In Wolfsburg gründen italienische Gastarbeiter 1962 den ersten Migrantenverein Deutschlands: U.S.I. Lupo-Martini. Beinahe hätten sie sogar dem großen VfL den Rang abgelaufen.
„Erst einmal waren es nur Freundschaftsspiele“, erinnert sich Lochiatto. Vor der endgültigen Zulassung muss der Niedersächsische Fußball-Verband an seinem eigenen Regelwerk rütteln. Bisher ist nur ein Ausländer pro Mannschaft zugelassen, in einem Verein von Gastarbeitern schlicht unmöglich. Seit Lupo spielt, dürfen elf Ausländer in den Amateurklassen auf dem Platz stehen. Nach nur einem Jahr erhalten sie die Zulassung. „Bis dahin waren wir wie die chinesische U20“, sagt Lochiatto, „nur ohne Geld. Nur mit unseren Herzen.“
Denn die italienische Barackenauswahl ist fortan gefürchtet, startet gleich zwei Ligen über der untersten Klasse – weil allen klar ist, dass diese Mannschaft sonst nicht zu schlagen ist. Früh haben die Spieler die deutsche, körperbetonte Weise assimiliert und erwartet ihre Gäste nun auf dem Ascheplatz an der Berliner Brücke, umringt von bis zu 1000 begeisterten Landsleuten und den bedrohlich wirkenden, qualmenden Ziegelschornsteinen des VW-Werks in Sichtweite. Wer aufs Spielfeld möchte, muss sich durch die Masse kämpfen, und dort beginnt der Spaß dann erst. „Wahrscheinlich hätten wir mit noch größerem Abstand die Meisterschaft geholt, wenn wir nicht ständig Strafen wegen Schiedsrichterbeleidigungen bekommen hätten. In einem Jahr wurden uns 15 Punkte abgezogen – und wir sind trotzdem Meister geworden“, sagt Lochiatto.
„Kleine Leute mit einer großen Klappe“
Lupo ist bis dahin eine Erfolgsgeschichte. Doch das Verhältnis zu den Deutschen bleibt ambivalent. Sprüche unter der Gürtellinie sind an der Tagesordnung. Lupos Spieler fühlen sich von den Schiedsrichtern regelmäßig verschaukelt; weil der Wortschatz in der Emotion keine differenzierte Diskussion zulässt, wird es eben beleidigend. Die Gegner reagieren entsprechend und schieben den Ärger auf die Kulturen, die aufeinanderprallen. „Damals passte das schon: Kleine Leute mit einer großen Klappe waren wir“, sagt Lochiatto. Und trotzdem sind viele Vereine vom Besuch der Italiener abhängig.
Mit VW-Bussen werden hunderte zahlende Zuschauer zu den Sportplätzen der Region gebracht. Mancher Verein kann sich nach einem Spiel gegen Lupo Wolfsburg finanziell neu aufstellen. Als die ersten Deutschen die Seiten wechseln und bei Lupo kicken, werden sie angefeindet. Wer spielt schon mit den Kanaken, heißt es. Die Gewinner, antworten sie. 1981, als der Verein die Bezirksklasse erreicht und die Spieler längst aus dem Lager und in kleine Wohnungen gezogen sind, um Familien zu gründen, fusioniert Lupo mit U.S. Martini, dem zweiten italienischen Klub in Wolfsburg. Seitdem heißt es: Willkommen bei Unione Sportiva Italiana Lupo-Martini Wolfsburg. Trotz der Reibereien kommen die Gegner nach Abpfiff oft ins Centro Italiano, das Gemeindezentrum Wolfsburgs. Dort wird italienisch gegessen, italienisch getrunken, italienisch gefeiert. Und in einem Hinterzimmer, das so manche Geschichte miterlebt hat, entsteht das erste Klubhaus der U.S.I.
„Vergleichbar mit den Türken in Kreuzberg“
Lupo-Martini Wolfsburg – für Giuseppe Genetiempro, den stets engagierten Spartenleiter, der mit am Tisch sitzt und sich über alte Fotos beugt, ist das mehr als ein Verein. Als Kind ist das Wochenende für ihn ein einziges Fest. Wenn sein Vater den kleinen Peppino mit zum Sportplatz nimmt, die Luft nach Pizza und Pasta riecht und auf dem Platz die Auswahl der Italiener den nächsten Gegner vom Ascheplatz fegt. „Wenn ich sonntags nicht zum Spiel durfte, weil ich am nächsten Tag eine Klassenarbeit schrieb, saß ich heulend in meinem Zimmer“, erinnert sich Genetiempro, der noch heute Peppino gerufen wird.
Weil der Verein zu dieser Zeit noch keine Jugendabteilung betreibt, kann Genetiempro, der Torwart, erst kurz vor dem Übergang in die Herrenmannschaft wechseln. Dann steht er mit seinen hellen Locken zwischen den Pfosten. „Als ich das erste Mal in der Kabine saß und mein Trikot angezogen habe“, sagt Genetiempro, „das war ein grandioses Gefühl.“ Anfangs laufen seine Landsleute noch mit dem italienischen Wappen auf. Das Logo der U.S.I Lupo-Martini bedeutet den Spielern nicht weniger. „Als Italiener bist du irgendwann bei Lupo gelandet“, sagt Genetiempro. Und Lochiatto, der Vorsitzende, legt drauf: „Sie sind alle hier gelandet. Das war ein Muss.“
Deshalb kehrt eines Tages auch Francisco Coppi zurück. 1969 noch im Lager, dem „Italien-Dorf“, geboren, bezeichnet die „Wolfsburger Allgemeine Zeitung“ Coppi schon im Jugendalter als das „größte Fußballtalent der Region“. 1992 holt ihn der Zweitligist VfL Wolfsburg in die Mannschaft. Als Coppis Talent dort nicht weiter gefördert wird, er auf der Bank zu versauern droht, wechselt er zurück und spielt wieder mit dem Lupo-Martini-Logo auf der Brust. Der italienische Fußball kann es fast mit dem besten Verein der Stadt aufnehmen, weil die Gemeinde immer weiter wächst. Lochiatto sagt: „Es gab eine Zeit, da haben fast 15 000 Italiener hier gelebt. Vergleichbar mit den Türken in Kreuzberg.“