Kruse ist etwas länger und gleicht sich interessanterweise mit den Gedanken von Philipp Lahm. Er sagt: „Wenn ein Fußballprofi sein Coming-out hätte, wäre die öffentliche Reaktion schlicht zu groß. Ich kann jeden verstehen, der sich dem nicht aussetzen will.“
Genau aus diesem Grund glauben wir, dass es richtig ist, die Perspektive zu wechseln. Dass es wichtig ist, dass Spieler wie Max Kruse, Sven Michel, Sebastian Ohlsson, Dedryck Boyata und Niklas Stark, Almuth Schult und all die anderen Menschen, die unserem Aufruf gefolgt sind, klar Position beziehen in einer Debatte, die vermutlich gerade erst begonnen hat. Damit Zweifel und Unsicherheiten kleiner werden, wo sie noch am größten sind. Ihr könnt auf uns zählen.