Der FC Hansa könnte heute aufsteigen und nach neun Jahren in die 2. Bundesliga zurückkehren. Verantwortlich ist ein umsichtiges Führungsduo und das konsequente Nutzen von Glück.
Die Abendsonne ist schon fast versunken, als ein paar Kids noch mal aufdrehen. Sie bolzen auf dem Tartanplatz, der sonst ein Schulhof ist. Der Ball klatscht dann und wann an einen Aluminiumzaun, ein Zug fährt im Hintergrund vorbei. Das „Alkohol-Verboten-Schild“ kratzt sie eben so wenig wie die Corona-Beschränkungen, gegen die sie numerisch verstoßen. Soweit nichts Besonderes. Nur dass die Teenager überraschend gute Musik hören. Kein Capital Bra oder anderen Klamauk. Sondern echte Mukke, sogar mit Gitarren. Oasis, Chili Peppers, Radiohead. Und mehr noch: Manche dieser aus der Zeit gefallenen Jugendlichen tragen tatsächlich die Wäsche des lokalen Fußballklubs. Kein PSG, kein Chelsea, kein Bayern, nirgendwo Neymar oder Ronaldo. Sondern blau und weiß, die rote Kogge auf der Brust. Hansa Rostock.
In Rostock tragen sie gerade gerne Trikot. Die Jungen. Die Alten. Die dazwischen. Das liegt an der Mai-Sonne. Vor allem aber am FC Hansa. Am Wochenende könnte der Verein nach neun Spielzeiten voller Tristesse wieder in die 2. Bundesliga aufsteigen. Nach Jahren des Beinahekrepierens oder Sechsterwerdens. Gegen Lübeck, Vorletzter und soeben abgestiegen, reicht ein Punkt. Gewinnt Hansa, ist es ein Spaziergang. Und selbst wenn die Kogge nicht punktet, muss Ingolstadt gegen 1860 gewinnen. Und Sechzig hat Mölders. Die Chancen stehen also gut.
Bald ein bisschen Bundesliga. Vielleicht. Es gibt Kids, die gehen in Rostock zur Schule, zweite Klasse oder achte, und haben noch nie den Hamburger SV im Ostseestadion gesehen. Oder Schalke. Oder Werder. Das kann sich zeitnah ändern. Doch warum jetzt dieses Glück, ausgerechnet in der beschissensten aller Saisons?
Dass Rostock hofft, hat mit jemandem zutun, der keine Tore schießt oder Spieler trainiert. Es ist der Vorstandschef Robert Marien. Im deutschen Fußball kein großer Name. Marien, schnörkellos, stets gefasst, hat Ruhe nach Rostock gebracht und Weitsicht. Bis zu Mariens Amtszeit war der Verein ein Durchlauferhitzer für Trainer, Manager und Vorstände. Es gab keine Kontinuität. Es wurde gefeuert, ausgetauscht, neu justiert. Da ein Konzept und dort ein anderes. Marien ist geduldig und verbindlich, ein basisorientierter Denker.
Zu Beginn der Corona-Pandemie machte sich auch im Nordosten des Landes die Angst breit. In Mecklenburg-Vorpommern setzten sich die Macher der wichtigsten Sportvereine rasch zusammen. Ein lokaler Footballverein und eine Digitalagentur* hatten das Netzwerk organisiert. Gemeinsam wollten die Klubs Ideen teilen, Know-how vermischen, später als Einheit Unterstützung bei der Politik ersuchen.
Marien ging in diesem Konsortium voran. Nicht nur für Hansa. Sondern für alle, für Handball, Volleyball und Football, er appellierte auch für Nachwuchs und Breitensport. Der Hansa-Chef stapfte mit Filzstift an die Flipchart, sprach dann über Bilanzrechnung. Er erklärte den anderen, weniger krisenerprobten Managern, wie sie Anträge stellen oder als Sportverein mit dem Thema Kurzarbeit jonglieren können. Das machte Eindruck bis in die Politik. Da war jemand, der etwas verspricht und dann auch so handelt, wie er es zuvor angekündigt hat. Im Fußball nicht selbstverständlich.