No Dice ist ein Magazin über Fußball in Berlin – auf Englisch. Ein Ire, ein Engländer und ein Schotte erschließen darin die Wunderwelten des lokalen Amateurkicks nicht nur für Landsleute. Sie locken Fußballtouristen aus aller Welt bis in die Bezirksliga II.
Schade, der Berliner AK spielt heute nicht. Das Lokalderby gegen Viktoria 1889 in der Regionalliga Nordost ist wegen ein paar Zentimetern Schnee kurzfristig abgesagt worden. Na, dann geht es halt in eine der hinteren Ecken des Sportparks Poststadion, wo trotz des lausigen Wetters auf Kunstrasen gekickt wird.
Ian Stenhouse, Jacob Sweetman und Stephen Glennon (auf dem Foto von links nach rechts) trotten zu Platz 1, eine Mannschaft in blau-weiß gestreiften Trikots spielt dort gegen eine in schwarz-weißen: Union 06 gegen Blankenburg. „Bezirksliga III, top Match“, erklärt Sweetman und stellt sich dann vor den Fotoapparat von Stenhouse, der jetzt zur Videokamera wird. Ein kleiner Aufsager in die Kamera, in einem Take. Ziemlich professionell.
Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel
Bei den drei Dutzend Zuschauern löst das kein sonderliches Erstaunen aus, der Trainer von Blankenburg nickt ihnen zu. Man kennt sich. Seit zweieinhalb Jahren ziehen der Schotte Stenhouse, der Engländer Sweetman und der Ire Glennon über Berliner Amateurfußballplätze, um Stoff für das „No Dice Magazine“ zu sammeln, der „No. 1 for Berlin Football“, wie es im Untertitel heißt. Benannt ist es nach dem erfundenen Podolski-Zitat des Comedians Jan Böhmermann, dass Fußball wie Schach, nur ohne Würfel sei.
Und „No Dice“ ist allein deshalb schon die Nummer eins, weil es sonst niemanden gibt, der auf Englisch über Fußball in Berlin berichtet – von Hertha BSC bis zu den Grashoppers Tegel, die Freizeitligaspiele in der Einflugschneise des Flughafens austragen. „Die Klubs finden uns gut. Sie können es nicht fassen, dass da jemand an einem kalten Dienstagabend bei einem Kreisligaspiel herumsteht, um sie zu fotografieren oder über sie zu schreiben“, sagt Stenhouse.
„No Dice“ kommt als Website daher, auf der es auch ausführliche Spielberichte als Videos gibt, und als Seite bei Facebook mit über 3000 Freunden selbst in Japan, den USA und Skandinavien. Außerdem erscheint ungefähr alle drei Monate ein gedrucktes Fanzine, hübsch gestaltet und mit vielen Fotos, durchgehend vierfarbig.
„Es geht um Themen, die ich in der Schule gehasst habe“
Das alles könnte man für doppelt bizarr halten, denn warum sollte man etwa was über den VfB Hermsdorf erfahren wollen, einen Sechstligisten aus dem Berliner Norden? Und das auch noch von einem Iren, der auf Englisch schreibt? Aber der fremde Blick auf einen Amateurklub ohne bemerkenswerte Vergangenheit, übertriebene Träume von der Zukunft, aber einen klaren Sinn für die Gegenwart, ist so reizvoll, dass man am liebsten gleich mal vorbeifahren würde.
„Beim Fußball in Berlin geht es fast immer um Themen, die ich in der Schule gehasst habe: Geschichte, Politik und Soziologie. Aber man kann den Fußball hier nicht ohne all das betrachten, und das fasziniert mich“, sagt Jacob Sweetman, 35. Der Schlagzeuger kam vor fast sieben Jahren nach Berlin, machte mit seiner Frau zusammen Musik, arbeitete in Plattenläden und erlag bald dem besonderen Reiz des lokalen Fußballs. Zuletzt hat es ihm besonders Sparta Lichtenberg angetan, seit der Weimarer Zeit ein Klub der Arbeiterbewegung, „der für ein romantisches Ideal steht“, wie Sweetman findet.
Stephen Glennon, 30, der als Übersetzer arbeitet und seit acht Jahren in der Stadt ist, fasziniert besonders das riesige Spektrum von Amateurteams mit ausländischen Wurzeln, von türkischen und bosnischen bis zu italienischen und armenischen. „Sie werden von den Deutschen oft einheitlich wahrgenommen, aber selbst bei gleicher Nationalität stehen sie für sehr unterschiedliche Dinge.“
Berlin und den Fußball dokumentieren
Am meisten ist Ian Stenhouse, 53, unterwegs, der seit sieben Jahren in Berlin lebt und mit einer Deutschen verheiratet ist. Früher war er Lehrer für Kunst und Gestaltung, jetzt muss er nicht mehr arbeiten und hat genug Zeit, um sich seiner Passion hemmungslos hinzugeben. Ungefähr 250 Spiele besucht er pro Saison und hat im Laufe der Zeit einen besonderen Blick entwickelt. „Die eigentlichen Spielfotos interessieren mich nicht so sehr, mit meinen Bildern möchte ich Berlin genauso dokumentieren wie den Fußball“, sagt er.
Stenhouse hat dabei eine besondere Vorliebe: „Gegen einen schönen Plattenbau im Hintergrund habe ich nie was einzuwenden.“ Hinter den Nebenplätzen am Poststadion gibt es die zwar nicht, aber Stenhouse weist mit einer gewissen Begeisterung auf die Neubauten hinter Platz 1, wo an diesem Sonntagnachmittag Menschen in der Küche stehen, während unten auf dem Platz 22 Mann durch die Kälte hetzen.
„Die große Überraschung ist, dass uns Deutsche lesen“
Mit seinem nerdigen Eigensinn hat „No Dice“ internationales Interesse am Fußball in der Hauptstadt geweckt. Inzwischen treffen die drei regelmäßig auf Engländer und Amerikaner, die in Berlin leben und durch das Magazin neugierig auf Lichtenberg 47 oder TuS Makkabi geworden sind. Oder auf Fußballfans, die aus dem Ausland nach Berlin gekommen sind, um Hertha oder Union zu sehen, und nun zusätzlich noch Amateurspiele erkunden, weil sie darüber in „No Dice“ gelesen haben.
„Die große Überraschung ist aber, dass uns Deutsche lesen“, sagt Stenhouse. Aber so verblüffend ist das in der Stadt der Zugezogenen gar nicht, außerdem spürt man, dass die drei nicht nur behaupten: „Wir machen das aus Liebe.“ Sie beweisen es eben auch, wenn sie sich für den speziellen Zauber der Bezirksliga III eisige Füße und rote Nasen holen.
—-
Für die aktuelle „No Dice“-Ausgabe haben die Macher Fans von Tennis-Borussia Berlin auf eine Auswärtsfahrt begleitet. Ian Stenhouse hat dazu ein Video gedreht, das ihr hier findet. Für mehr Informationen zum Magazin besucht die Website www.nodicemagazine.com