Er wurde Weltmeister, holte Bronze bei Olympia und machte sich im Pokalfinale 1989 für alle Dortmunder unsterblich. Geburtstagskind Frank Mill über seinen legendären Pfostenschuss, Ärger mit Jupp Heynckes und seinen Kumpel Wolfram Wuttke.
Frank Mill, sollen wir es direkt hinter uns bringen?
Sie meinen den Pfostenschuss?
Richtig, 1986 setzten Sie gegen die Bayern frei vor dem Tor den Ball an den Pfosten. Können Sie die Szene noch ein Mal erklären?
Es war dämlich, ich wollte die Bayern lächerlich machen, den Ball abklemmen und ins leere Tor reingrätschen, so wie es „Litti“ mal gemacht hatte. Doch ich lief schneller als der Ball. Ich hatte keine Führung mehr, er lag genau zwischen meinen Beinen – und zack war es passiert. Das war leider das allererste Spiel für den BVB, ausgerechnet gegen die Bayern. So ging die Szene buchstäblich um die Welt. Ein halbes Jahr später besuchte ich einen Freund in San Francisco, bestellte mir nachts im Fairmont Hotel einen Hamburger aufs Zimmer und drehte am Fernseher, bis ich auf ein Programm mit Sportkuriositäten stieß. Da sprang im Bild gerade ein Basketballer hoch und riss den kompletten Korb mit ab. „Lustig“, dachte ich mir und biss in den Burger. Just in dem Moment sah ich auf dem Bildschirm, wie ein deutscher Fußballer im gelben Trikot aus zwei Metern den Ball an den Pfosten setzte.
Nervt es Sie, noch immer auf das Malheur angesprochen zu werden?
Es kommt drauf an: Wenn man mir auf der Straße nur an den Kopf wirft „Ey, Frankie, Pfosten, haha“, dann winke ich ab. Aber generell kann ich nach 33 Jahren über das Ganze lachen. Es gab eben auch lustige Begegnungen wie vor einigen Jahren mit Matthias Herget in einer Metzgerei. Eine Oma hinter der Theke packte gerade unsere belegten Brötchen in das rosa Papier ein. Die hatte keine Ahnung vom Fußball, wusste nicht, wie ich heiße, aber erkannte meinen Kopf und meine Falten. Da hob sie den Finger: „Dich kenn ich, du has’ doch gegen den Pfosten geschossen.“ Ich sagte: „Ja, das habe ich“, zeigte auf Herget und fügte an: „Und er war bei der WM 86.“
Worauf sprechen Sie die Leute abgesehen von dieser Szene an?
Auf das Pokalfinale 1989 mit dem BVB gegen Bremen, das war das beste Spiel meines Lebens. Ich habe einen Ball von der Torlinie geholt, zwei Treffer vorbereitet und einen selbst gemacht. Bis zu dem Tag hatte ich nie was gewonnen und war schon weit vor Anpfiff heiß. Morgens schnappte ich mir in der Sportschule das Mikro und ahmte für meinen Mitspieler Murdo MacLeod die berühmten Radioansagen in England nach: „Good morning, ladies and gentlemen, it’s cup final day.“ Außerdem setzte ich mich bei unserem Zeugwart dafür ein, dass wir mit Ringelsocken spielten – eben genau so wie die Europapokalsieger des BVB von 1966.
Michael Rummenigge sagte kürzlich, dass nicht Norbert Dickel, sondern Sie „der Held von Berlin“ gewesen seien.
Der Spielerrat um Thomas Helmer, Susi Zorc, Teddy de Beer und mich hatte vor dem Finale durchgedrückt, dass Nobby von Anfang an spielen sollte. Er hat zwei Tore trotz seiner Verletzung gemacht, alles gut. Für mich ist es auch gar nicht schlimm, dass er als „der Held von Berlin“ gilt. Mich stört nur, dass es so rüberkommt, als hätte er alleine gespielt. Beim 30-Jahre-Jubiläum wurden die Pokalsieger von der Südtribüne gefeiert. Wir haben in die Menge gewinkt und sind dann vom Platz gegangen. Ich habe an der Seitenlinie noch ein Bild mit meinem alten Bekannten Claus Reitmaier gemacht. Da sah ich plötzlich, wie Dickel noch einmal vor die Kurve gegangen ist und sich ganz alleine hat feiern lassen.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Party von Berlin?
Zunächst einmal kam ich viel zu spät, weil ich zur Dopingkontrolle ausgelost worden war. Es lief auch super, allerdings kippte mir der volle Becher bei der Abgabe um. Die zweite Probe ging nicht so einfach wie die erste, es zog sich eine Stunde hin. Aufs Bankett im „Schweizer Hof“ habe ich dann alle meine Freunde mitgeschleppt. Von da zogen wir weiter und landeten plötzlich bei einer griechischen Hochzeit. Zusammen mit dem Brautpaar und den Gästen tranken wir ordentlich Ouzo. Morgens um sechs fand ich dann zufällig meinen Vater in der Kneipe Holst, einem pickepackevollen Laden mit viel Rauch, Mettwürstchen und Pils. Er saß an der Theke, voll wie ’n Amtmann, und fragte mich: „Junge, was machst du denn hier?“
„Aldi-Kuchen für ’ne Mark neunzig, Kaffee aus der Kanne, Aschenbecher“
Stimmt die Geschichte, dass sich das Team vor dem Finale im FKK-Bereich vorbereitet hat?
Nicht nur vor dem Pokalfinale, wir haben jahrelang freitags im Freibad trainiert. Da konnte man gar nicht baden, im Prinzip war das nur eine Freifläche für FKK. Zum Abschlusstraining schleppten wir unsere Tore auf den riesigen Rasen. Weiter hinten lagen die Nackten, weswegen beim Torschusstraining schon mal ein paar Bälle weit vorbei gingen. Wenn du sie geholt hast, konntest du nicht gerade weggucken – auch wenn nicht jeder Anblick bei den alten Rentnern ein Genuss war.
Das klingt nach einer gelösten Stimmung in der Mannschaft.
Es war anders als heute. Wir haben nach jedem Training stundenlang beim Zeugwart gesessen. Kutowski, Lusch, Rolf Meyer, Zorci, de Beer, Dickel und ich. Da gab’s Aldi-Kuchen für ’ne Mark neunzig auf den Tisch, Kaffee aus der Kanne, Aschenbecher, und dann abgeschlossen die Tür. Der gleiche Teamgeist herrschte bei der WM 1990. Wir haben uns alle miteinander verstanden, es gab null Streit. Noch heute rufe ich Häßler, Berthold oder Buchwald an, wenn ich Leute für meine Fußballschule brauche. Die sagen alle direkt zu, da wird nicht groß über Geld oder irgendwas erzählt.
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