Seit über einem Jahr wird Fußball vor leeren Rängen gespielt. In dieser Zeit ist das Spiel in der Bundesliga weniger intensiv geworden. Gibt es einen Zusammenhang?
Laut klagten nur wenige, die Spieler sollen schließlich keine Ausreden geliefert bekommen. Aber Maric will nicht ausschließen, dass es „subjektive Verfärbung“ gibt. „Trainerstäbe gehen vielleicht auch mal von weniger Fitness und Frische aus und adaptieren dementsprechend.“ Spielanlagen oder Matchpläne können sich so ändern. Bei Spielern will er einen ähnlichen Effekt nicht ausschließen, weil sie so oft hören, wie anstrengend alles ist. Das würde den Effekt einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung haben: Alle fühlen sich müder, weil ständig über die starke Belastung geredet wird. Doch selbst das erklärt es letztlich nicht. Denn echte Müdigkeit hin, gefühlte Müdigkeit her: Die Spieler machen de facto ja mehr intensive Läufe, sie setzen ihre Gegner nur weniger unter Druck.
Abgesehen von einzelnen taktischen Verschiebungen und einem verdichteten Terminkalender ist der größte Unterschied zwischen dieser und letzter Saison: Es wird fast komplett ohne Zuschauer gespielt. Das Institute of Labour Economics in Bonn hat bereits im vergangenen August eine Analyse dazu vorgelegt, wie sich der Heimvorteil bei den Geisterspielen der letzten Saison verändert hatte. Es untersuchte 6481 Spiele in 23 Profiligen aus 17 Ländern und stellte fest, dass statt zuvor 43,8 Prozent nur noch 41,2 Prozent der Spiele mit einem Heimsieg endeten. Eine gewaltige Veränderung ist das nicht, spektakulär war ein anderes Ergebnis: Die Schiedsrichter zeigten fast 30 Prozent weniger Gelbe Karten für die Gastmannschaften. „Wir gehen davon aus, dass dieses Ergebnis durch das völlige Fehlen von Druck durch das Publikum bedingt ist, der normalerweise dafür sorgt, dass der Schiedsrichter die Heimmannschaft bevorzugt“, hieß es in der Studie.
„Ohne Publikum fehlt ein sehr großer Faktor, der die Spieler ins Spiel gegen den Ball peitscht und in Pressingsituationen zwingt“
Dass die Abwesenheit des Publikums zumindest einige Spieler beeinflussen würde, hatte Franz Beckenbauer bereits vor dem Restart der Bundesliga im vergangenen Mai vorausgesagt. Er sah die Zeit der Trainingsweltmeister kommen. „Ich habe selber viele Spieler erlebt, die auf dem Trainingsplatz geglänzt haben und denen samstags im vollen Stadion die Nerven flatterten. Die profitieren von leeren Rängen und können wie im Training aufdrehen.“ Aber offensichtlich hat die Abwesenheit des Publikums nicht nur Einfluss auf Kicker mit schwachen Nerven, sondern auf fast alle Spieler.
Dass auf dem Platz mit mehr Ruhe und weniger fehlerhaft gespielt wird, hatte Maric bereits festgestellt. Aber das ist nur möglich, weil ballführende Spieler weniger unter Druck gesetzt werden. Es gibt einen weiteren Wert, der das belegt. Die sogenannten Aggressive Actions, verwandt mit Pressures, erfassen Defensivaktionen innerhalb von zwei Sekunden nach Ballannahme. Das sind die Situationen, in denen es knallt, und die sind von 120 pro Team und Spiel in der Vorsaison auf nun 106 zurückgegangen, Minus 12 Prozent.
Letztlich gibt es nur eine schlüssige Erklärung dafür, warum die Intensität nachgelassen hat: „Ohne Publikum fehlt ein sehr großer Faktor, der die Spieler ins Spiel gegen den Ball peitscht und in Pressingsituationen zwingt“, meint Maric. Fußball hat sich in Zeiten der Pandemie beileibe nicht in ein gemütliches Gekicke verwandelt, doch fehlt fast überall immer mal wieder der letzte Schritt, um in den Zweikampf zu kommen. Dem Fußball ist etwas verlorengegangen, und das sind die Fans im Stadion.
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