Vom Taktikblogger zum Co-Trainer in Mönchengladbach. René Maric über seinen ungewöhnlichen Weg, den neuen Stil der Borussia und die globale Vernetzung im Fußball.
Wie haben Sie Ihrer U11-Mannschaft „Offensivfluidität“ nahegebracht?
Gar nicht, mit meinen Mannschaften habe ich immer ganz anders geredet, die wussten nichts von der Bloggerei. Inzwischen unterscheide ich auch zwischen Konzept- und Aktionssprache, denn auf dem Platz geht es um Aktionen und nicht um Konzepte. Einen Begriff wie „abkippender Sechser“ benutze ich nicht mehr, denn es geht nicht ums Abkippen, sondern um die Frage: In welchem Moment komme ich aus welcher Position, in welchem Tempo, in welchem Winkel und aus welchen Gründen in welche Situation?
Sie haben mit Ihren Kollegen von Spielverlagerung um 2012 ein gutes Dutzend Spielanalysen für Thomas Tuchel in Mainz gemacht, warum ist daraus nicht mehr geworden?
Ich denke, er wollte nur einen externen Eindruck zu seiner Arbeit und eine kleine Einsicht in unsere Perspektive haben, nicht mehr. Vermutlich war der Mehrwert für die Mainzer damals verschwindend gering.
2016 hat Marco Rose Sie zu seinem Co-Trainer in der U18 bei RB Salzburg gemacht. Waren Ihre Analysen da besser?
Das hoffe ich doch! Allerdings glaube ich, dass meine Analysen der kleinste Grund für die Zusammenarbeit waren. Wir haben uns einfach gut verstanden und über Fußball reden können.
Wie würden Sie einem Fußballfan, der noch nie eine von Marco Rose trainierte Mannschaft hat spielen sehen, seinen Fußball erklären?
Man kann auf jeden Fall Aktivität erwarten. Marco hat den Anspruch, dass wir in allen Spielphasen dominieren und immer offensiv denken wollen. Der Gegner soll immer das Gefühl haben, gestresst zu sein.
Sie haben sich als Blogger viel mit Taktikgeschichte beschäftigt, in welcher Traditionslinie steht diese Spielweise?
Das ist schwer zu sagen, weil es so viele Einflüsse gibt. Wir haben etwa von unseren Salzburger Gegnern in der Europa League viel mitgenommen. Wie sich bei Real Sociedad die Sechser bewegt haben, war sehr clever! Die Staffelung im Umschalten bei Lazio Rom hat uns richtige Probleme gemacht. Früher war so was der einzige Weg, um etwas Neues mitzubekommen. Ralf Rangnick etwa hat als Spielertrainer gegen die von Lobanowski trainierte Elf von Dynamo Kiew gespielt und dadurch mitbekommen, wie sie verschieben. Heute läuft das zumeist anders.
Wie denn?
Das fängt schon mit einem größeren persönlichen Austausch von Trainern untereinander an.
Versucht nicht jeder, seine Geheimnisse zu bewahren?
Das ist unterschiedlich, aber Marco Rose ist sehr offen, wenn Trainer bei uns hospitieren. Bei Trainerlehrgängen ist man inzwischen ebenfalls verstärkt darauf bedacht, die Trainer international miteinander zu vernetzen. Ich selber habe in den letzten Jahren viel mehr Informationen bekommen, als ein Außenstehender annehmen würde, und das reicht bis zu Kollegen bei absoluten Topvereinen. Dazu gibt es durch die Digitalisierung einen viel größeren Informationsaustausch.
Wie funktioniert der?
Ich habe ein Netzwerk von Leuten, die mir aus aller Welt Sachen zuschicken: wissenschaftliche Studien, Links zu Videos, interessante Artikel auf ganz kleinen Blogs. Mich kontaktieren Leute aus Südafrika via Facebook, um über Trainingsformen zu diskutieren. Oder ich bekomme einen Link zu einer Mannschaft, die auch mit der Raute spielt, sie aber ganz anders interpretiert.
Also kann es sein, dass eine Anregung vom anderen Ende der Welt im Trainerzimmer in Mönchengladbach diskutiert wird und sich sogar im nächsten Bundesligaspiel niederschlägt?
Das ist nicht der Normalfall, aber das kann passieren.
Hat das Tempo beim Entwickeln von neuen Ideen zugenommen?
Ja. Trainer haben sich zwar zu allen Zeiten überlegt, wie sie Spieler besser machen und besser einsetzen können. Aber früher haben ihnen die technischen Hilfsmittel gefehlt und die Zeit, weil die Trainerstäbe viel kleiner waren. Ich vergleiche das mit der Entwicklung bei der Ernährung: Früher ist man zu zweit auf die Jagd gegangen, heute gibt es eine ganze Lebensmittelindustrie.