Tolle Typen, große Vereine und jede Menge Derbys – kein Zweifel: Die Samstag startende Regionalliga Nordost ist die wahrscheinlich beste vierte Liga aller Zeiten!
Während im durchorchestrierten Profibereich die Authentizität immer mehr verloren geht und man vergeblich nach interessanten Typen sucht, kann man sie in der Regionalliga Nordost noch finden. Ingo Kahlisch ist nicht nur der Coach mit der längsten Amtszeit in Deutschland, sondern hätte wohl auch auf dem Schleudersitz des HSV eine längere Halbwertzeit als der Großteil seiner Kollegen. Immerhin trainiert er seit über 30 Jahren die erste Mannschaft von Optik Rathenow. Während Spieler und Ligazugehörigkeit im Havelland kontinuierlich wechselten, stand er Jahr für Jahr an der Seitenlinie. Seine Energie holt sich der mittlerweile 64-jährige Kulttrainer vermutlich durch die zehn Tassen Kaffee, die er täglich trinkt, wie er dem Sportbuzzer verriet.
Aber auch andernorts stehen interessante Persönlichkeiten am Spielfeldrand. Insbesondere das erfahrende Trainerduo der VSG Altglienicke ist spannend und glänzt neben jahrzehntelanger Fachkompetenz vor allem durch klare Positionen. Karsten Heine und Thorsten Mattuschka sind es alleine allemal wert, ein Spiel der Köpenicker zu besuchen.
Bei Tennis Borussia kann man dagegen vielleicht sogar mit einem kommenden Bundeskanzler ins Gespräch kommen. Regelmäßig gibt sich Kevin Kühnert im Fanblock der Charlottenburger die Ehre.
Da dieses Jahr der Tabellenerste direkt aufsteigt und sich nicht durch die Relegation quälen muss, möchte praktisch die halbe Liga insgeheim aufsteigen. Vor allem für Tobias Geber, den Ostfußball-Experten vom Drübergehalten Podcast, sind die beiden Absteiger Chemnitzer FC und der FC Carl Zeiss Jena aber auch Energie Cottbus Favoriten auf den Aufstieg. Alle drei Klubs stehen dabei eigentlich in der Pflicht, die baldige Rückkehr in den Profibereich schnellstmöglich zu realisieren. Während Energie Cottbus aufgrund verhältnismäßig großer Investitionen quasi zum Aufsteigen verdammt ist, hat der Chemnitzer FC trotz Spenden seiner Fans von über einer halben Million Euro die Insolvenz noch nicht endgültig abgewendet.
Hinter dem ambitionierten Trio, bei dem Anspruch und Wirklichkeit in den letzten Jahren oft auseinanderklafften, lauert die eingespielte VSG Altglienicke. Cheftrainer Karsten Heine, der davon ausgeht, dass es bis zum letzten Spieltag eng zugehen wird, verriet im Gespräch mit 11FREUNDE: „Tabellarisch haben wir uns kein konkretes Ziel gesetzt, aber natürlich wollen wir alles dafür tun, dass wir wieder oben mitspielen. Dabei werden wir von unserer offensiven Spielweise nicht abweichen.“
Doch auch der BFC Dynamo, Lok Leipzig zuletzt in der Relegation gescheitert oder der SV Babelsberg 03 träumen von besseren Zeiten und einem Aufstieg. Zudem ist Hertha BSC II aufgrund der Unterstützung durch die Bundesligamannschaft und zahlreicher Talente nie zu unterschätzen. Im Abstiegskampf wird es vermutlich ähnlich eng zu gehen. Immerhin gibt es mit TeBe, Chemie, Luckenwalde, Lichtenberg 47, Auerbach, Halberstadt und Bischofswerda sieben Vereine, die im Gegensatz zum Rest der Liga weiterhin nicht unter Profi-ähnlichen Bedingungen arbeiten. Bei denen die Spieler also nebenbei noch arbeiten müssen.
Angesichts dieser hohen Leistungsdichte traut sich nicht einmal die 11FREUNDE-Redaktion, eine seriöse Prognose abzugeben.
Insgesamt tummeln sich in der Regionalliga Nordost also zahlreiche Vereine, die historisch große Erfolge erringen konnten (DDR-Rekordmeister BFC Dynamo), über ein großes Fanpotenzial verfügen (die halbe Liga), viel Tradition besitzen (mehr als die halbe Liga) und große Ambitionen haben (bei dieser Liste kann nahezu wöchentlich ein neuer Verein hinzukommen). Alle Klubs eint zudem ihre Unvollkommenheit, ein bereits durchgemachter Absturz und die Sehnsucht nach besseren Zeiten. Für Fußball-Liebhaber, die an einem Sport mit wenig Schnickschnack, viel Leidenschaft und interessanten Konstellationen interessiert sind, lohnt sich ein Besuch in der vermutlich besten Regionalliga aller Zeiten. Falls man physisch nicht anwesend sein kann, übertragt zwar nicht mehr das DSF, manchmal aber immerhin Sport1 und fast immer auch der MDR oder der RBB.