Das gestrige Solidaritätskonzert in Chemnitz war das beherrschende Thema des Tages. Einzig der deutsche Fußball tat so, als wäre nichts gewesen. Eine (Selbst-)Anklage.
65.000 Menschen in Chemnitz, Hunderttausende vor den Livestreams: das gestrige #WirSindMehr-Konzert war ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass der Anstand eine deutlich vernehmbare Stimme besitzt. Dass er noch immer die deutliche Mehrheit der Gesellschaft hinter sich weiß, marschierenden Nazis zum Trotz.
Auch in den sozialen Netzwerken war das Solidaritäts-Konzert von Kraftklub, K.I.Z. und Co. das beherrschende Thema des Tages. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilte die Veranstaltungs-Ankündigung auf seiner Facebook-Seite, sein Team kommentierte dazu: „Der Bundespräsident ermutigt alle, die nach den erschütternden Ereignissen in Chemnitz ein Zeichen für Mitmenschlichkeit und gegen Fremdenfeindlichkeit setzen wollen (…): ›Lassen wir uns nicht einschüchtern von pöbelnden und prügelnden Hooligans. Lassen wir nicht zu, dass unsere Städte zum Schauplatz von Hetzaktionen werden. Hass darf nirgendwo freie Bahn haben in unserem Land.‹“
Soziales Versagen
Wer hingegen so gut wie überhaupt nicht stattfand: der deutsche Fußball. Schalke 04 twitterte eine Solidaritätsbekundung mit einem seiner Fanclubs aus Sachsen. Das war es dann im Wesentlichen auch. Kaum ein Ton von den (großen) Vereinen oder den Verbänden. Keine prominenten Spieler, die die gigantische Followerpower ihrer Social Media-Kanäle genutzt hätten, um zu bekunden, dass man zumindest in Gedanken bei denen ist, die für die Grundwerte unserer Gesellschaft eintreten.
Es ist das soziale Versagen derer, die ihre Anhänger ansonsten über jeden Husten ins Bild setzen. Selfies im Fahrstuhl, der Pudel der Gattin, #WorkHardPlayHard-Schwachsinn aus der BlingBling-Muckibude; all das findet im Akkord Widerhall. Aber zumindest einmal #WirSindMehr? Das schien zu viel der Mühe.
Nicht auf den Platz getraut
Es ist müßig und unlauter, über die Gründe dieses kollektiven Schweigens zu spekulieren. Auffällig und bedauernswert ist es allemal. Initiativen wie „Zeig Rassismus die rote Karte“ sind schön und gut und wichtig – und werden zugleich doch ins Abseits gestellt, sobald Vorgänge wie jene in Chemnitz komplett umkommentiert gelassen werden. Denn wirken sie wie lästige Pflichtaufgaben und nicht wie gelebte Haltung.
Es ist, als hätte der deutsche Profi-Fußball jahrelang für den Ernstfall trainiert, sich über Taktiken ausgetauscht, nur um sich nun nicht auf den Platz zu trauen.
Niemand verlangt, dass sich Nationalspieler oder Funktionäre neben Musiker auf Bühnen stellen, den Ball hoch- oder Reden halten. Aber ein einzelner Facebook/Instagram-Post oder Tweet, ist das wirklich zu viel verlangt? An gedanklicher Selbstständigkeit und Verantwortungsgefühl?
Der Fußball hat ein Rassismus-Problem
Solidarität mit jenen zu bekunden, die sich Tag für Tag jenen entgegen stellen, die Hass und Gewalt schüren, kann nicht verkehrt sein. Auch wenn diese Solidaritätsbekundung einmalig wäre. Um jenen, die sich engagieren, zumindest gedanklich zu zeigen, dass sie nicht allein sind.
Dass nicht nur die deutsche Gesellschaft, sondern auch ganz singulär der deutsche Fußball ein Rassismus-Problem hat, hat uns der Umgang mit Mesut Özil zuletzt mehr als deutlich gezeigt. Willkommenskultur bedeutet eben auch, wirklich jeden gleich zu behandeln.
Schließlich: Auch wir bei 11FREUNDE haben #WirSindMehr gelinde gesagt verpennt. Das ist bedauernswert und ein Ansporn, es in Zukunft besser zu machen.
Hoffen wir, dass es uns der deutsche Fußball gleich tut.