In Weißrussland geht das Leben trotz Corona-Pandemie ganz normal weiter. Obwohl überall sonst auf der Welt der Fußball ruht, kamen auch am Wochenende wieder Tausende in die Stadien. Das größte Problem: Der vermeintliche Viren-Experte und Ministerpräsident Aljaksandr Lukaschenko.
Wir befinden uns im Jahr 2020 n. Chr.: Ganz Europa ist vom Coronavirus besetzt und das öffentliche Leben lahmgelegt. Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Weißrussen bevölkertes Fleckchen Land hört nicht auf, dem gefährlichen Eindringling Widerstand zu leisten. So oder so ähnlich könnte das berühmte Intro aus „Asterix“ in einem Fußball-Corona-Spezial lauten. Doch anders als bei den mutigen Galliern aus der Comicserie braut kein Druide einen Zaubertrank. In Weißrussland rät ein Diktator zum Wodka trinken, Traktor fahren und Sport machen. Und weil Fußball bekanntermaßen ein Sport ist, fanden am Wochenende wieder zahlreiche Spiele statt – wie gewohnt vor Zuschauern.
Mitte März startete die Wysheyshaya Liha, Weißrusslands höchste Spielklasse, in die neue Saison. Trotz Corona-Pandemie, weltweit abgesagten Sportveranstaltungen und mehreren tausend Toten in Europa. „Die ganze Welt schaut auf die belarussische Meisterschaft. Dies ist die beste Werbung für unsere Liga“, wird der ehemalige Nationaltrainer Anatoli Baidatschni von lokalen Medien zitiert. In der Tat erlebt der weißrussische Fußball gerade eine nie da gewesene Popularität: TV-Verträge mit Fernsehsendern aus zehn Ländern, darunter Russland, Israel und Indien, wurden am Wochenende abgeschlossen. Und verzweifelten Wettanbieter werben für Begegnungen der sonst eher unbeachteten Liga.
So auch für das Spitzenspiel am vergangenen Wochenende zwischen FK Minsk und Dinamo Minsk. Das Hauptstadtderby fand, genau wie die übrigen sieben Partien, vor (teilweise) vollen Rängen statt. Noch Stunden vor dem Spiel twitterte der siebenmalige Meister Dinamo vom „heißesten Derby der Welt“. Ein eher hinkender Vergleich, war doch das Aufeinandertreffen weltweit das einzige Derby im Fußballkalender.
Trotz Coronavirus fanden 1750 Zuschauer den Weg ins Torpedo-Stadion, der Spielstätte des kleineren Hauptstadtklubs FK Minsk. Das Spiel auf Kunstrasen sollte zumindest aus sportlicher Sicht ein echter Leckerbissen werden. Der Gastgeber ging früh durch Vladimir Khvashchinski in Führung und dominierte in der Folge das Geschehen nach Belieben. Der Favorit kam überhaupt nicht ins Spiel, kurz vor der Pause schraubte FK die Führung durch einen Doppelschlag auf 3:0 hoch. Auch nach der Pause erspielte sich der Underdog zunächst Chance um Chance. Doch trotz Ampelkarte für Miha Goropevsek in der 57. Spielminute, kam Dinamo zurück ins Spiel und konnte in der Schlussphase dank zweier Treffer noch vom Ausgleich träumen. Am Ende reichte das späte Aufbäumen jedoch nicht mehr und FK entscheid das Derby überraschend mit 3:2 für sich.
Es wirkt grotesk, dass mitten in Europa, immer noch Fußball gespielt wird. Auf der Vereins-Homepage wirbt Dinamo für die kommende Partie am Freitagabend. Heimspiel gegen Torpedo Zhodino. Allerdings, es scheint ein wenig Vernunft eingekehrt, wird jeder zweite Platz im Stadion frei bleiben. So soll der Mindestabstand von einem Meter zwischen den Zuschauern eingehalten werden – man wolle die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO einhalten.
Das ist bereits ein kleiner Fortschritt. Denn bis heute geht das Leben in der ehemaligen Sowjetrepublik recht normal vonstatten. Weißrusslands Mächtige, allen voran Ministerpräsident Aljaksandr Lukaschenko, scheren sich nicht um das Virus. Seine Worte erinnern an die von Donald Trump oder Jair Bolsonaro, die dem Virus noch vor einigen Wochen nicht die angemessene Aufmerksamkeit schenkten und lieber die nationale Unantastbarkeit verklärten. Frei nach dem Motto „Meinem Land kann das Virus nichts“ leugnet auch Lukaschenko die Gefahren und sieht keinen Grund für Maßnahmen gegen eine Expansion des tödlichen Erregers. „Ich nenne dieses Coronavirus nichts anderes als eine Psychose“, wird er zitiert. „Die zivilisierte Welt ist verrückt geworden“, gibt er zu Wort. Der Minsker Erzbischof Pawel Ponomarjow hat eine ähnlich exklusive Meinung: Er vertraut ganz und gar auf Gott, der das Land vor der Epidemie schützen werde. „Die Panik, die durch die Ausbreitung des Coronavirus entsteht, benebelt den Verstand.“
Um seine Haltung deutlich zu machen, spielte Lukaschenko am Wochenende dann ganz demonstrativ Eishockey – Weißrusslands Nationalsport. „Sport ist die beste Antiviren-Medizin“, wird er zitiert. Außerdem gebe es in Weißrussland keine Viren. „Ich habe nicht bemerkt, dass sie herumfliegen“, sagt der Despot. Indes fragen sich viele, ob Lukaschenko überhaupt noch etwas merkt. Nach offiziellen Angaben haben sich im Land bereits mehr als 85 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, Tote soll es noch nicht gegeben haben. Das soll auch so bleiben. Denn Lukaschenko wies seine Sicherheitsbehörden an, jeden Fall genau zu untersuchen, in dem jemand „fälschlicherweise“ einen Todesfall mit Corona in Verbindung bringe.
Zeitgleich werden immer mehr Weißrussen unruhig. Trotz staatlicher Propaganda wissen viele, was im Rest der Welt geschieht, sie fordern nun Maßnahmen zum Schutz ihrer Gesundheit. So wird berichtet, Studenten würden Unterschriften sammeln, um die Schließung von Schulen und Universitäten zu erzwingen. Auch aus dem Fußball werden kritische Stimmen laut. Der österreichische Legionär Darko Bodul kritisiert die Fußball-Funktionäre scharf: „Als wir hörten, dass die Liga startet, war es ein harter Schlag. Es ist schockierend“, sagt der Angreifer gegenüber Laola1. Alle Menschen in Weißrussland wüssten, was in Europa los ist. „Aber wir können es nicht ändern.“ Auch Lukaschenkos Verhalten könne er nicht verstehen: „Er spielt gerne den Big Boss. Aber die Leute nehmen diese Aussagen zum Glück nicht ernst. Es sind auch ohne Maßnahmen der Regierung viel weniger Menschen als sonst unterwegs. Alte sehe ich überhaupt nicht mehr.“
Prävention auch in den Fußballstadien: Beim Minsker Stadtderby waren vereinzelt Zuschauer mit Atemschutzmasken zu sehen. Keine perfekten Schutzmaßnahmen. Aber das sind Wodka trinken und Traktor fahren ja auch nicht.