Der FC Hansa könnte heute aufsteigen und nach neun Jahren in die 2. Bundesliga zurückkehren. Verantwortlich ist ein umsichtiges Führungsduo und das konsequente Nutzen von Glück.
Ein paar Monate später, die gemeinsame Aktion “Ein Land. Eine Kurve” hatte Erfolge gebracht und dann an Dynamik verloren, stand Marien bei einem Marketing-Meeting in einer der Stadionlogen unterm Rostocker Arenadach. Filterkaffee und Portionskaffeesahne mit Aussicht. Nach dem zweistündigen Treffen gingen Marien und seine Gäste gemeinsam runter ins Vestibül, er fragte, was sie vom Team und dem neuen Kader halten und erwarten würden. Die Mannschaft sei gut, technisch stark, Spieler mit Tempo, mit Drittliga-Erfahrung und gleichzeitig noch entwicklungsfähig. Aber der Trainer? Zu konservativ, zu verbohrt, zu blass, zu defensiv. Oder?
Mariens Miene verfinsterte sich. Er baute sich auf, es folgten Worte, die sich heute nett lesen, aber damals so sanft anfühlten wie Schmirgelpapier. “Ich bin absolut überzeugt vom Trainer. Wir haben sogar einen sehr, sehr guten Trainer. Besonders in dieser Liga”, so Marien.
Jener Jens Härtel wird am Samstag in Rostock seine dritte Saison beenden. Im Amt ist er seit etwa 30 Monaten. Das hat es ewig nicht mehr gegeben. Und gut lief in dieser Zeit längst nicht alles. Es gab manch grausigen Fußballnachmittag. Eklige Niederlagen, sogar Beinahe-Krisen. Das Umfeld hielt auch deshalb still, weil Marien die Dinge besonnener sieht.
Jens Härtel, 51, mehrmaliger Aufstiegstrainer, hat mit Marien einiges gemeinsam: Er wirkt überwiegend besonnen, fokussiert, pragmatisch, auch etwas dröge, wie es in Norddeutschland heißt. Netter Kerl, würden die meisten sagen, wenn er im Lokalfernsehen zu sehen ist. Vieles, was man bei Härtel anfangs kritisierte, zum Beispiel, dass die Mannschaft manchmal zu früh begann, Führungen zu verwalten, nicht durchzog und dafür dann bestraft wurde – das stellte Härtel mit der Zeit ab. Dass er die halbe Magdeburger Mannschaft, mit der er 2017/18 aufgestiegen war, an die Warnow holte, verstörte so manchen Hanseaten. Bis fast alle Ex-Magdeburger mindestens ein Spiel für Hansa gewannen.
Härtel verbrannte sich bei manchem Experiment, zum Beispiel dabei, den Jungspund Lukas Scherff zum Offensivspieler zu formen. Das Eigengewächs trägt sein Talent im Herzen und in den Waden, nicht aber im starken Fuß. Jetzt ist Scherff wieder Verteidiger, Typ waghalsiger Terrier, dank Härtel reif für ruppige Aufgaben. Der Trainer durfte ausprobieren, manchen Fehler machen und ihn selbst reparieren. Das war selten in Rostock und ist auch in den höheren Schichten zur Besonderheit verkommen.
Härtel konnte ein Team bauen, das tatsächlich sein Werk ist und nicht das Ergebnis des Bullshitbingos mehrerer Trainer und Manager. Der Traum, den Rostock momentan träumt, reift nicht erst seit einer Saison im Reagenzglas; er köchelt schon eine Weile.
Und noch etwas haben Härtel und Marien, die Patchwork-Väter des möglichen Rostocker Erfolgs gemeinsam: Sie kreieren Chancen. Der Vorstand, mehr Pragmatiker als Idealist, schuf durch solides Wirtschaften und Marketing-Strategien, die zwischen Tradition und Moderne balancieren, das Fundament für eine gute Drittligamannschaft. So generierte er trotz der Krise neue Mittel, die Sportvorstand Martin Pieckenhagen in der Winterpause überwiegend klug investierte. Zum Beispiel in Simon Rhein, einem Verstoßenen aus Nürnberg, der weiß, wie man mit Flanken Schläfen streichelt. Marien gab Hansa eine Chance. Und genau das schafft Trainer Härtel auch: Immer im Spiel bleiben. Bis zum Ende.