Der SV Babelsberg 03 will sein Essensangebot fast komplett auf vegane Produkte umstellen. Auf Gegenstimmen ist Verlass. Dabei dürfte ein englischer Drittligist Mut machen.
Franz-Josef Wagner war hin und weg. Nicht nur wegen des Tores selbst, das Serge Gnabry im März 2019 gegen die Niederlande erzielt hatte. Dem Bild-Kolumnisten hatte vor allem imponiert, dass Gnabry kurz zuvor verkündet hatte, sich rein vegan zu ernähren – und ihm nun also als Veganer ein solches Tor gelungen war. „Pflanzen schießen Tore“, schrieb Wagner in seiner Kolumne „Post von Wagner“ und: „Seit Gnabrys Supertor mache ich mich nicht mehr lustig über Veganer.“ Wagner, der sich selbst für die Stimme des Volkes hält, schien eines klar geworden zu sein: Fußball und Veganismus – das ging tatsächlich zusammen.
Natürlich ist Gnabry kein Einzelfall. Auch andere Bundesliga-Profis wie Bremens Mitchell Weiser oder Yannik Gerhardt vom VfL Wolfsburg leben vegan. Beim Nordost-Regionalligisten SV Babelsberg 03 ernährten sich in der Vorbereitung auf die Saison 2021/22 gleich mehrere Spieler rein vegan und ließen sich dabei für eine Pilotstudie wissenschaftlich begleiten. Die Ergebnisse der Studie sind in der neuen 11FREUNDE-Ausgabe oder online nachzulesen. Kleiner Spoiler vorab: auch Veganer treffen noch das Tor.
Auch auf Vereinsebene ist vegane Ernährung in Deutschland kein blinder Fleck mehr. Die Tierschutzorganisation PETA untersuchte bis 2019 jährlich die Veganfreundlichkeit der Stadien in 1. und 2. Bundesliga. Zuletzt stand drei Mal in Folge die Veltins-Arena auf Schalke an der Spitze. In dieser Spielzeit will der SV Babelsberg noch einen Schritt weitergehen. Bei der Saisoneröffnung stellte der SVB nicht nur den schwedischen Haferdrink-Produzenten Oatly als neuen Hauptsponsor vor, sondern präsentierte auch seine Pläne zur Umgestaltung des Caterings. Bis Ende September soll der gesamte Cateringbereich hinter den Stehplatztribünen des Karl-Liebknecht-Stadions auf ein rein veganes Angebot umgestellt werden. Ein einziger Stand am Stadioneingang soll bleiben, bei dem es weiterhin Fleisch und Wurst gibt.
Wie der SVB betonte, gehe es dabei nicht darum, das bisherige Stadionessen einfach durch vegane Ersatzprodukte auszutauschen. Vorstandsmitglied Thoralf Höntze sagte der Märkischen Allgemeinen, es sei das Ziel, „attraktive Angebote zu schaffen. Im Winter kann das eine warme Suppe sein, im Sommer eher Gemüsespieße, Fleischersatzprodukte sind natürlich auch denkbar.“ Dass es nicht schon zu Saisonbeginn damit klappte, hing laut Verein damit zusammen, dass die Verhandlungen mit verschiedenen Partnern noch liefen und die Essensbereiche hinter den Stehplatztribünen erst umgebaut werden mussten – ein Grill allein reicht in Babelsberg nun eben nicht mehr aus.
Vegane Ernährung und Leistungssport: Ist das vereinbar? Spieler vom SV Babelsberg haben es ausprobiert – und sich dabei wissenschaftlich begleiten lassen.
Den Entschluss zu diesem Schritt begründete Höntze mit dem Engagement für den Klimaschutz. Er ist beim SVB für Marketing und Corporate Social Responsibility zuständig, also für die soziale Verantwortung des Vereins. „Wir können nicht mehr ignorieren, dass fast ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen auf die Massentierhaltung zurückzuführen sind“, erklärte er in der Märkischen Allgemeinen. „Der Klimawandel ist real, wir spüren ihn hier anhand von Hitzetagen und Dürre, aber vor allem zahlen Menschen in der Dritten Welt für unseren Konsum von billigem Fleisch.“
Natürlich habe es vereinsintern auch Gegenstimmen gegeben, gab Höntze zu. Dass das keine große Überraschung ist, dafür reicht ein Blick auf andere deutsche Fußballklubs. „Fußball bedeutet bei uns: Bratwurst, Bier, 90 Minuten Fußball“, sagte etwa Union Berlins Präsident Dirk Zingler im Januar der Sport Bild. Union sei nun mal kein Klub, „der sich ständig anpasst oder jedem Trend folgt.“ Seine Aussagen hatten eine Welle an Empörung ausgelöst, schließlich gab sich Union in der Vergangenheit stets als weltoffen und tolerant.
Im März war der VfL Wolfsburg damit gescheitert, im Stadion Kuhmilch durch Hafermilch zu ersetzen. Kritik daran gab es nicht nur vom Bauernverband, selbst Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast schaltete sich ein. „Die Hoffnung des VfL, mithilfe eines klaren Bekenntnisses zu einem bestimmten Ernährungsstil mehr Zuschauer anzusprechen, ist fragwürdig“, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung. Daraufhin ruderte der Verein zurück, auch weiterhin wird in der VW-Arena Kuhmilch angeboten.
„Wir verkaufen viermal so viel Essen wie vorher“
Dass es auch ganz anders geht, beweisen seit Jahren die Forest Green Rovers. Der englische Drittliga-Aufsteiger ist das Aushängeschild in Sachen Fußball und Veganismus, der Verein aus der Grafschaft Gloucestershire wurde als erster klimaneutraler Fußballverein weltbekannt. Der Rasen der Rovers wird mit Seetang gedüngt, die Trikots bestehen aus kompostiertem Kaffeesatz und natürlich ist auch das Stadioncatering vegan. Bereits seit 2012 gibt es im Stadion The New Lawn kein rotes Fleisch mehr, wenig später verzichtete der Verein komplett auf tierische Produkte, selbst das Stadionbier wurde vegan. In der Folge zogen immer mehr Klubs nach. Laut Vereinsboss Dale Vince ließen sich bald auch der FC Chelsea und Norwich City vom veganen Cateringservice der Rovers beliefern.
Bei der gesamten Umstellung sei das Essen zu Beginn die größte Barriere gewesen, sagte Dale Vince 2020 dem Spiegel. „Wir wurden von Fans dafür angegriffen, nichts war gut genug.“ Nach und nach gelang es dem Club aber, seine Anhänger zu überzeugen. „Wir verkaufen nun viermal so viel Essen wie vorher“, so Vince. Das dürfte auch in Babelsberg Mut machen.
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